Full text: St. Ingberter Anzeiger

I AVU —W 
Aunntliches Organ des koͤnigl. Amtsgerichts St. Ingbert. — 
der „St. Angber ter Anzeiger erscheint wöchentlich fünfmal: Am Moutag, Dienstag, Donnerstag, Samstag und Sonntag; mal woͤchentlich mit Unterhaltungs 
Blati und Sonntags mit Sseitiger illustrirter Beilage. Das Blatt kostet vierteljahrlich 1 A 60 einschließlich Tragerlohn; durch die Post bezogen 14 75 HZ, einschließlich 
40 ⸗ Zustellungsgebu hyr. Die Einrückungsgebühr für die 4gespaltene Garmondzeile oder deren Raum beträgt bei Inseraten aus der Pfalz 10 —, bei außerpfälzischen und solchen 
auf welche die Erpedition Auskunft ertheili, I35 ⸗, Neklamen 30 . Bei 4maliger Einruckung wird nur dreimalige berechnet. 
— —rg—— —— — — 
Samstag, 5. Februar 18xk13. 22. Jahrg. 
26.. v 
Polilische Uebersigi. 
NUeber die politische Lage wird der offizibsen 
Wiener Presse“ aus Berlin geschrieben: 
Die politische Lage des Augenblicks ist ernster, 
As man nach den Versicherungen, die man in den 
etzten Tagen erhalten hat, glauben sollte. Die 
Rutsche Reichsregierung hat zwar durch das mit 
hr in-Verbindung stehende journalistische Organ 
die Allarmnachricht der „Daily News“ entschieden 
dementiri, aber“ das hindert nicht, daß man in 
maßgebenden Kreisen den fortdauernden, täglich 
wvachfenden Kriegsborbereitungen Frankreichs einen 
für den europäischen Frieden geradezu bedrohlichen 
Tharakter beimißt, Alle Friedensversicherungen, 
velche aus der franzoͤsischen Presse in die publi⸗ 
zistischen Organe der deutschen-Oppositionspartei 
uͤbergehen, lönnen an dieser Auffassung der Reichs⸗ 
regierung nichts ändern. Nichts ist unpatiotischer, 
als die Losung, welche von der Oppositionspresse 
ausgegeben wurde; der Reichskanzler erzeuge durch 
riegerische Nachrichten eine künstliche Beunruhigung, 
um auf die Wahlen einzuwirken. Die Regierung 
setzt in die politische Reife der deutschen Wähler⸗ 
schaft Vertrauen genug, um auf die Einwirkung 
durch so verhangnißvolle Mittel verzichten zu können. 
Aber gesetzt den Fall, die Besorgnisse, welche in 
den letzten Wochen laut wurden, seien übertriebene 
und Aunstlich herbeigeführt, um auf die Wahlen 
einen Einfluß auszuuben, so ist es doch merkwürdig, 
daß die friedliche Auffafsung der Oppositionspartei 
nit jener der Revanchepresse in Frankreich und der 
panslavistischen Presse in Rußland so vollständig 
uͤbereinssiimmt. Wenn irgend etwas geeignet ist, 
die unpatriotische Haltung der Opposition: zu 
harakterisiren, so ist es die Thatsache, daß sie 
Hand in Hand geht mit den erklärten auswärtigen 
Feinden des Reiches. * 
Es liegt gewiß nichts vor, was den Ausbruch 
eines Krieges in zehn Tagen befürchten ließe, aber 
s gehört ein durch die Verhältnifse ganz und gar 
aicht gerechtfertigter Optimismus dazu, die Behaup⸗ 
ung aufzustellen, daß der Eintritt des kritischen 
Zeilpunktes auch auf zehn Monate hinausgeschoben sei. 
Die Moöglichkeit ist nicht ausgeschlossen, daß 
nach den Neuwahlen, wenn dieselben im Sinne 
der Regierung ausfallen, eine für den Frieden 
günstigere Stimmung Platzz greifen wird. Es 
—A 
Oppositionsprefse vertretenen Anficht zu erblicken, 
daß die Beunruhigung“ nichts Anderes als ein 
Wahlmanöver war Wenn ein Freund dem andern 
tath.r sein nHaus, das mit Schindeln gedeckt ist, 
berficharn zu lassen; wenn er seine Indolenz durch 
ortdauernde Ermahnungen zu befiegen fucht; wenn 
ex ihm die Gefahr eines Brandes und seine schreck⸗ 
lichen Folgenntäglich in den lebendigsten Farben 
schildert; wenn er ihn endlich dazu bewegt, den 
Verficherungs-Agenten aufzusuchen, und wenn er 
dann imit einemmalaufhoͤrt, von Brand und Ver⸗ 
wüstungen zu sprechen — wird man ihm egoistische 
Regungen oder übertriebene Aengstlichkeit vorwerfen ? 
