Full text: St. Ingberter Anzeiger

von der Linie ab und nun wurden die Mahlzeiten 
knapp. so daß die 650 Passagiere Hunger und 
Durst litien und sich an ihren Vorräten erholen 
oder teueres Bier (à 20 Cents die Flasche) kaufen 
mußten. Sechs Tageé hatten sie kein Brot, keinen 
Kaffee, nur Fleisch und Kartoffeln. Am 14. hängte 
sie ein holländer Frachtschiff an, das auf der Reise 
von Amerika nach Rotterdam war. Dabei ging 
es aber nicht nach dem Sprüchworte: „Der geht 
los wie ein Holländer“, denn beide Schiffe waren 
zu schwer für eine Maschine. Ein vorüberfahrendes 
Schiff teilte ihnen in einer Flasche den Tod Kaiser 
Wilhelms mit. Am 20. März liefen sie glücklich 
in den Hafen von Halifax. auf der Halbinsel 
Neu⸗Schoitland in Britt. Nordamerika ein. Ein 
Teil der Passagiere fuhr tags darauf mit einem 
andern Schiff nach Boston und der andere Teil. 
worunter unsere Reisenden, am 22. auf dem 
Dampfer „Manitoba“ nach Philadelphia, wo sie 
am 26. landeten. Sie sind auf diesem Schifs 
fast erfroren. Am 29. kamen sie endlich zu ihren 
Verwandten nach Peoria. Ill., wo sie nach aus—⸗ 
gestandenen Mühseligkeiten, ja Todesangst ein 
fröhliches Osterfest feierten. Unter ihren hiesigen 
Verwandten, ja im ganzen Orte herrschte eine 
große Aufregung, weil so lange keine sichere Nach⸗ 
richt von ihnen eintraf. Die widerfinnigsten Ge— 
rüchte liefen um. Man betrauerte schon ihren 
Tod. Nun ist auch hier die Freude groß. Wün⸗ 
schen wir den Ausgewanderten das beste Wohl— 
ergehen. (Aus einem Versehen unlieb verspätet. 
D. Red.) 
— Steinbach a. Gl., 10. Mai. Ein 
gräßlicher Unglücksfall hat fich heute Nachmittag 
daher zugetragen, Der fünfzehnjährige Sohn der 
Wittwe Michgel Jung von hier wollte, seinem älteren 
Bruder nachmachend, Vögel schießen und lud zu 
diesem Behufe einen „Sackpuper“ mit Pulver und 
Papier. Dies sah sein älterer Bruder und wollte 
ihm die Schießwaffe entreißen. Der jüngerer ver—⸗ 
barg sie aber in seine Hosentasche. Ueber dem 
Streite entlud fie sich und der Schuß ging ihm in 
den Unterleib. Der U glückliche wurde hierbei so 
verletzt, daß ihm die Eingeweide hervorquollen und 
er bald nach Eintreffen ärztlicher Hilfe seinen Geiß 
aufgab. (3. 3.) 
— Neustadt a. d. H. 8. Mai. Heutt 
jpielte sich vor dem hiesigen Schöffengerichte ein 
Rechtsfall ab, der wegen der politischen Färbung 
des der Verhandlung zu Grunde liegenden Vor—⸗ 
kommnisses weithin Aufsehen erregen wird. Am 1. 
April d. J. — drei Wochen nach dem Tode des 
Kaisers Wilhelm — äußerste in öffentlicher Wirt 
schaft zu Haardt, bei Neustadt, der Bierbrauereibe— 
sitzer Ludwig Geisel aus Neustadt — als im Ge⸗— 
spräche die Frage der Errichtung eines gesamt⸗ 
pfälzischen Denkmals für Kaiser Wilhelm berühr! 
wurde: „Für den Kaiser gebe ich keinen Groschen. 
