Full text: St. Ingberter Anzeiger

Ein Artikel des „Pester Lloyd“, der auf 
Andrassyschen Mittheilungen beruht, sagt: Rach der 
Publikation sei klar, daß jeder der Alliirten bezüg⸗ 
lich seiner Politik freie Hand habe. Danach ist 
derständlich, daß Deutschland fich so wenig um 
Bulgarien zu kümmern braucht, wie wir Oester⸗ 
reicher um Elsaß⸗Lothringen. Aber die wohlwollende 
Neutralität, die für diesen Fall stipulirt ist, bezeichne 
nicht das Maximum der gegenseitigen Leistungen, 
und denkbar wie wahrscheinlich sei, daß die Alliirten 
auch in diesem Falle sich gegenseitig unterstützen. 
Die Publikation sei der letzte Appell an die beson⸗ 
aenen Kreise Rußlands, aber trotzdem nicht das 
Signal eines unmittelbar bevorstehenden Krieges. 
Der Artikel bestätigt ferner, daß Bismarc bereits 
im vorigen Jahre die Publikation angetegt hat, 
und feiert Andrassys Verdienste um den Abschluß 
des Bündnisses. 
Ueber die Tripelallianz verlautet, daß der be⸗ 
treffende Vertrag gewissermaßen eine Ergänzung des 
austxo⸗deutschen Vertrages sei und für Deutschland 
die Deckung seiner westlichen Grenze bedeute; wie 
das austro-deutsche Büundniß sich gegen einen An⸗ 
zriff Rußlands richtet, so wendet sich das deutsch⸗ 
talienische Bündniß gegen einen Angriff Frankreichs. 
Doch verpflichtet der Vertrag zwischen Italien und 
Deutschland die beiden Kontrahenten nicht, einander 
nit der gesammten Kriegsmacht ihrer Reiche bei⸗ 
zustehen; vielmehr ist Italien verpflichtet, 
jalls Deutschland von Frankreich an⸗ 
gegrisfen werden sollte, eine Streit⸗ 
macht von 300,000 Maun an den 
Alpenpäfsen aufzustellen, während Deuisch⸗ 
land im Falle eines Angriffes von französischer 
Seite auf Italien die Pflicht hat, eine Armee von 
ebenfolcher Stärle an der französischen Grenze zu 
fonzentriren. Auch das deuisch-italienische Bündniß 
bezieht sich nur auf den einzigen Fall eines von 
Frankreich ausgehenden Angriffs. Ein Angriff, der 
von einer anderen Macht ausgeht, verpflichtet die 
Alliirten nur zu einer wohlwollenden Neutralität, 
ausgenommen den Fall, daß Frankreich sich anschickt, 
den gegnerischen Angriff durch irgend eine Koope⸗ 
ration zu unterstützen, in welchem Falle gleichfalls 
der Casus foederis gegeben ist. Auch der italienisch⸗ 
deutsche Allianzvertrag enthält Erklärungen über 
den rein defensiven Charakter dieses Bündnisses. 
Wien, 5. Febr. Das „Ftemdenblatt“ führt 
in einer weiteren Besprechung der Publikation des 
Friedensbündnisses aus, daß das Bundesverhältniß 
mit feinen ausschließlich konservativen und den 
Frieden Europas beschirmenden Zielen den wahren 
Wünschen der Völker dieser Reiche vollkommen ent— 
spreche. Was die Staatskunst überhaupt vermochte, 
was sie, von edlen Zwecken geleitet, für die Sicher⸗ 
heit des Friedens und der Staaten an ethischen 
and materiellen Garantien aufzubieten im Stande 
war, das sei von der deuischen und österreichisch⸗ 
ungarischen Diplomatie geschehen. 
Wien, 5. Febt. Der ‚N. Fr. Pr.“ wird 
iber Belgrad gemeldet, daß am 30. Januar ein 
Attentat auf den Fürsten Fecdinand von Bulgarien 
versucht worden sei, indem Eisenbahnfchienen bei 
Rademahale ausgehoben wurden, was jedoch recht ⸗ 
zeitig enldeckt wurde. Viele Verhaftungen seien in 
Philippopel und Umgebung vorgenommen worden. 
