Full text: St. Ingberter Anzeiger

vt Angherter Amzeiger 
Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert. 
der „St Jugberter Anzeiger“ erscheint wöchentlich fünfmal: Am Montag, Dienstag, Donnerstag, Samstag und Sonntag; 2 mal wöchentlich mit Unterhaltungs 
Zlatt und Sonntags mit —— illustrirter Beilage. Das Blatt kostet vierteljährlich 1 M 60 einschließlich Trägerlohn; durch die Post bezogen 1 M 75 2 einschlie ßüch 
10 HZustellungsgebuhr. Die Einrückungsgebünr fur die Agespaltene Garmondzeile oder deren Raum beirägt bei Inseraten aus der Pfalz 10 —, bei außerpfälzischen und solchen 
auf welche die Expedition Auskunft ertheilt, I5 4. Meklamen 80 . Bei 4maliger Einrückung wird mur dreimalige berechnet 
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Deutsches Reich. 
München, 21. Diz. Se. lönigl. Hoheit 
»er Prinzregent hat auch heuer wieder genehmigt,! 
»oßßz dem Stadtmagistrate 1800 Mk. aus der 
Brivatschatulle zur Verfügung gestellt werden, 
velche unter die hiesigen Stadtarmen noch vor 
Weihnachten veriheilt werden. 
Ausland 
Wien, 22. Dez Aus Sofia wird gemeldet: 
Auf Befehl des Kriegsministers trafen saämmtliche 
Brigade Offiziere dort ein, um unter dem Vorsiße 
cs Fürsten eine Berathung über die Landesver—⸗ 
heidigung in der Siunde der Gefahr abzuhalten. 
Wien, 28. Dez. Aufshen erregt laut „Fr. 
zournal“ eine anscheinend inspirirte Mittheilung der 
Neuen freien Presse“, welche erllärt, es scheine 
mlich sicher zu sein, daß unserer Regierung von 
Jetersburg aus offiziös beruhigende Miittheilungen 
ind Auftlärungen gegeben worden seien. die 
ussischen Truppenve schiebungen seien angeblich nur 
dousrquenzen der Reorganisausn der russischen Armee 
ind hätten keinen prodozirenden Charakter, sondern 
diglich den Zwed der Grenzvertheidigung. 
Wien, 28 Dez. Aus Sofia wird dem Fr. 
Journal“ gemeidet, Prinz Ferdinand sei entschlossen, 
mer Aufforderung, Bulgarien zu verlassen, nicht 
u folgen, so lange er sich im Einklange mit der 
zebölkerung befinde. 
Brüssel, 22. Dez. „Etoile Belge“, dessen 
zariser Korrespondent die Sielle eines Direktors 
m Auswärtigen Amte bekleidet, kündigt den Erlatz 
iner Kollektwnote über den Prinzen von Koburg 
in, worin dieser zum Verlassen Bulgariens aufge— 
ordert und die Einberufung einer neuen Berliner 
donferenz angeregt wird. 
Sofia, 21. Dez. Unter dem Vorsitze des 
Brinzen Ferdinand fand gestern ein Kriegsrath slatt, 
velcher sich namentlich mit der Anschaffung neuer 
Hewehre beschäftieite 
Lokale und pfälzische Nachrichten. 
*Si. In 4bert, 24. Dez. Die Feier des 
»Ojährigen Priesterjubilaums Sr. Heiligkeit 
»es Papstes Leo XIII wird am zweiten Weihnachts⸗ 
eitrtage auch in unserer Stadt in entsprechender und 
vpürdiger Weise begangen werden. Vormittags 10 
Uhr findet frierlicher Festzug zum Haupigottesdienst 
fatt, abends 5 Uhr ein Lampionzug durch die 
caiser⸗ und Josephsstraße; den Schluß bildet dar⸗ 
zach eine Festversammlung im Oberhauser'schen 
Saale. Näheres über dieses Programm der Fest 
ichkeiten desogt die in dieser Nr. enthaltene Anzeige 
ves Comites, auf die wir deshalb verweisen. 
L. Ein schönes Weihnachtsgeschenk bietet das 
Resige photographische Geschäft von Ollig, ein 
Ulbum von St. Inabert, das von Blatt zu 
Blatt unser steigendes Wohlgefallen gefunden hat. 
