Full text: St. Ingberter Anzeiger

zisten zur Stelle waren. Es kam zu einem fünf 
Minuten dauernden Kampf gegen den stürmenden 
Volkshaufen, dann stob er auseinander, ein halb 
Dutzend Arbeiter blieben todt auf dem Platze, els 
andere wurden verhaftet. Am folgenden Morgen 
forderte die „Arbeiter⸗Zeitung“ zur Rache auf gegen 
die „kapilalistischen Hunde“ und Nachmittags ging 
aus der Druckere. des Blattes ein Plakat hervor 
welches in möglichst aufreizender Sprache zur Rach 
aufforderte und zu den Waffen rief. Später am 
Abend ward der Aufruf zu einer Volksversamm⸗ 
lung auf dem Heumarkt für den folgenden Abend 
borbereitet. Spieß war Redakteur der „Arbeiter⸗ 
Zeitung“. Der Polizeichef ließ eine Anzahl Poli⸗ 
zisten in kurzer Entfernung, vom Heumarkt auf⸗ 
stellen. Um 8 Uhr hatte sich ein beträchtlicher 
Volkshaufen auf dem schwach erleuchteten Platz 
versammelt. Spieß war der ecste Sprecher, dann 
folgten Parsons und Filden. Jeder forderte zu 
Gewaltthaten auf und erklärte, daß ihre einzige 
Rettung von der Bedrückung durch die Kapitalisten 
in der Gewalt liege. Um 20 Mmuien nach Zehn 
rückte die Polizei auf den Platz und stellte sich in 
doppelten Reihen, 200 Mann stark, gegenüber dem 
Wagen auf, von welchem herab Filden sprach. 
Der kommandirende Kapitän forderte im Namen 
des Gesetzes die Versammelten auf, sich zu zer⸗ 
streuen. Kaum hatte er die Aufforderung ausge⸗ 
sprochen, als eine Dynamitbombe unter die Poli⸗ 
zisten fiel, welche zerplatzte und 29 Polizisten zer⸗ 
stümmelt zu Boden warf. Die Polizei war für 
den Augenblick außer sich vor Bestürzung, sobald 
sie ihre Fassung wieder gewann, griff sie nach ihren 
Redolvern und schoß in blinder Wuth über das 
Attentat unter die Menge. Diese gerieth, von 
Furcht und Schrecken erfaßt, in Verwirrung und 
lief in der Dunkelheit nach allen Richtungen aus— 
einander. Viele der Arbeiter wurden verwundet und 
bon ihren Kameraden fortgeschafft. 7 von den ver⸗ 
wundeten Polizisten blieben iodt auf dem Platz oder 
starben bald darauf, elf waren dienstunfähig ge⸗ 
worden für immer und fünfzig andere wurden durch 
die Explosion mehr oder minder verletzt. Am 
folgenden Tage erfolgten zahlreiche Verhaftungen. 
Parsons, der einzige Amerikaner unter den Atten⸗ 
tätern, entzog sich der Verhaftung durch die Flucht, 
stellte fich aber später zum Prozesse. Acht Personen 
wurden des Mordes oder der Theilnahme am 
Massenmord angeklagt. Es wurde nicht nachge⸗ 
wiesen, wer die Bombe geworfen, aber Lingg soll 
fie angefertigt haben. Der Verlauf des Prozesses 
ist bekannt. Der Spruch der Geschworenen war 
von den Gerichten in erster und zweiter und jetzi 
auch in dritter und letzter Instanz bestätigt. Die 
Advokaten der Anarchisten sprachen davon, vom 
hoͤchsten Staatsgerichte an das Ober⸗-Bundesgerich 
zu appellieren; aber es ist kein Modus bekannt 
durch welchen das in diesem Falle geschehen könnte 
und selbst wenn es ginge, würde die Berufung 
den Verurtheilten nichts nützen. Ihre einzige Hoff 
nung ruht auf Begnadigung seitens des Gouderneurs 
des Staates, und die Wuthausbrüche und Schmäh— 
artikel der anarchistischen Zeitungen, welche in 
anglo⸗amerikanischen Blättern übersetzt erscheinen, 
sind nicht geeignet, diese Hoffnung zu stärken. 
Lokale und pfyalzische Nachrichten. 
