Full text: St. Ingberter Anzeiger

Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert. 
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Sonntag, 19. Juni 1887. 
22. Jahrg 
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Deutsches Reich. 
München, 14. Juni. Demnächst wird es 
orauosichtlich zu einem interessanten politischen 
hreßprozeß kommen. Die Vorgeschichte desselben ist 
iurz folgende. Fürst Leopold vdwenstein · Wertheim 
satsich in dem bisher von dem Professor Dr. Ritt⸗ 
a innegehabten Landiagswahlkreise Traunstein als 
Fndidal aufstellen lassen und hatte dem bekannten 
Pedacteur des „Bayerischen Vaterlandes“ Dr. Sigl 
nen Besuch gemacht, um diesen für sich gegen 
Fütler zu gewinnen. Der Fürst erhielt von Sigl 
un sehr höfliches, aber bestimmtes „Nein“. Aus 
lerger hat daun der Fürst die Unklugheit begangen, 
Sigi, der bis dahin in durchaus loyaler Weise 
het jenen Besuch geschwiegen hatte, in einer Zei— 
ing anzugreifen und dabei mitzutheilen, er habe 
zid besucht, um an ihm „psychologische Studien“ 
zu dreiben. Man kann sich denten, mit welcher 
Zucht sich nun Dr. Sigl, für den damit alle 
füchsichten aufhörten, auf den bejammernswerthen 
Fütssen gestürzt hat. In dem oberbayerischen 
odͤlaitchen Wendelstein“ veröffentlicht nun der Fürst 
zine neue Erklärung, in welcher er den Dr. Sigl 
Iz einen „Preßkorsar schlimmster Sorte“ bezeich⸗ 
get und mettheilt, daß er den Fall seinem Rechts⸗ 
anwalt übergeben habe. Damit aber nicht genug, 
ondern Dr. Sigl hat gleichzeitig Gelegenheit zu 
inem Gegenhieb bekommen. Jener „Wendelstein“ 
zat hämlich den Dr. Sigl als „Reptil“ und als 
im Dienste des Staatsministers „Lutz“ stehend 
ꝛezeichnet. Hierauf erwiedert Dr. Sigl im „Vater⸗ 
and', daß er auf diese Beschuldigung hin von 
einer Gepflogenheit abgehen und den ‚Wendel-⸗ 
tein“ verllagen werde, um „diesem einfältigen 
getede feiger Verläumdung einmal ein Ende zu 
aachen und ein Exempel zu statuiren.“ Die Sache 
ann also sehr hübsch werden. Fürst Löwenstein 
legen Sigl und Sigl gegen deun „Wendelstein.“ 
dabei lönnten manche staunenswerthe Dinge an 
as Tageslicht komnten. 
Muͤnchen, 17. Juni. Der Anschluß Bayerns 
m das Reichs-Branntweinsteuergesetz, 
uw. das Uebertreten des letzteren in Bayern nach 
norgängiger Zustimmung des Landtages, wird nach 
mlertichteter Mittheilung nicht vor 1. April 1888 
riolgen können. 
Berlin, 17. Juni. Fürst Bismartk, der gestern 
lbend seinen Urlaub antrat, wird dem Vernehmen 
nach bis Ende des Jahres von Berlin fern bleiben. 
der Fürst gedenkt von Friedrichsruh später nach 
un und vielleicht im Hochiommer nach Gastein 
ail gehen. 
Berlin, 18. Juni. Das Gesitz über den 
lusschuß der Oeffentlichkeit dei Gerichts 
rhandlungen kommt infolge des Schlusses des 
feichstages nicht mehr zur Berathung. Das 
Lranniweinsteüergesetz ist gestern auch in 
dritter Lesung ohne wesentiiche Aenderungan—⸗ 
denowmen worden. 
Der Reichstag hat gestern auch das Gesetz betr. 
herwendung gesundheitsschädlicher Far— 
en, ferner das Kunstbuttergeseh und die 
Anträge betr. Aenderung der Gewerbeordnung 
jum Schutze gewerbl. Arbeiter in 3. Lesung 
mgenommen. 
Leipzig, 16. Juni. Die Schlußvorttäge 
dunden hente beendet. Die Vertheidiger beantragten 
nprechung ebentuell nur Festungshaft. Die Ur⸗ 
eilderlündiguna erfolat um 18. 9 Hriittags 12 
Ausland. 