Ddie künstlerische Ausführung wie die äußere Aus⸗ 
tattung verdient das höchste Lob; krin dedeuten- 
eres Gebäude, kein Theil der Stadi, kein wichti⸗ 
reres Etablissenment ist übersehen worden; jeder 
indet, was ihn interessirt. Für auswärtige Ange- 
idrige läßt sich kaum ein schöneres Geschenk finden; 
s wird sicher Freude bereiten. Möge das unsere 
Stadt in hohem Maße zur Ehre gereichende Unter⸗ 
zehmen freundliche Förderung finden! Um seiner 
illgemeinen Bedeutung willen durfte dasselbe im 
St. Ingberter Anzeiger“ nicht unerwähnt bleiben; 
die Leser desselben werden für den Hinweis dank— 
nar sein. 
Sonntaq, 25. Dezember 1887. 
2. Jahrg. 
Vermischtes. 
derbstgedanken eines Sachsen. 
Zerbst is wieder — Herbst is wieder! 
Fehmersch, friert mebr an die Glieder; 
Nu is alle mit dem Schwitzen, 
s giebd bald rodhe Nasenspitzen, 
stiemand kann mähr barfuß loofen 
kohlen missmer och bald koofen 
Doch e Drost is bei dem Beesen, 
s giebd nu bald e Schälchen Heesen, 
Legd mer sich zum Schlafen nieder — 
Herbst is wieder — Herbst is wieder! 
7 Paris, 21. Dezbr. Die Polizei glaubt, 
etzt den lange gesuchten Genossen Pranzinis ge— 
unden zu haben. Vor einigen Tagen wurde in 
zercksutr-Mer in dem Gasthause „Zum Rendezvous 
er Kutscher“ ein Doppelmord an dem Besitzer des 
Basthauses und dessen Frau, den Eheleuten Flas— 
jue, begangen und bei dieser Gelegenheit ein Koffer 
nit Werthpapieren gestohlen. Die Gendarmen 
aben als muthmaßlichen Thäter einen gewissen 
Anatole Joly verhaftet. Das Vorleben dieses 
Nenschen ist ein förmlicher Roman. Er spricht 
nehrere Sprachen und lebte in verschiedenen großen 
Städten und Bädern jahrelang auf dem elegantesten 
Fuße. Man weiß, daß Joly im Orient, in Ruß⸗ 
and und Persien fich aufhielt, plötzlich in Berck 
erschien und vom Direktor des Casinos als Crou- 
pier angestellt Hurde. Als sich das Gerücht von 
der Ermordung der Eheleute Flasque verbreitete, 
wvar Joly einer der ersten aaf dem Thatorte. Er 
eistete dem Arzte Beistand und befleckte sich ber 
dieser Gelegenheit fast absichtlich mit Blut. Bald 
entstanden schwere Verdachtsgründe gegen ihn. Die 
Behörde erfuhr, daß Joly abreisen wollte, und ließ 
ihn verhaften. Man untersuchte seine Wohnung 
und fand daselbst mit Blut bedeckte Wäsche, falsche 
bärte und andere ihn compromittirende Gegen 
tände. Man stand einem Verbrecher gegenüber, 
der ebenso viel Energie entwickelte wie Pranzini. 
Joly hat erzählt, daß er mit Pranzini bekannt sei. 
Man erinnert sich vielleicht, daß in dem Prozesse 
Zranzini vielfach von einem Anatole die Rede war. 
)amals glaubte man, daß dieser Anatole ein fin- 
sirter Name sei; j tzt entdeckte man, daß Joly mit 
einem Vornamen Anatole heißt. Sollte Joly 
ener Anatole sein, von dem man seiner Zeit so 
iel sprach, und den der Portier der unglüucklichen 
Marie Regnault um 11 Uhr Nachts in das Haus, 
n dem der Mord geschah, eintreten sah? Noch ein 
Zerdachtsgrund erhob sich. Die Eheleute Flasqne 
ourden genau so umgebracht, wie Marie Regnauli 
uind Anna Gremeret, dieselben Wunden am Halse, 
in den Schlagadern. Wenn man Joly an seine 
von ihm selbst erzählten Beziehungen zu Pranzini 
rinnert, giebt er keine Answort oder weicht der 
Frage aus. Man ift auf das Ergebniß der wei— 
eren Untersuchung ungemein gespannt. 
F Paris, 19. Dez Die Verdachtsgründe 
segen den Secondelieutenant Chatelain, der Lebel— 
sewehre und Festungspläne an Deutschland ausge— 
iefert haben soll, häufen sich immer mehr. Es ist 
war sehr zweifelhaft, ob der Versuch des Hoch⸗ 
erraths wirklich zur Ausführung gekommen ist, 
doch ist genug Anklagematerial vorhanden, um ihm 
en Prozeß zu machen. Die Civil nicht die Mi— 
tärgerichte werden voraussichtlich mit der Anklage 
etraut werden, da zwei Frauenzimmer in den 
zZrozeß verwickelt sind, und dieselben nach der fran⸗ 
sischen Gerichtseorduung nicht vor dem Militär— 
ericht erscheinen dürfsen. Die Voruntersuchung 
wird bereits von der Civilgerichtsbarkeit geführt. 
