Full text: St. Ingberter Anzeiger

ille einen Fürsten wollen. Erst wenn die Wahlen 
ür die kleine Sobranje stattfinden, soll der politische 
Wettlauf zwischen den einzelnen Parteien wieder 
»eginnen. Die Bänke füllen sich, Bauern, Türken 
und bürgerlich schlicht gekleidete Männer erscheinen 
—XV ———— 
lich ehrfurchtsvoll begrüßt werden, kreten ein. Das 
Reisekleid herrscht vor, vereinzelt erscheint auch das 
National⸗Kostum, noch seltener Fez und Turban. 
Einzelne rumeliotische Bauern find trotzt der tro⸗ 
pischen Hitze im Pelzrocke gekommen. An dem 
Präsidententische sind Frack und weiße Kravatte 
zorherrschend. Auf der Galerie drängen sich Damen 
und Kinder, die Konsulatsloge ist den Journalisten 
eingeräumt, da keiner der Konsuln seinen Besuch 
angemeldet hat. Plötzlich entsteht Bewegung im 
Saale, in dem es bisher lautlos herging, denn die 
Deputirten erwarten in großer Stille den Sitzungs⸗ 
eginn. Ein hoher Geistlicher ist in den Saal ge⸗ 
reten, zwei Popen führen und stützen ihn unter 
den Armen. Ein Priester folgt ihm, er trägt das 
mit Silber beschlagene Evangelium. Dieser wan⸗ 
ꝛende Greis ist der Metropolit von Widdin. 
Alles hat sich erhoben, um ihn zu begrüßen. 
Nun erklärt auch Stanlow die Sitzung für 
zröffnet. Man verliest alsdann 480 Namen von 
Deputirten. Es scheinen viele zu fehlen, es zeigt 
ich jedoch, daß sfie im Vorhofe den Fürsten er⸗ 
varten. Als die entscheidende Stunde schlägt, 
drängt Alles. in den Saal. Auch auf bder schiefen 
Fstrade vor dem Präfidium sitzen nun Abgeordnete 
dicht neben einander. Tontschew hält eine kurze 
Ansprache, darauf verläßt das Präsidium den Saal, 
diener eilen herbei, um die Tische des Präsidenten, 
der Minister und der Stenographen fortzutragen. 
Das Podium gehört heute dem Fürsten allein. 
Stankow kehrt an die Pforte der Sobranje zurück 
und sagt: „Er, unser gewählter Fürst, ist im Be⸗ 
zuiffe, einzutreten. Ihm, dem Manne unserer 
Wahl, ein Hurrah!“ Man ruft stürmisch Hurrah 
und wiederholt es im Saale und auf der Galerie, 
man klatscht in die Hände, grüßt und winkt 
freudetrunken dem eintretenden Fürsten zu. Fer⸗ 
dinand von Bulgarien ist im Saale erschienen, 
geleitet von der silberschimmernden Eskorte seiner 
Offiziere, den Regenten, Ministern und Herren 
feines Hofes. Er sieht gut aus, ein Bild unter⸗ 
vehmender Jugend. Ein Mann, der sich mit 
frischem Muthe auf einen gefährlichen Boden be— 
giebt. Seine Brust schimmert von Orden. Er hat 
die Physiognomie der Bourbonen und ihre kräftig 
zeschwungene Nase ererbt. Sobald er erscheint, 
eilen Kirchendiener mit Wachskerzen herbei. Der 
Metropolit von Widdin tritt vor den Fürsten hin 
und hält eine Ansprache. Er begrüßt den Fürsten 
mit zitternder Stimme; wir hoͤren nur, daß er ihn 
mahnt, treu zur Verfassung zu halten. Nun ver⸗ 
iest er die Eidesformel. Wort für Wort spricht 
der Fürst dieselbe nach. Sein Antlitz ist ernst, der 
Schweiß perlt auf seiner Stirne. Der Fürst hat 
den Handschuh der rechten Hand abgestreift und 
dieselbe feierlich zun Schwur erhoben. In dem⸗ 
elhen Augenblicke intoniren Popen einen kurzen 
sirchengesang: „Gott schütze den Fürsten und 
hringe ihm Heil.“ Nun küßt der Fürst das 
kvangelium und das Kreuz; Hurrah- Rufe durch⸗ 
brausen den Saal, sie wiederholen sich, als der 
Fürst die Eidesformel unterzeichnet und dann, nach⸗ 
dem er sich bedeckt, sich aaf dem Throne nieder—⸗ 
läßt. Stoilow verliest unter Hurrah ⸗Rufen die 
Proklamation des Fürsten an sein Volk. Nachdem 
der Fürst den Saal verlassen, wird die Sitzung 
geschlossen. Das Mandat der großen Sobranje 
und der Regenischaft ist abgelaufen, die Regierung 
Ferdinand's J. von Bulqarien nimmt ihren An— 
fang.“ 
Prinz Ferdinand hat gestern früh Tirnowa 
verlassen und ist Abends in Gabrowa angekommen 
ind von der Bevölkerung enthusiastisch empfangen 
worden. Der Minister Stoilow, Stransky, Petrow 
und Tschomakow begleiteten den Prinzen auf der 
Reise. Die bisherigen Regenten sind in Tirnowa 
zurückgeblieben. 