— Aus der Pfalz. Die von der letzten 
Generalsynode gefaßten Beschlüsse, welche die aller⸗ 
höchste Genehmigung erhalten haben, haben in Be— 
zug auf die Beerdigung der Selbstmörder folgenden 
Wortlaut: 1. „Die Leiche eines Jeden, der sich 
selbst entleibt, ist ohne besonders äußeres Gepräng⸗ 
kirchlich zu beerdigen. 2. Der Geistliche spendet 
wo es Sitte ist, im Hause der Angehörigen Trost, 
begleitet die Leiche zum Grabe, spricht nach kurzen 
Worten das vorgeschriebene agendarische Gebet mil 
dem „Unser Vater“, segnet die Leiche ein und 
entläßt dann die Anwesenden mit dem Segen des 
Herrn. 3. Grabgeläute und Gesang der Schul⸗ 
jugend findet in ortsüblicher Weise statt, wenn nicht 
das Presbyterium Einwand dagegen erhebt. 4 
Die Selbstentleibung eines Unzurechnungsfähigen, 
z. B. eines Fieberlranken, ist als ein Unglücksfall 
zu betrachten und finden auf ihn die vorstehenden 
Bestimmungen keine Anwendung. 
— Aus der Pfalz, 8. Okt. Wie ver⸗ 
lautet, ist der Vorstand des pfälzischen Sänger⸗ 
bundes, Herr Regierungsdirektor H. Wand, in 
seiner gleichzeitigen Eigenschaft als Vorstand der 
Speyerer „Liedertafel“ von dieser Stelle zurückge⸗ 
reten. Herr Wand Direktor hat die Interessen des 
Bundes stets gefördert und sein Rücktritt wird 
von den Vereinen und Sangesbrüdern allgemein 
bedauert. (Pf. K.) 
— In Chicago starb am 7. September der 
Pfälzer John Dieden. Er war geboren 1838 
zu Ebernburg, reiste 1848 mit seinem jüngeren 
Bruder nach Amerika und wohnte seit dieser Zeis 
in Chicago. Er war ein geachteter Bürger diesen 
Stadt und wurde zum County⸗Agent gewählt, 
welche Stelle er gewissenhaft verwaltete. Auch ver 
sah er das Amt eines öffentlichen Notars. 
— die Auswanderung in Bahyern stieg 
im heurigen Jahre bis Ende August auf 9886; 
8034 aus dem rechtsrheinischen Bahern, 1852 aus 
der Pfalz. 
— Das kgl. statistische Bureau veröffentlicht 
den Saatenstand für den Monat September; Über 
die Pfalz ist darin gesagt: Die Aussaat ist bei 
ehr günstigem Wetter fast beendigt. Getreideberichte 
ehlen. Kartoffeln versprechen guten Ertrag, den 
päten Sorten hat Regen gut gethan. Futterrüben 
und Futterpflanzen gut. Tabak und Hopfen sind 
eingeheimst. Die Grummeternte ist mittelmäßig 
ausgefallen. Wein verspricht bei gutem Wetter 
eine Mittelqualität. Sämmtiliche Distrikte klagen 
Aber Mäuseplage. 
rSchnappach, 10. Okt. Endlich ist hier 
eine Wasserleitung in Angriff genommen. 
Wenn sich das Sprichwort bewahrheitet: „Was 
ijange währt, wird gut“ so muß etwas außer⸗ 
ordentliches entstehen; denn so lange Schnappach 
steht, wird von den Bewohnern eine Leitung be— 
gehrt. Nun hat man doch dem allzustarken Drängen 
nachgegeben. Dem großen Wassermangel wird aser 
nur in sehr kleinem Maße abgeholfen, da die Leitung 
nur einen Ausfluß erhält, gegenüber der Wohnung 
des Herrn Zott. Wie man hört, soll es in füns 
Jahren besser werden, weil dann noch mehr Quellen 
zur Verfügung stehen. Die Schnappacher müssen 
vorläufig noch denken, etwas ist besser, als nichts. 
*— Am Sonntag fand in Irheim die 11. 
Bezirksversammlung der Krieger und Kampfgenossen⸗ 
VPereine des Bezirks Zweibrücken statt. Als Ver⸗ 
ammlungsort für die nächste Bezirksversammlung 
vurde Schnappach gewählt. 