Chatelain ist in das Gefängniß von Nizza abge— 
jührt worden, wo sich bereits seine Maitresse Jo—⸗ 
sephine Grac befindet. Außer dem bei der Letzteren 
gefundenen Briefe an den dentschen Konsul in Nizza 
hat man noch Briefe an den Ministerpräsidenten 
Crispi und an deutsche Offiziere gefunden, die merk⸗ 
vürdiger Weise alle nicht abgeschickt worden sind. 
Thatelaine bemüht sich, glauben zu machen, daß 
man ihn zum Hochverraih habe anstiften wollen. 
Diese Versicherungen finden wenig Glauben. Man 
st vielmehr der Meinung, daß er aus eigener 
Initiative sich zur Lieferung von Lebelgewehren und 
Festungsplänen erboten hat. 
F Die tödtlich gekränkte Madame 
Brevy. Der alte Grevy, daran ist nicht zu 
weifeln, trägt sein Mißgeschick das ihm nach einem 
angen, nicht unverdienstlichen politischen Leaben die 
Volksgunst gründlich entzogen, mit männlicher 
Fassung. Der Greis verließ, nachdem er seine 
Ersparnisse in Sicherheit gebracht, aufrechten Hauptes 
das stolze Elisse, um sich von da in sein eigenes 
Haus zu begeben und darin erinnerte der Mann 
noch an den „französischen Aristides“, den man 
ihn nannte, als seine politischen Tugenden durch 
die bkonomischen noch nicht verdunkelt waren. — 
Nicht so seine Frau. Der jähe Sturz von der 
Spitze der französischen Gesellschaft hinab in das 
Gemengsel der Allgemeinheit hat die Gattin des 
Präsidenten aller Haltung beraubt. Mann schreibt 
aus Paris, deß sich Madame Grevy von der 
Stunde an, als sie als „Abgesetzte“ ihr Haus in 
der Rue de Jenga betrat, zu Bette begeben hatte, 
und seither beharrt sie darauf, ihr Lager nicht zu 
berlassen. Die Aerzte. welche man herbeigeholt, 
hJaben erklärt, daß die Ex-Präsidentin vollkommen ge⸗ 
und sei und daß ihre Weigerung nur in einer 
ixen Idee ihren Grund finde. Madame Gtrevy 
aber hält an ihrem Enischlusse fest und hat nur 
die eine Antwort auf die Frage, wann sie sich 
vieder zu erheben g denkt: „In sieben Jahren, 
venn mein Gatte wieder jum Praäsidenten der 
Kepublik erwählt werden wird.“ Madame Grevy 
»erkehrt mit Niemandem, spricht fast gar nicht, 
nimmt jedoch ihre Mahlzeiten mit gewohnter Regel⸗ 
mäßigkeit. 
F Die Oberin des deutschen Hospi— 
hals in Philadelphia, Frau Marie 
drüger, ist dieser Tage gestor ben. Frau 
strüger war vor 62 Jahrten in Ehrenbreit— 
tein geboren, verheirathete sich sehr jung mit 
einem preußischen Offizier, den sie nach kurzer 
Ehe durch den Tod verlor, und trat dann im 
Alter von 19 Jahren in die Diakonissenanstalt zu 
daiserswerih ein. Nach abgelegter Probezeit war sie 
in London, Altona und Iserlohn, wo sie ein Kranken⸗ 
Jaus eingerichtet hat, thätig, wurde auch während 
»es deutsch französischen Krieges in Feldlazarethen 
zur Krankenpflege verwendet und leitete das Feld⸗ 
lazareth Dijonville mit großem Erfolg. Als An⸗ 
erkennung für ihr segensreiches Wirlen wurden 
ihr die Kriegsauszeichuung von 1866 und 1871 
»as Louisenkreuz, der höchste preußische Frauen⸗ 
Orden, verliehen. Vor 350 Jahren kam sie auf 
Beranlassung des deusschen Konsuls, Herrn Charles 
H. Mayer, mit 6 Diakonissen nach Philadelphia 
und übernahm die Leitung des deutschen Hospilals. 
Ihre aufopfernde und segensreiche Thätigkeit ift 
ramentlich den zahlreichen Kranken, welche im 
Deutschen Hospital die Pflege der Diakonissen ge— 
nossen haben, wohlbekannt.