Aber wenn Ihr dem Eugen Richter ein Denkmal 
setzt, gebe ich einen halben Morgen Land und 1000 
M.,“ Dieserhalb wegen groben Unfugs vor Ge— 
richt gestellt, wurde er heute zu einer Geldstrafe 
von 100 M., bezw. 30 Tagen Haft verurtheilt 
Das Gericht stellte fest, daß in der Gegenüherstell⸗ 
ung des heimgegangenen Kaisers und eines Partei— 
mannes, über dessen Werth die Ansichten in seiner 
eigenen Partei auseinandergingeu, etwas höchst Ver 
letzendes liege. Erwähnt sei noch, daß der Ange- 
klagte in einem Anhängsel der genannten Aeußer— 
ung erklärte, zu einein Denkmal für Kaiser Fried⸗ 
rich käme es ihm auf einen viertel Morgen und 
600 M. nicht an. 
— Von der oberen Haardt, 8. Mai.z Ein 
Spaziergang in die Weinderge überzeugt uns, daß 
der Stand derselben bis jetzt ein sehr günstiger 
ist. Noch im März, als der Winter in überaus 
hartnäckiger Weise auftrat, wurde viel darüber get 
sprochen, daß die Reben durch die nicht unbedeutenden 
Fröste besonders im Spätjahr gelitten haben könn⸗ 
len, und Viele wollten sogar aus dem Rebenmarke 
ersehen, daß dasselbe theilweise erfroren und die 
Rebe überhaupt geschädigt sei. Nachdem nunmehr 
der Rebenschnitt und auch das Anbinden bethätigt 
ist. und durch die überaus günstige warme Witter— 
ung der letzten Tage die Vegetation derart gefördert 
wurde, daß bald üppiges Grün unsere Wingerts- 
Anlagen bedecken wird, erwiesen sich alle nuser« 
Befürchtungen als null und nichtig. Alle Reben 
treiben schöne, kräftige Knospen, und zwar in so 
regelmäßiger Weise, daß sie die Winzer zu den 
besten Hoffnungen berechtigen. Unier solchen Um— 
ständen dürfte der Winzer nur mit Lust auch die 
schwerste Arbeit, nämlich das Behacken derselben, 
beginnen. (L. T.) 
— Ludwigshafen, 7. Mai. Auf Grund 
des Art. 30 Absatz 10 des pfälzischen Heimathge— 
setzes haben dahier 14 Beamte der pfälzischen 
Bahnen ein Gesuch um unentgeltliche Verleihung 
des Heimathrechtes beim Bürgerineisteramte einge- 
reicht und wird dasselbe vorausfichtlich schon in 
nächster Stadtrathssitzung verbeschieden werden. 
Man darf wohl gespannt sein, welche Stellung der 
Stadtrath diesem Gesuche gegenüber einnimmt. Die 
Petenten stützen sich darauf, daß sie — die Be— 
diensteten einer Eisenbahn -Aktiengesellschaft, also 
einer Privatgesellschaft — als Beamte im Sinne 
des Gesetzes nicht gelten kdönnen, folgerichtig als 
Gewerbegehilfen anzusehen find. Daß auch Kauf—⸗ 
leute zu der Kategorie der Gewerbegehilfen im Sinne 
des Art. 80 Abs. 10 des Heimathgesetzes gehören, 
hat der Senat in Speyer bereits vor längerer Frist 
entschieden. 
Vermijchtes. 
S Saarbrücken, 10. Mai. Bekanntlich 
hildet das Vereinsleben bei uns ein Hauptmoment 
'n dem geselligen Leben. Behauptet man doch 
ronischerweise, daß, wo drei Deutsche zusammen 
kommen, sie sich sogleich zu einem Vereine „kon⸗ 
rituieren.“ Man braucht nur den Vergnügungs 
anzeiger einer Zeitung durchzulesen, um zu erfahren 
daß heute z. B. der Verein „Frohsinn“ ein Wald⸗ 
fest, morgen der Kriegerverein sein Stiftungsfes 
feiett, abgesehen von den Gesang⸗, Turn⸗, Spiel⸗ 
Genossenschafts- und anderen Vereinen mit oden 
ohne gemeinnützigen oder privaten Zweck. 
Um so angenehmer fühlen wir uns berühr' 
durch die Mittheilung, daß sich in unsern beiden 
Städten ein Verein gebildet hat, welcher einen 
wirklich schönen, idealen und außerdem die Gesund— 
heit im höchsten Grade fördernden Zweck verfolgt. 