Lokale und pfälzische Nachriehten. 
* St. Ingbert, 19. August. Wie die „S. 
u. B. Z.“ mittheilt, traf gestern Nachmittag nach 
4Uhr, von Homburg kommend, der große Gene— 
ralstab in Neunkirchen ein. Die Herren Offiziere 
unternahmen sogleich ohne jeden Aufenthalt eine 
Inspizirungstour über Wiebelskirchen hinaus und 
kehrten gegen 6 Ubr wieder nach Neunkirchen in 
hre Quartiere zurück. Die Herren fanden sich 
arauf im Hotel Guckenberger zum Souper zu⸗ 
ammen. Heute Morgen um 7 Uhr setzte der 
Heneralstab seine Reise fort und wird derselbe heute 
Abend in Saarbrücken eintreffen. 
* St. Ingbert, 19. Aug. In Folge des 
rüben Wetters war es heute früh nicht möglich, 
zie Sonnenfinsterniß zu beobachten. Wahrscheinlich 
vird dieselbe ungünstige Witterung überall geherrscht 
ind in ganz Deutschland die Beobachtung des 
Phänomens unmöglich gemacht haben. 
— Munchweiler, 16. Aug. Selten ist es 
inem Menschen gegönnt, den 100. Geburtstag zu 
eiern. Frau Wittwe E. Rosenbaum in Sembach, 
eierte am 8. d. M. ihren 100. Geburtstag im 
dreise ihrer Kinder und Verwandten. Es ist eine 
esondere Freude für die Greifin gewesen, daß auch 
hre Tochter aus Amerika herbeigeeilt war, um dem 
Feste beizuwohnen. Die Greisin selbst geht jeden 
Tag spaziren und erfreut sich einer vorzüglichen 
ßesundheit, soll sogar vor zwei Jahren noch ein 
Tänzchen auf der Sembacher Kerwe riskirt haben. 
— Kaiserslautern, 17. August. Ein 
Stiftungsfest, wie unseres Erachtens wohl in unserer 
Pfalz bis heute noch kein zweites gefeiert worden 
ein dürfte, wird am 4. September er. in unserer 
Zarbarossastadt abgehalten. Es ist dieses das fünf⸗ 
ährige Stiftungsfest des dahier bestehenden Kahl⸗ 
opfbereines“, unter dem Vorstande Herrn Johannes 
Zteiner J. Dieser originelle und in seiner Art, 
vie bemerkt, in der Pfalz wohl einzig dastehenden 
PVecein, begann mit einer Ziffer von 17 aktiven 
Mitaliedern und zählt heute deren ca. über 80. 
Pünschen wir diesen „Alten“ zu ihrem bevorstehenden 
ünfjährigen Vereinsstiftungsfest einen recht gemüth⸗ 
ichen Abend. (Pf. Vlksz.) 
— Kaiserslautern, 17. Aug. Diejenigen 
zandwirthe, welche den Herbst⸗ Saalgutmarkt be⸗ 
chicken wollen, seien darauf aufmerksam gemacht, 
aß die Frist für die Einsendung der Saatproben 
im 25. d. M. abläuft. Die Sendungen sind an 
zie Saatgutmarkt-Commission in Kaiserslautern zu 
idressiren, und ist der Sendung ein Anmeldezettel 
eizufügen, welcher folgende Angaben zu enthalten 
ätte: Namen des Ausstellers; ausgestellte Saat⸗ 
yaare; verkäufliches Quantum; Preis pro Centner. 