Paris, 16. Juni. Anläßlich des von Deutsch 
and zu erbauenden Nord Ostseecanals fragte De—⸗ 
attre, ob die Regierung die commerziellen und die 
trategischen Folgen dieses Unternehmens in's Auge 
jefaßt habe und ob dieseibe nicht einen Canal zu 
erbauen gedenke, der den Ocean mit dem Mittel⸗ 
ländischen Meere verbinde. Der Minister für öffent. 
liche Arbeiten, Heredia, erwiederte, der Plan sei zur 
Aussührung noch nicht reif, derselbe werde 1500 
Millionen erfordern; auch würden die Erträge des 
Durchgangsverkehrs auf dem Canal die Zinsen 
nicht decken. Es handle sich also um ein Unter⸗ 
nehmen, das Frankreich große Lasten auferlege, 
und das von der Regierung daher aufmerksam ge— 
prüft werden müßte. Was die geplante Herstellung 
eines Seehafens in Paris angehe, so könne die 
Regierung bei dem gegenwärtigen Stande der 
Finanzen an ein so kostspieliges Unternehmen nicht 
denken. Es müsse der Privatindustrie überlassen 
bleiben, ob dieselbe den genannten Plan ohne 
Beihülfe des Staates ausführen könne. 
London, 16. Juni. Dem „Reuter'schen 
Bureau“ wird aus Simla gemeldet: Unter einem 
Theil der Garnison von Herat fand am 9. d. eine 
Meuterei statt, woran sich eiwva 500 Mann be— 
theiligten. Bei Unterdrückung der Meuterei kam 
es zum Kampfe, wobei 30 Mann von den regier— 
ungstreuen Truppen und 50 Rebellen getödtet 
wirden. Die Rebellen flüchteten, wurden verfolgt 
und fast sämmtlich gefangen. Die Anführer wurden 
nach Kabul aesandt 
Lokale und pfalzische Nachrichten. 
In Niederwürzbach und Aßweiler 
ollen nach dem Vorgehen anderer Orte des Be⸗ 
iirls ein landwirtschaftlicher Konsumbverein ins 
Leben gerufen werden, was im Hinblicke auf die 
Vorteile sür den Landwirt nur mit Freuden zu 
»egrüßen ist und wärmste Unterstützung verdient. 
Wie wir hören, will Herr Landwirtschaftslehrer 
Fischer aus Zweibrücken in diesem Sinne 
bei einer Versammlung in Aßweiler wirken. 
0 Wittersheim, 17. Juni. Hier und 
in Bebelsheim herrschen unter der Schuljugend 
die Masern und wurden deshalb auf Anordnung 
des tgl. Bezirksarztes die Vollsschulen auf vorläufig 
14 Tage geschlossen. 
Zweibrcken, 15. Juni. (Schwur⸗ 
zericht) Verhandlung gegen Johann Gerhardt. 34 
Jahre alt, Ackerer von Venningen, wegen Ver— 
hrechens gegen die Sittlichkeit. 
Dem Angeklagten liegt ein Verbrechen in Ge⸗ 
näßheit des 8 176 R.St. G.B. zur Last, der⸗ 
elbe bestreitet jedoch die That entschieden. 
Die Geschworenen verneinten die an sie ge— 
richtete Hauptschuldfrage, worauf der Gerichtshof 
den Angeklagten unter Ueberbürdung der Kosten 
auf die Staatskasse freisprach. 
— Die SchützengesellschaftKaiserslautern 
hat zum deutschen Bundesschießen eine Gabe im 
Werthe von 300 Mt. abg schickt. Die Gesellschaft 
befindet sich in der merkwürdigen Lage, ein an⸗ 
sehnliches Vermögen, aber keinen einzigen aktiven 
Schützen zu besißzen. 