Dieser Verein hat sfich den Namen „Wanderklub“ 
beigelegt, ein Name, dessen Bedeutung ohne Wei⸗ 
—V 
naäͤmlich die Aufgabe gesetzt, seine Mitglieder aus 
größeren oder kleineren Spaziergängen zu fröhlicher 
Beselligkeit zu vereinen. Könnte es auch etwas 
herrlicheres und der Gesundheit Zuträglicheres geben 
als um diese Jahreszeit ein Spaziergang im Wald! 
In ganz Mitteldeutschland, in Thüringen, am 
Harz, in Sachsen, an der Ostsee nicht minder als 
am Rhein, trifft man um diese Zeit Sonntags 
überall draußen lustige und fröhliche Gesellschaften 
an. Jung und Alt freut sich schon während der 
ganzen Woche auf den kommenden Sonntag, wo 
man sich zu einem größeren oder kleineren Marsch 
zusammenfinden und dann bei einem Glase Bier 
lustig und guter Dinge sein will und wirklich ist. 
Und wie herrlich schmeckt nach einem solchen Marsche 
ein Glas Bier! Unter Scherz und Gesang wird 
abends der Heimweg gemacht. Man trennt sich 
endlich in der herzlichsten Weise überzeugt einen 
schöͤnen Tag angenehm verbracht zu haben, gehs 
am andern Morgen frisch und fröhlich an die Ar— 
beit und freut sich dabei von neuem im Voraus 
auf den kommenden Sonntag, an dem die Arbeis 
nach Gottes Willen wieder ruhen soll. 
Nun gibt es nur wenige Gegenden in unserm 
deutschen Vaterlande, die von der Natur so begün- 
stigt sind, als die unsrige. Nur kurze Strecken 
hraucht man zu gehen, um mitten in herrlichen 
Laub⸗ oder Nadelholzwäldern Gottes freie, gesunde 
Luft zu aimen. Man sollte deßhalb auch annehmen, 
daß hier jedermann von selbst aus der rußigen 
Stadt herausgelockt würde, um sich an der Herrlich⸗ 
keit der Natur zu freuen, daß es dazu besonderer 
Wanderklubs nicht bedürfte. — Allein hier ist man 
weit davon entfernt. Hier fieht es Sonntags um 
diese Zeit ganz anders aus als in jenen Gegenden. 
Es gibt, glaube ich, kaum eine Gegend in ganz 
Deutschland, die relativ so wenig Wanderlust seinen 
Bewohner zeigt, als die unsrige. So kommt es 
daß, wie ich selbst zu hören Gelegenheit hatte, 
deute, die schon jahrelang hier leben, die schönsten 
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gegend kaum kennen. Jetzt, wo alles draußen in 
schönster Blüte prangt, wie einsam und verlassen 
ist es auf den Wegen z. B. nach dem Neuhaus, 
von der Heydt, St. Ingbert u. s. w. wie still und 
leer ist es an Sonntagen an diesen herrlichen Aus⸗ 
flugsorten selbst, um die uns manche, manche Stadt 
veneiden könnte. Der Fremde, der hierherkommt 
und z. B.. den nahen Winterberg ersteigt, ist er⸗ 
staunt, dort oben nicht einmal die Möglichkeit an⸗ 
zutreffen, sich auszuruhen und bei einem erauicken—⸗ 
den Trunke die herrliche Aussicht zu —E 
sich ihm da oben darbietet. Wie ödd — 
sieht es auf dem Winterberge aus! Die . nh eun 
welche unsere Gegend besuchen, klagen ne 
über den Mangel an Geselligkeit bel n —* 
wohnern. Dieser Mangel an Geselligkeit ren dend 
das Verständniß für die Schönheiten der —8 
müfsen wir unbedingt voraussetzen — i se: 
Zweifel auch die Ursache für die geringe Ir — 
lust unserer Einwohner. Dem Wandeillu nn u 
wir dader ein fröhliches Gluck auf · iundnn 
schen ihm, daß er auf seinen Wanderungen diel nge 
gnügen haben, und eifrige Nachahmer finden p 
F Quierschied, 9. Mai. In einen b 
hause der Glasfabrik des Herrn Th. Köhl n 
gestern Nachmittag gegen 2 Uhr auf unaufg 
Weise Feuer, welches sich bald auch auf 
nebenan befindliche Vorrathshäuser erstredie 
allen Löschversuchen Trotz bot. Wohl waren 
drei Spritzen zur Stelle: die Fabrik⸗, dien 
umeinde⸗ und die Bahnhofspritze, und die Gemen 
glieber halfen wacker, indem sie eine Kette diß 
Quierschieder Bach bildeten und so die Spi 
mit Waosser versorgten, aber die Gluth, welchen 
in Brand gerathenen, auf dem Bodenraum lage 
den dreihundert Zentner Stroh entstieg, war 
zu gewaltige. Die drei Gebäude brannten nie 
und eine große Menge Glas und Glaswagren 
bernichtet. Es gelang, die Ausdehnung des Fu 
auf die Fabrikationsräume zu verhindern; der! 