— Landau, 17. August. Ein geborner 
zandauer, der sich einen Ruf als vorzüglicher 
ziolinspieler erworben hat, Herr Concertmeister 
deinrich Kühner, ist vorgestern in Eisenach, 62 
Jahre alt, gestorben. 
— Dürkheim. Die am 1. Nov. d. J. in 
Frledigung Fommende städt. Gasmeisterstelle ist 
ur Bewerbung ausgeschrieben. Der Anzustellende, 
velcher Gastechniker sein muß, erhält freie Wohnung, 
geheizung und Beleuchtung, Genuß eines Gartens 
nit Obstbäumen, Weinbergs und Ackers bei der 
rabrik und einen Baargehalt von 1500 Mark. 
Inmeldetermin 15. Sept. 
— Ludwigshafen, 17. August. Der seit 
twa zwei Jahren auf der kgl. Amtsgerichtsschreiberei 
sier als Hilfsschreiber beschäftigte Julius Hofman 
uus Kusel ist gestern verhaftet worden, weil er die 
Amtskasse erbrochen und bestohlen haben soll. Der 
Verhaftete war früher Unteroffizier im 4. bayer. 
Infanterie-Regiment. Derselbe soll der That ge⸗ 
fändig sein. —X 
Vermischtes. 
Zur Ausführung des Branntweinsteuer⸗ 
ßesetzes hat der Bundesrath beschlossen, daß für die 
Zeit vom 1. Juli bis 30. September für Brannt⸗ 
vein, welcher aus dem Gebiete der Branntwein⸗ 
leuer⸗Gemeinschaft in das Gebiet eines nicht zu 
dieser Gemeinschaft gehörenden Bundesstaates aus⸗ 
seführt und hier zu gewerblichen Zwecken ein⸗ 
hließlich der Essigbereitung verwendet wird, eine 
Zteuer⸗Vergütung von 48.8 M. für das Hektoliter 
einen Alkohol aus der Reichskasse zu gewähren ist, 
ofern die Landesbehörden den Nachweis als er⸗ 
racht erachten, daß die betreffenden Branntwein⸗ 
nengen dem Gewerberreibenden zur Aufrechterhal⸗ 
ung des regelmäßigen Umfanges seines Geschäfts⸗ 
zetriebs nothwendig sind, sofern außerdem der 
zranntwein am Bestimmungsorte vorschriftsmäßig 
»enaturirt wird und sofern endlich über die bor⸗ 
ezeichneten Voraussetzungen auf der Ausfuhr⸗ 
neldung eine steueramtliche Bescheinigung ertheilt 
vird. 
F Saarbrücken, 13. Angust. Herr Geh. 
Fommerzienrnth Stumm hat die Asbacher Hütte, 
as Stammbaus seiner Familie, hei dem letzten 
Besuche des Pfarrers v Bodelschwingh hie 
der westfälischen Diakonissenanstalt zu Vielsen 
Zwecke der christlichlichen Liebesthätigkeit zum u 
chenk gemacht. Die genannte Anfialt hatde d 
zochherzige Geschenk angenommen und — 
ie Asdacher Hüne als Erholungssiätte uht 
'onisffinnen und andere Arbeiter an den da 
verken der inneren Mission zu verwenden. 
Saargemünd. Auf dem Tanzbodend 
bhilipp'schen Gartenwirthschaft ist am Eun 
machm die 28 J. c. Cissedetha Rethel aus gun 
ingen plötzlich als Leiche umgesunken. Der * 
var die Folge von Verdauungsstörung. Die 
jatte Mittags neue Gemüse, eine Anzahl diellei 
noch nicht ganz reifer Pflaumen und Anderes g. 
nossen, später dann unvorsichtiger Weise Bier hin 
eingetrunken und zum Ueberfluß noch getanzt. 
F München, 17. August. Der Prinp 
Regent hat als Ehrenpreis für die internationch⸗ 
bäckerei-Ausstellung in Dresden ein— 
unstvoll gearbeiteten Brodkorb gespendet. 
FKifssingen, 16. Aug. Heute traf Prof 
Dr. Schweninger' beim Fürsten Bismarck hier ein. 