Ferdinand der Unbestätigte lebt offenbar 
der Ueberzeugung, daß man in der Faschingszeit 
der Thorheiten nicht genug begehen könne. So 
soll er sich neueroings mu den Gedanken tragen, 
fich zum König von Bulgarien ausrufen 
zu lassen. Ofsiciöss wird verbreitet, das Heer 
vünsche diese Standeserhöhung lebhaft, und man 
werde dieselbe namentlich sofort vollziehen, wenn 
Kußland ernstlich Miene mache, loszuschlagen. 
Paris, 5. Febr. Die „Debats“ erklären, 
der Vertrag müsse unvollständig veröffentlicht sein, 
da er nichts darüber verlautbare, was geschähe, 
wenn Rußland im Orient angreift. Nach den 
„Debats“ bezweckt die Veröffentlichung weniger eine 
Drohung an Rußlands Kaiser, oder eine Warnung 
an die Panslavisten, als vielmehr eine feierliche 
Kundgebung an die Kriegspartei Europas überhaupt 
über die unerschütterliche Festigkeit des Bündnisses. 
Nach dem „Gaulois“ würde diese Veröffentlichung 
eine Neugruppirung der Machte fördern. Lockroys 
„Rappel“ sieht die Publikation als ein Ultimatum 
an Rußland an und hält einen europäischen Krieg 
für unvermeidlich. Frankreichs Rolle sei, sich ruhig 
und bereit zu halten. Das radikale „XIX. Siecle“ 
meint, die Veröffentlichung hätte den Zweck, das 
stark erschütterte Vertrauen Oesterreich Ungarns zu 
zem deutsch österreichischen Bündniß wieder zu be⸗ 
leben. Die radikalen Blätter bleiben dabei, Ruß 
'and werde sich nicht einschüchtern lassen. Das 
Fzarenreich bedrohe den Frieden nicht, — die Pro⸗ 
‚okation käme von Deutschland. Diese Blätter 
eien vor Allem bemüht, die Kriegsverantwortung 
»on Rußland abzuwälzen. „Voltaire“ meint, die 
Zeröffentlichung bezwecke, die österreichischen Slaven, 
ie nach Rußland drängen, zurückzuhalten; das 
vürde aber nicht gelingen und könne nur glücklichen 
Finfluß auf die russisch französischen Beziehungen 
zusüben. In fast allen Blättern herrscht Verwun- 
erung darüber. daß in dem Vertrag nur Rußland 
senannt ist. Man fühlt sich fast berletzt deswegen. 
szch habe im Laufe des gestrigen Abends noch hier 
nden offiziellen Kreisen wiederholt konstatiren 
önnen, daß man in keiner Weise eine Komplikation 
ürchtet; doch wird die angekündigie Rede Bismarcks 
nit fieberhafter Spannung erwartet. 
Paris, 5. Febr. Die öffentliche Meinung ist 
sierselbst durch die Veröffentlichung des 
zsterreichischdeutschen Bündnißver— 
rages gewaltig erregt, und zwar in dem Sinne, 
zaß man angefichts der unzweideutigen Bestimmungen 
»cs Vertrages das Los der französischen Republik 
in einem etwanigen Kriege als sehr ungünstig an⸗ 
äeht. Dem .Journal des Debats“ wird aus Berlin 
elegraphirt: 
Osdwohl der Vertrag den entschieden friedlichen 
Tharakter der Allianz zwischen den beiden Reichen 
»etont und ihn als besonders geeignet darstellt, den 
uropäischen Frieden auf der Grundlage des Ber⸗ 
iner Vertrags zu befeftigen, so kann man doch 
nicht umhin, fich der Worte des Fürsten Bismarck 
zu erinnern, welcher die Veröffentlichung diplo— 
natijscher Aktenstüfe das Zeichen einer ernsten Lage 
nannte. Artikel 8 deutet an, daß die Veröffent⸗ 
ichung des Vertrags nur dann geschehen dürfte, 
venn die Rüstungen Rußlands einen drohenden 
Lharakter annähmen. Wenngleich der Vertrag 
auptsächlich gegen Rußland gerichtet ist, so zweifelt 
jier niemand, daß er im Falle eines Krieges zwischen 
Frankreich und Deutschland sogleich in Kraft treten 
vürde, weil Rußland dann sicherlich an der Grenze 
Hilitärkträfte anhäufen würde, welchen man eine 
rohende Bedeutung gäbe. Trozz dieser Veröffent 
ichung glaubt man an die Aufrechterhaltung des 
zriedens, weil man hofft, Rußland werde die ernste 
Warnung nicht unbeachtet lassen. 