trieb ist nur auf kurze Zeit gestört. (St. J. S 
* München, 5. April. Dem „Fik. Vr 
blatt wird geschrieben: Die Vermögensverhätr 
der Kgl. Zivilliste Königs Otto's haben sich 
gehoben. Bekauntlich ist diesselbe die Erbin 
zesamten Nachlaßvermögens König Ludwig II. 
allen Aktiven und den sehr beträchtlichen Pass 
geworden. Durch das Abkommen mit den Bun 
wurde die Rückzahlung der Schulden des verblitt 
Königs im Wege der Annuitätenanleihe ermögh 
es wurde ferner durch den Verkauf von Ku 
gegenständen aus den Kgl. Schlössern und 
schiedenen Realisierungen, durch Beschränlun 
den Ausgaben und mancherlei anderweitige Ne 
nahmen ein sehr günstiger Stand der dinan— 
erzielt, zumal ja auch die vom Lande zu zahln 
jährliche Zivilliste von 413 Mill. Mark der* 
mögensverwaltung des Königs Otto zufließt. . 
Lage der Dinge ist bei längerer Lebensdauert 
Mäjestät eine gänzliche Tilgung aller aus der* 
des Königs Ludwig stammender Schulden in 
früherer Zeit möglich, als s. Zt. angenommen wur 
und find sodann die Kal. Schlösser vollständig 
belastet. 
F Ein internationaler Preßét 
greß soll im 15. — 19. Juni 1888 in Mürt 
stattfinden; die Einladung hierzu geht vom Ni 
chener Journalisten- und Schriftsiellerverein e 
Als Berathungsgegenftände sind zunächst in?“ 
sicht genommen: 1. Das Verhältniß der Journal 
im nationalen und internationalen Verkehr ur 
sich und zwischen den einzelnen Preßvereinigurg 
2. die Ausdehnung der im Münchener Journahft 
und Schriftstellerverein bereits organisirten hummn 
tären Institutionen auf die gesammte baherhe 
Presse. 
F Wäürzburg, 6. Mai. (Moderner Hur 
prozeß.) Dem Resiaurateur Schubert dahier e 
am J. November v. J. ein Kind an den Fraiß— 
Fine freundlche Nachbarin und der Aberglaube! 
festigte in ihm den Glauben, sein Kind sei von 
im Hause wohnenden Tagloͤhnersfrau Endreß v 
hext worden, dieselbe sei eine Hexe. Etr spren 
das Gerücht überall aus, so daß alle Kindert 
ihr auswichen. Die Frau stellte Beleidigungeln 
und Schubert wurde vom Schöffengericht zu 
Mark Geldstrafe verurtheilt. Die Endreß 
aber auch dem Schubert einige Schmeichelworh 
geworfen und auf die Berufung wurden zwar be 
Theile einer Beleidigung für schuldig erkannt.⸗ 
für straffrei erklärt. 
F Beilngries, (Ob.Pflz.) 8. Ma 
Sitzungssaal des hiefigen Amisgerichts spielle 
vor einigen Tagen eine aufregende Szene ab. 
nämlich die Anklage gegen Paul von Riedende 
wegen Bedrohung vor dem Schoffengerichte 
Verhandlung kam und der Amtsanwalt, Ben 
amlsassessor Greiner, seinen Strafantrag v 
halle, warf sich der Augeklagte, ein äußerh 
beleumundetes und gefährliches Subjelt, ihr 
wildes Thier auf den Amtsanwalt, rib ihn 
Stuhl herab und suchte ibhn zu erdrosseln.