F Frankfurt a. M., 13. Aug. Der ehe 
nalige Besitzer eines hiesigen Restaurants maqh— 
horgestern den Versuch, seinem Leben durch Erhängen 
in Ende zu machen. Dabei schlug sein Körhn 
'd heftig gegen die Thüre seines Zimmers, dij 
der nebenan schlafende 19 Jahre alte Sohner 
vachte und herbeieilte. Er schnitt den Vater ah, 
dar jedoch nicht im Stande, den schweren Körpe 
llein zu halten, fiel hin und sein Vater so fef— 
iuß ihn, daß der junge Mann die rechte Hand 
zrach. Trotzdem hatte Letzterer noch so viel Ges 
kesgegenwart, den um den Hals seines Vater 
geschlungen Strick zu loͤsen, wodurch nach und nad 
vieder Leben in dessen Körper zurückkehrte. 
f Wiesbaden, 16. August. Gestern iagte 
zierselbst der 4. deutsche Tischlertag. Nach den 
Beschäftsbericht zählt der Innungs-Verband 62 
Innungen in ebensoviel Städten mit zusammen 
1250 Mitgliedern. Beschlossen wurde, auf Grum 
der Solidarhaft der Mitglieder eine Feuerversicherung 
sasse für das Tischlergewerbe ins Leben zu rufen 
ferner mit aller Energie eine Berufsgenossenschaf 
ür das Tischlergewerbe zu erstreben und dahin p 
virken, daß sämmtliche Tischlereien für verficherungt 
pflichtig erklärt werden. 
F Mainz, 17. August. Die vor ca. die 
Wochen hier verhafteten elsaß⸗lothringischen So— 
daten, welche angeblich einer „geheimen Verbindung' 
ingehört haben sollten, sind wieder in Freiheit ge— 
etzt und aus dem Militärgefängniß entlassen worden. 
FSaaralben, 12. August. Ein gröäßliches 
Anglück ereignete sich am letzten Donnerstag Nach— 
nittag in den hiesigen Solvay; Werken. Eine Röhre 
durch die eine mit Ammoniak gemischte Flüssigkeit 
geleitet wurde, ist, jedenfalls infolge der starken 
deberhitzung, zersprungen und wurden vier in der 
Nähe beschäftigte Arbeiter durch die wuchtig herab⸗ 
kürzende fiedende Masse derart verbrannt, daß be 
eits zwei derselben ihren schrecklichen Wunden 
rlegen sind. Die Lage der zwei übrigen ist ehen⸗ 
'alls eine hoffnungslose. 
F Metz, 15. August. Die gestern vom Turr⸗ 
»erein Metz vollzogene Schmückung de— 
driegergräber vom 14. 16. und 18. Auguß 
871 und die daran sich schließende religiös patrib⸗ 
ische Gedenkfeier in der Schlacht bei Gravellolte 
zestaltete sich zu einem wahrhaft weihevollen M 
jer, in seiner heutigen Gestalt zum ersten Mal⸗ 
eit jenen denkwürdigen Tagen begangen, allen 
Anschein nach verspricht, von Jahr zu Jahr wie 
erzutehren und immer größere Betheiligung zu 
inden. In zehn Wagenkolonnen waren die Turner 
zereits am frühen Morgen aufgebrochen, reich 
dranzesspenden, sowohl felbstgewundene als eu⸗ 
Iltdeutschland geschickte, mit sich führend, die si 
in den verschiedenen Grabhügeln und Denkmälern 
ziederlegten. Die Musik leitete die Feier mit einem 
Thorale ein, dem eine von der hiesigen Liedertafe 
‚orgetragene Hhmne folgte. Der Pfarrer Bloth 
ein Elsaͤsser) gedachte in warm empfundener Red 
der für Deutschlands Größe und Rum gefallener 
HZelden. Darauf wurde unter Mufikbegleitung di 
Volkshymne „Heil Dir im Siegerkranz“ und der 
Choral „Nun danket alle Gott“ gesungen und 
vann ein Vater Unser gebetet. Die Liedernn 
rug den „Trompeter an der Katzbach“, vor un 
ie Mußit jhieit alsbaid das schone .63 ihh— 
timmt in Gottes Rath“, womit die cigenllit 
Teier ein Ende batte Der Hriegervere!