Wird man nicht; vielmehr seine Wachsamkeit loben 
und seinem Eifer Dank wissen d 
tDexr. Optimismus, der feit einigen Tagen 
durchndien Zeitungen geht, macht sich auch in der 
Auffassutzg geltend, welche in ganz Eucopa der 
ulgaxischen Frage entgegengebracht wird. Man 
ühlt. sich ndurch die Antundigung bon eventuellen 
ꝓmeinsamen Besprechumgen der Botschafter in 
donstantinopel angenehm erleichtert die Herren 
M 
nögen sich nur über den verwickelten Kasus die 
köpfe zerbrechen; fie werden schon fertig werden 
nit dem Schreihals, der die Geduld der Mächte 
eßt lange genug in Anspruch genommen hat. Das 
s die allgeineine Stimmung, mit welcher man den 
Arbeiten der Botschafter entgegensieht. Aber auch 
sier thut eine Korrektur noih. Vor Allem muß 
onstatirt werden, daß troß aller gegentheiligen 
Versicherungen an eine förmliche Berathung der 
zulgarischen Frage in einer gemeinsamen Konferenz 
»er Boischafter in Konstantinopel nicht gedacht 
vird. Der russische Botschafter, als der Vertreter 
ʒerjenigen Macht, welche den Gedanken einer ge⸗ 
neinsamen Erörterung und Lösung der Frage an⸗ 
jeregt hat, und welche zunächst an dieser Loͤsung 
nteressirt ist, wird sich mit den einzelnen Ver⸗ 
retern der Mächte ins Einvernehmen setzen, das 
eißt, er wird mit jedem einzelnen Botschafter eine 
rinigung zu erzielen trachten, und so schrittweise 
ie Zustimmung aller Vertreter zu seinen Vor ⸗ 
chlägen zu erlangen suchen. Allein nichts sprich! 
afür, daß diese Pourparlers einen greifbaren Er— 
olg haben werden, so lange das Zankow'fche Pro⸗ 
gramm als die Grundlage der Verhandlungen be⸗ 
seichnet wird. Es ist jedenfalls eine voreiligt 
Hoffnung, die durch die Thatsachen schon in der 
lernächsien · Zeit Lügen gestraft werden könnte, 
daß die bulgarische Frage durch den Beginn der 
Boischafter⸗ Unterhandlungen aus der Welt geschafft 
worden ist. Sie ist in ein neues Stadium ge⸗ 
teten, und es gehoͤrt nicht viel dazu, dasselbe als 
cin besseres Stadium zu bezeichnen — das ist 
Atles, was in diesem Augenblicke zur Charakteriflit 
der Situation im Südosten Europas gesagt werden 
kann.“— 
Ueber die so vielbesprochene Maßregel der Ein— 
ziehung von Reservisten und Dispositions- 
U rlaubern im Februar in Höhe von 75000 
Mann wird öfficioͤserseits geschrieben; „Diese 
Maßregel kommt nur bei denjenigen Armeccorps 
n Anwendung, welche bereits mit dem Repetir⸗ 
zewehr vollzählig ausgerüstet sind, alfo vorzugs⸗ 
veise bei den Armeecorps der westlichen Provinzen. 
Eẽs ist demnach beabsichtigt, die Einziehung der 
Reservisten zu dem in Rede stehenden Zwecke nicht 
ahrgangsweise vorzunehmen, sondern armeecorps⸗ 
veise, und wenn man die Zahl der Armeecorps 
velche mit dem Repetirgewehr bewaffnet sind, in 
die Zahl 78,000 dividirt, so ergiebt fich, daf 
erstere auf kurze Zeit — während zwoöͤlf Tage — 
ꝛinen unverhältnißmäßig hohen Mannschaftsständ 
nufweisen werden, der sogar die Kriegsstärle theil⸗ 
veise übertrifft. Eine Wiederholung dieser Maß⸗ 
zegel ist dann bevorstehend, wenn wiederum eine 
Anzahl Armeecorps mit der neuen Waffe versehen 
ein werden.“ Es ist in dieser Darstellung nichts 
enthalten. was den früheren beruhigenden Erklä⸗ 
rungen über Charalter und Zweck dieser Einzieh— 
ingen widersprechen, könnte. Sie stellen sich als 
ine Maßregel des regulären militärischen Dienstes 
dar und wenn sie diesmal früher als in anderen 
Jahren erfolgen so muß hierbei eben berüchichtigt 
verden, daß die Einübung der Reserdisten rund be⸗ 
arlaubten Mannschaften im Gebrauche der neuen 
Waffe mit thunlichster Beschleunigung erfolgen soll. 
lebrigens ist das 12. Armeecorps (Koönigreich 
Sachsen) mit dem; Repetirgewehr ebenfalls schon 
ahezu vollständig ausgerüsttete. 