— Ein Bahnwart in Kindsbach ist im 
Besitze zweier Kühen, wovon ihm die eine auf eine 
inbegreifliche Weise gemolken wurde. Er verschloß 
eden Abend die Stallthüre gut, machte sich Zeichen 
varan, was Alles unversehrt blieb, aber Morgens 
var die Misch fort Mun hegohachtete besgater 
Bahnwart in der verflossenen Woche während der 
Racht die Kühe selbst. Nach 12 Uhr gab es ein 
Zeräusch; er machte schnell Licht und siehe da wer 
stand unter der Kuh? — ein Schwein, das neben 
den Kühen in einem Ställchen ist — es hat sie 
bis auf den letzten Tropfen leer gesoffen. Er 
machte am anderen Tag das Ställchen durch Bretter 
höher, aber in der anderen Nacht fing das Schwein 
jo an zu heulen, kreischen und beißen, bis der 
Stall demolirt war und ließ es sich bei der Kuh 
wieder gut schmecken. Nun blieb dem Manne keine 
indere Wahl, als das Schwein in einen anderen 
Stall zu thun, wo ihm bis jetzt aber das beste 
Futter nicht schmeckt. (Pf. Vztg) 
— Neustadt, 15. Juni. Der etwa 26jährige 
A 
m Stall erhängt aufgefunden. (Pf. 3.) 
— Das neunie Verzeichniß der bei dem Reichs⸗ 
age eingegangenen Petitionen enthält auch mehrere 
olche von Bewohnern der Pfal z und zwar: 
Beorg Brubacher und Genossen zu Wachenheim 
zitten um Erhöhung der Getreidezölle mindestens 
um die Hälfte der seitherigen Höhe derselben; E. 
W. Jacobus zu Speyer, sowie Robert German, 
Essigfabrikant zu Kirchheimbolanden und Genossen 
zitten den F 48 der Branntweinsteuervorlage zu 
dreichen und unter Wegfall jeder Nachbesteuerung 
den Einführungstermin des neuen Gesetzes und der 
neuen möglichst zu ermäßigenden Abgade nicht auf 
den 1. April 1888, sondern auf den Beginn einer 
neuen Branntweinkampagne festzusetzen; Kaufmann 
ind Söhne und Genossen zu Frankenthal, sowie 
Franz Odermatt zu Ludwigshafen, serner S. Kauf⸗ 
mann und Genossen zu Neusiadt a. H. bitten die 
neue Brannweinbesteuerung mit dem 1. Oltober 
resp. 1. November d. J. ohne Nachsteuer in Kraft 
reten zu lassen und um Erlaß eines Notbhgesetzes. 
WVermischtes. J 
F Muünchen, 16. Juni. Die Generaldireltion 
der königl. bayerischen Staatseisenbahnen hat ge⸗ 
nehmigt, daß die für frühere Jahre ausgesprochene 
Begünstigung der Beförderung von Biersendungen 
nit Post und Personenzügen auf die Dauer der 
heißen Jahreszeit auch füt heuer gewährt werde. 
4 Freifran Alexandra v. Fraunberg. 
Jeschiedene Gattin eines ehemaligen bayerischen 
Officiers, wurde wegen Wechselfälschung in ˖28 Fallen 
dom Münchener Landgericht zu 6 Jahren Zucht⸗ 
jaus verurtheilt. (N. B.L. 3tg). 
f Köln, 15. Juni. Die in Bonn erschei⸗ 
rende „Deuische Volkszeitung“ hat angeblich in 
zier Artikeln den Papst und den Koadjutor des 
Bischofs von Straßdurg beleidigt. Der Koadjutor 
dellte bei der hiesigen erzbischöflichen Behörde. den 
Strafantrag, weil als Verfasser ein Geistlicher ver⸗ 
muthet wurde. Die Voruntersuchung hat begonnen. 
Der verantwortliche Redakteur und ein Mitardeiter 
der „Reicheztg.“ waren vorgeladen. Letzterer war 
nicht erschienen, Ersterer lehnte es ab, den Verfasser 
zu nennen. 
fBerlin, 17. Juni. Die „Nordd. Allg. 
Ztg.“ meldet: Justizminister Dr. Friedberg beschied 
telegraphisch den ersten Staatsanwalt vom Land⸗ 
zerichte Elberfeld hierher, um dessen mündlichen 
Vortrag über die beantragie Wiederaufnahme in 
dem Verfahren gegen den Batbier Ziethen aus 
Elberfeld entgegenzunehmen. (Es handelt sich hier 
vie in Nr.' 116d. Bl. mitgetheilt, um einen unschuldio 
um Isde Verurtbe ilten