Die „France“ ist frech wie immer und nennt 
gdiese hochernste Veröffentlichung einen „Theatercoup“. 
—A 
Wenn der Kanzler Rußland hat einschüchtern 
vollen, so ist es wenig wahrscheinlich, daß ihm dies 
lücken wird. Der Czar wird aus seiner Reserve 
nicht heraustreten; er wird friedlich bleiben, aber 
eine Unabhängigkeit wahren und sich nicht den 
aunenhaften Wünschen des Kanzlers unterwerfen; 
r wird nicht capituliren. 
Und der „National“ schreibt: 
Man muß wirklich mit einem außerordentlichen 
Iptimismus ausgestattet sein, um beruhigende An⸗ 
— V 
rblicken, der weit eher einem Angriffsplane gleicht, 
senn dem Programm jener Friedensliga, deren Lob 
herr Koloman Tisza uns noch vor einigen Tagen 
ang. 
Schließlich empfiehlt die „Liberte“ eine „wirk⸗ 
iche Friedensliga“ zwischen Frankreich, Rußland 
ind England; denn die eigentliche Gefahr liege im 
Fentrum Europas, in jenem „fürchterlich bewaffneten 
Ddreibunde“. Wer aber diesen Dreibund gezwungen 
jat. sich so „fürchterlich“ zu bewaffnen, verschweigt 
atürlich die „Liberte“. Und was die „wirkliche 
friedensliga“ zwischen Frankreich, Rußland und 
England betrifft, so könnte man auf diese Faschinas⸗ 
ollheit wirklich gespannt sein. 
Petersburg, 5. Februar. Der erst heute 
eröffentlichte deutsch⸗österreichische Bündnißvertrag 
rweckt das Mißtrauen der Petersburger Blätter 
etreffs seiner rein defensiven Natur. Die kom⸗ 
vetenten Kreise dagegen halten ihn, wie die „Nowoje 
Vremja“ sagt, für einen Vertrag mit rein defen⸗ 
iven Zielen und bezweifeln nicht, daß Deutschland 
inen Beweis seiner friedlichen Tendenzen gegeben 
ind damit sei der Behauptung der französischen 
Presse ein Ziel gesetzt, daß das Bündniß auch 
n Kraft trete, wenn das Wiener Kabinet einen 
Afenfivkrieg nothwendig finden sollte. Das Aus—⸗ 
and sehe die Veröffentlichung als eine Demon- 
tration gegen Rußland an, letzteres müsse darauf⸗ 
sin entweder eiwas Besonderes unternehmen oder 
urüdweichen. Demgemaß betont das Blan 
jochwichtig, das Ausland zu liberzeugen, deß 
ands leitende Kreise die Veröffentlichung ug 
entschiedene Friedenskundgebung ansehen. 
Petersburg, 6. Febr. Der Vohqn 
Rraf Schuwalow war durch Bronchitis verhiih. 
rüher nach Berlin zurückzukehren. Derselhe —* 
jollstandig genesen und verläßt heute Petern 
Lor e un⸗ rhe Nachrichten 
*S. Ingberu, 17. Febr. Unser gesue 
Jahrmarkt theilte, wie nicht anders anzunehnd 
as gieiche Sciafal mit seinen vielen Vne 
kr war nur schwach besucht, und an dem „Pi 
nogen die Verlaufer nicht schwer zu tragen hut 
haben. 1TW 
— Homburg, 4. Februar. Das Wiß! 
Bach' sche Haus am Bahnhof jotl heute Rachm 
zum Kauspreis von 80,000 Mi. in du 
der pfälz. Bahn übergegangen sein. 