Während die Berliner,Germania“ noch fort⸗ 
zesetzt behauptet, daß der Papst sich nicht in die 
nneren deutschen Angelegenheiten, das heißt in die 
Frage der Annahme des Septennats einge— 
mischt habe, gesteht jetzt die „Kölnische Volksztg.“ 
diese Einmischung als thatsächlich erfolgt zu. Sie 
läßt sich aus Rom melden, daß der heilige Vater 
vor der Abstimmung über die Militärvorlage einem 
hervorragenden Mitgliede des Zentrums den Wunsch 
ausgesprochen hat, die Partei möge erwägen, ob sie 
nicht der Reichsregierung dahin entgegen kommen 
tönne, daß sie das Gesetz einschließlich des Sep⸗ 
tennals annehme. Auf der andern Seite habe aber 
auch der heilige Vater die Gründe, welche das 
Zentrum bei seinem ablehnenden Verhalten geleitet 
haben, vollauf gewürdigt; er wolle in keinem Falle 
bie freie Entschüeßung der Partei behindern, deren 
große Verdiensie er anerkenne. Damit ist also die 
Thatsache, auf die es in erster Linie anlommt, 
sesigestellt. Daß der Papst seine Wünsche uud Be⸗ 
ehle nicht in die Form militärischer Kommandos, 
sondern väterlicher Etmahnungen zu kleiden pflegt, 
das weiß die Welt. Wir haben auch schon früher 
heiont, daß das Motiv des päpstlichen Schrittes 
hne Frage der Wunsch war, seinerseits zur Erhal⸗ 
ung des Friedens, der ihm natürlicherweise am 
Herzen liegt, beizukiragen. Ist ja doch die Frage 
im die es sich hier handelt, keine solche der innern 
Politik im gewöhnlichen Sinne, sondern eine Frage, 
hei der es sich ganz vorzugsweise um Krieg oder 
Frieden handelt, da nur Rein starkes, von den 
uropaischen Ruhestörern gefürchtetes Deutschland 
ur die Sicherstellung des Friedens einigermaßen 
Zarantie bietet. Uebrigens ist es bezeichnend, daß 
ener Zentrumsführer, an den das päpstliche Schrei⸗ 
»en gerichtet war, trotz des entgegengesetzten Wun⸗ 
ches des Papftes, sich nicht veranbaßt ge— 
ehen hat, seinen Fraktionsgenossen von dem 
Inhalte desselben Kenniniß zu geben, sondern es 
ielmehr unterschlagen und vor der Well abgeleug⸗ 
jet hai. Der Grund, liegt auf der Hand: im 
Jentrum saßen eine Reihe Mitglieder, man denke 
jur an die schlesischen Grafen, den württemberge 
schen Grafen Adelmann, die bekannten bayrischen 
Mitglieder, die ohne weiteres und sehr gern für 
as Septennat gestimmt, haben würden, wenn sie 
en papstlichen Wunsch gekannt hätten. Das paßte 
iber den Herren, an die das päpstliche Schreiben 
gerichtet war, nicht, und so ließen sie wieder tine 
nal den Zwed die Mittel heiligen. 
Die „Str. Posti“ schreibt: Von Tag zu Tag 
vachst die allgemeine Beunruhigung wegen der au⸗ 
eblich drohenden, Kriegsgefahr. Sie —XRX 
in schwererx Alp auf den Massen: Handel. Ge⸗ 
verbe und Industrie liegen so schlimm darnieder, 
As wenn wir beteits in kriegerischen Zeiten lebten, 
ind die Stimmung wird in breiten Beyollexungs⸗ 
chichten immer trostloser. . Wohin man lommt. 
vo auch immer mangeht und steht, überall hört 
nan vom Kriege sprechen ‚ jede Post bringt, Zue 
chriften von Veuten, die privatim, und- „er⸗ 
raulich“ wissen wollen, wie es denn eigentlich stehe 
ind ob wir den Krieg wirklich unmittelbar vor 
ins haben. Es liegt eine große Gefahr in diesem 
Zustande Es wird unsere politische Stimmung 
hurch die ewigen Reden von dem unmittelbar 
rohenden Kriege: so rempfindlich und neryös, daß 
chließlich gerade von, dieser Seite eine direlte Ge⸗ 
ahr erwächst. Wir halten etz deßhald flur angee 
zracht, zum so und so vielsten Male zu wieder 
Jolen und beruhigend darauf hinzuweisen, daß eine 
mmittelhare Kriegsgefahr nicht besteht, d. h., daß 
in einzelnes Vorkommniß, welches zur Kriegser⸗ 
Järung Anlaß geben könnte, zur Stunde nich