— Pir masens, 9. Okt. Die Herren Bath 
zon hier und Horstmann von Thaleischweiler haben 
unter der Firma „Horstmann & Bath“ 
eine Schuhfabrik dahier gegründet. 
— Die Diphtheritis grassirt auch in 
birmasens und Heltersberg. Allen 
Schülern aus Häusern, in welchen die Krankheit 
derrscht, ist der Schulbesuch verboten. 
— Speyer, 10. Okt. Heute Vormittag 8 
Uhr begann der schriftliche Theil der Schul⸗ 
diensterspektanten⸗-Prüfung. Als Thema 
zum deutschen Aufsatz wurde gegeben: „Wer das 
Beste will, muß oft das Bitterfte kosten“. Zeit 
zur Bearbeitung: vier Stunden. Heute Nachmit⸗ 
ag schriftliche Religionsprüfung. An der Prüfung 
zetheiligen sich 120 Exspektanten u. 4 Erspektantinnen. 
— Der Stadtrath in Speyher beschloß in 
Anbetracht, daß die Stadt nun über 16,000 Ein— 
wohner zählt, über ihm zugehende Wirthschafts- 
Tonzessionsgesuche, welche sich nur auf den Aus⸗ 
schank von Bier und Wein beziehen, nicht mehr zu 
herathen, sondern dieselben direkt dem kgl. Bezirks 
imte zur Genehmigung hinüber zu gebeü, ausge 
nommen in Fällen, wo es sich um den Verschleif 
jon Branntwein handelt. Eine demnächst ein zu⸗ 
zerufende Bürgerversammsung soll hierüber noch 
näher entscheiden. 
— Neustadt, 8. Oklt. Der um 2 Uhr 11 
MNin. von Ludwigshafen heute hier eingetroffene 
S„chnellzug überfuhr zwischen den Stationen 
Böhl⸗Iggelheim und Haßloch zwei Kühe, die 
sofort todt waren. 
— Dürkheim, 8. Okt. Der größte Theil 
unserer Weingutsbesitzer ist mit der Lese der Por⸗ 
tugieser fertig. Dieselbe ist gut ausgefallen, mancht 
Stöcke gaben einen ganzen Kübel voll Trauben. 
Berkauft ist so ziemlich alles. Bezahlt wurde pro 
140 Liter Mark 10.50 - 11 - 11.50 - 12.50 bis 
13--j14. Das Mostgewicht ist 68 -72 Grad 
nach Oechsle. 
— Deidesheim, 8. Okt. In hiefsiger Ge— 
markung gelesener Portugiesermost ergab Gewichte 
von 85 —-90 Grad nach Oechsle. Ueber den 
herbstanfang verlautet noch nichts Bestimmtes. Doch 
dürfte derselbe nach Ende der nächsten Woche be— 
ginnen; denn infolge der trüben, zwar doch nicht 
ungünstigen Witierung fangen die Trauben an zu 
faulen und wäre bei längerem Hinausschieden 
Derbstanfanges ein nicht ganz unbedeutender Ah de 
der Quantiiat zu erwarten. gan 
Vermischtes. 
FSaargemünd, 8. Okt. Der Nanio 
hauptort Rohrbach hat in der Person deg 
tonalarztes Dr. Seeves daselbst einen Berufsbin n 
meister erhalten. Es ist dies die drine Gu 
im hiefigen Kreise, welche auf Grund des “ 
Bürgermeistergesetzes einen Berufsbürgermeister 
halten hat. Dem Vernehmen, nach soll auch 
Stadt Bitsch binnen kurzem einen solchen —* 
F Muünchen. Se. K. H. der Prinz⸗Regen. 