— Kaiserslautern, 83. Feb. Für 
hier ins Leben zu rufenden Pferde⸗ und dehe 
markt wurde die Marktordnung vorgelegt, vi 
als Tag der Abhaltung der dritte Sonnteg 
April fixiert war. 
— Auch in Annweiler mußte die Sh 
in Folge starken Auftretens der Masern geschlj. 
werden. 
— Landan, 6. Febr. Am Samstag wu 
im Laden eines hiesigen Geschäftsinhabers einer 
õ. Wark signirte Geldrolle vereinnahmt, die d 
Abends beim Kassensturz als eine mit Zweipfenm 
tücken ausgefüllte Eien m ark-Rolle erwies. 
ein Name auf der Rolle nicht enthalten, das 4 
chäftspersonal fich auch auf den betr. Kunden, 
zieselbe in Zahlung brachte, nicht entsinnen kc 
so hat der Geschäftsinhaber den Verlust von ir 
Mark zu erleiden. Es ist dieser Vorfall 
Mahnung für alle Geschäftsleute, bei Vereinnn 
ung solcher Geldrollen durch geringes Einritzen s 
tets davon zu überzeugen, mit welcher Mürnze 
dieselben gefüllt find. 
— Speyer. Um zwei hier erledigte Poh 
dienerstellen haben sich 24, um die Wachtmen 
telle 14 Personen gemeldet. 
— Ludwigshafen, 6. Febr. Hert! 
unkt Eisele verkaufte sein Haus an dem Ludwih 
oAatz, worin eine Wirthschaft betrieben wird, pef 
Preise von 150 000 M. an die Brauereigesellh- 
zum Storchen vormals Chr. Sick in Speher. 
— Dürkheim, 3. Febr. Gestern Ahs 
zeschäftigte sich unser Gewerbeverein in einer Genen 
versammlung mit der Frage der gewerblichen 3 
hildungsschule dahier. Nach eingehender Berathn 
entschied man sich einstimmig dafür, mit der 9 
jebung der gewerblichen Fortbildungsschule eim 
tanden zu sein, dafür aber ein achtes 
ür die Knaben zu verlangen. Ju einer Ang 
in den Stadtrath in diesem Sinn erklärten 
Mitglieder des Gewerbevereins, daß sie, falls ob, 
Borschlag realisirt würde, in Zuk inft in erster i 
aur solche Knaben in ihre Werkstätte aufnehm 
welche dieses achte Schuliahr mit Erfolq absolt 
haben. 
— In Kirchheimbolbanden, dag e 
600 Schüler zählt, find 166 Kinder wegen Kin 
heit vom Schulbesuch abgehalten. 
Vermischtes. 
F Unkundige nehmen gewöhnlich an, daß 
der Verbesserung der Feuerwaffen eine Vermeh 
ung der Gefechtsverlüste eingetreten 
Dieser Anficht tritt die Militärzeitung entgegege 
indem sie eine größere Zahl von blutigen Schlate 
des siebenjährigrn Krieges, der Befreiungsltht 
und der Kriege von 1866 und 1870/71 bezüshn 
der Verluste an Todten und Verwundeten einaunh 
zegenüberstellt. Es ergibt sich darauz, daßi 
Preußen bei Kollin und Kunersdorf 40 mnd! 
Zorndorf 38 Prozent der Truppen durch Tod 
Verwundung verloren haben; bei Leipzig v 
das Kleist'jsche Korps in zwei Tagen 38, 
Hork'sche Korps 25, bei Lützen fielen vonk, 
ßreußen 30, bei Belle⸗Alliance von den Englände 
25 Prozent; dagegen betrugen die Verlusten 
Deutschen bei Mars⸗-la ⸗Tour 22, bei Spichen! 
bei Wörth 12, bei Gravelotte 10 und bei Sed 
x1/0 Prozent. Die Schlacht bei Königgrätz kof 
den Preußen 4, den Oesterreichern 11 Prozent 
Todlen und Verwundeten. 
⸗7 München, 4. Febr. Gift statt L 
shran.) Eine ärmlich gekleidete Frau kaufte“ 
Vormittag bei Poschinger in der Kaufingerfr