hat hier einen Doppelgänger von tauschende 
Aehnlichkeit in Gesichtsbildung und Barwug⸗ 
Daß Herr St., ein früherer Gutsverwalter, ein 
großer als Prinz Luitpold ist, wird leicht i 
sehen. Dem Reichsverweser ist diese frappare 
Aehnlichkeit ebenfalls schon aufgefallen, und —X 
sich beide Herren begegnen, pflegt Prinz —X 
seinen Doppelgänger vdesonders liebenswürdig ßn 
jegrüßen und seine Umgebung auf dieses Spi 
Natur aufmerksam zu machen. Die große Aehnlich 
eit trägt Herrn St. infolge der leicht erklarlich— 
Berwechselung mit dem Prinz Regenten vielfach 
Ehrenbezeugungen, aber auch manche Verlegenha 
ein. Wiederholt trat die Wache vor ihm im 
Bewehr, Soldaten, Gendarmen, wie Ojfiziere au 
inderen Garnisonen erwiesen in Frontstellung 
honneur und auch zahlreiche Civilisten grulßze 
derrn St. in ehrfurchtsvollster Weise, ohne daj 
der Doppelgänger sich dieser Verlegenheit zu enn 
ziehen weiß. Zu einer ergötzlichen Scene ist « 
kürzlich in einem hiesigen Brauhaus gekommen, da 
vermöge seines prächtigen Stoffes ein Wallfahrts 
ort für die echten Bierkenner geworden ist. Zu 
Dämmerungszeit kam nämlich Herr St. ins „Thal“ 
wanderte bedächtigen Schrittes, das weiße Haud 
gebeugt, dem „Sternecker“ zu. Vor dem Brau— 
haus standen einige Dienstmänner, die hoch erstaun 
über den Besuch des „Prinz⸗Regenten“ in diesen 
patriarchalischen Bierhaus die Kunde: „Der Prinz 
Regent ist beim Sternecker“, rasch verbreiteten 
Den Prinz ·Regenten hinter seiner „Maß“ siztzen p 
sehen, war natürlich das Bestreben sehr vieler Thah— 
bewohner. Das kleine, raucherfüllte Lokal konnt 
an jenem Abend die Gäste nicht fassen; doch nich 
lange konnte die Täuschung andauern, es über— 
samen die Neugierigen doch gar bald gewichtige 
Zweifel, ob der ehrwürdige Weißbart wirklich de 
Prinz⸗Regent sei, da derselbe in Gesellschaft alte 
Bierkiefer saß, die jedes Kind in dem Viertel kennm 
und die sehr ehrenwerth, aber keineswegs hoffahig 
sind, um eine ständige Gesellschaft für den Verwese 
des Königreichs Bayern zu bilden. Und als be 
Ankunft einer frischen Maß der Doppelgänger ga 
nit seinen Nachbarn anstieß und selbe ein fröhlich 
„Prosit Herr St.!“ riefen, da zogen die Neugierigen 
rasch ab. Im „Thal“ weiß man es nun, daß der 
tägliche Passant nicht der Prinz⸗Regent ist. In 
anderen Vierteln der Residenz aber muß es fich 
Herr St. gar oit gefallen lassen, für den Regenler 
Bayerns gehalten zu werden. 
F München, 9. Okt. Nach dem „Fr. K 
sei der Gesundheitszustand des Hr. Erzbischofs 
Schreiber zu Bamberg ein sehr bedenklicher. 
F Am 16. ds. findet zu Lands hut die feiet 
liche Enthüllung des Denkmals König Ludwig! 
statt. 
F Kempten, 9. Okl. Gestern Abend kolli 
dirte ein österreichischer Dampfer mit dem bayerischen 
Dampfec „Stadt Lindau“ beim Hafen von Lindau 
Der Dampfer „Stadt Lindau“ sank und J Personen 
werden vermißt; 3 Leichen sind bereits aufgefunden 
worden. 
F Würzburg, 8. Okt. (Faulenbergprozeß 
Das Gericht beschloß die Beeidigung des früher de 
Mitschuld verdächtigten Offizial Ehrlich, entgegen 
den Anträgen der Vertheidiger, was im Publikum 
viel besprochen wird. Der Staatsanwalt beantragt 
für Dörr 124 Jahr, für Weidner 9 Monate, fü 
Oberlechner 6 Monate Gefängniß. Die Vertheidiger 
beantragten Freisprechung, bei Dörr eventuell da 
Minimum. Das Urtheil wird am 14. Oktober“ 
Uhr verkündigt werden. 
fMannheim, 8. Okt. Auf dem Vorplah 
des Postgebäudes wurde gestern Nachmittag ein 
etwa 25jaähriger Mann in dem Augenblick verhaftet 
als er einen postlagernden Brief am Schalter ir 
Empfang nehmen wollte. Die Verhaftung erfolgh 
durch einen hiesigen Criminalschutzmann in Fola