Full text: St. Ingberter Anzeiger

St. Jugherfer Anzeiger 
Amtliches Organ des koͤnigl. Amtsgerichts St. Ingbert. 
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M II. 
Sonntag, 15. Januar 1888. 4 
23. Jahrg. 
XX 
Die Fortsetzung der Reichstags⸗ 
Session. 
Am kommenden Dienstag nimmt der deuische 
steichstag seine durch die Weihnachtspause verhält- 
aißmäßig lange unterbrochen gewesenen Verhand⸗ 
lungen wieder auf, und unstreitig wird in dem 
Abschnitt zwischen Weihnachten und OÜstern der 
Schwerpunkt der gegenwärtigen Reichstagssession 
ruhen. Zunächst gilt es, die Berathung des Reichs⸗ 
haushaltsetats zu Ende zu führen und dieser hat 
nzwischen eine beim Beginu der Session nicht ver⸗ 
muthete Bereicherung erfahren, da dem Reichstag 
infolge des neuen Wehrgesetzes ein Nachtrag zum 
Militäretat zugehen wird. Es handelt sich um eine 
einmalige Forderung von angeblich 100 Millionen 
Mark, welche die Regierung behufs Durchführung 
des Wehrgesetzes aufzustellen gedenkt und es läßt 
sich denken, daß unsere Reichsboten in Anbetracht 
der großen finanziellen Opfer, welche das deutsche 
Volk zur Stärkung der nationalen Wehrkraft bis 
n die letzte Zeit hinein gebracht hat, die in Aus⸗ 
icht stehende abermalige bedeutende Mehrforderung 
ür militärische Zwecke nicht leichten Herzens be⸗— 
willigen werden. Man darf daher wohl einer ein⸗ 
gehenden und überzeugenden Begründung des er⸗ 
wähnten Nachtragsetats entgegensehen und unter 
dieser Voraussetzung kann die Regierung gewiß sein, 
daß fie auch diesmal nicht vergeblich an den Pa— 
riotismus und die Opferwilligkeit der Vertreter der 
Nation apellirt. Was das Wehrgesetz selbst anbe⸗ 
angt, so ist dessen endgiliige Annahme bei der im 
Reichstage herrschenden patriotischen Stimmung nicht 
zu bezweifeln, nur darf man wohl die Erwartung 
aussprechen, daß es gelingen wird, so manche Un— 
billigkeiten und Härten, welche der Entwurf auf- 
weist, zu beseitigen oder wenigstens zu mildern. 
Den eigentlichen Mittelpunktt des bevorstehenden 
Sessi onsabschnittes wird nun aber doch nicht die 
Wehrgesetze Angelegenheit, so wichtig fie auch er— 
cheinen mag, bilden, dies wird vielmehr von den 
Fragen der ZVerlängerung der Legislaturperioden 
ind des Socialistengesetzes zu gelten haben. In 
erster Hinsicht steht ein Antrag der drei Mehrheits- 
arteien zu erwarten und fällt hiermit bekanntlich 
zine gleiche Akttion im preußischen Abgeordneten⸗ 
zause zusammen, während in letzterer Beziehung die 
Regierung mit einem besonderen Entwurfe vorgeht, 
der beträchtliche Verschärfungen der bislang gegen 
die gemeingefährlichen Besitebungen der Social— 
»emotratie in Krafl gewesenen Bestimmungen vor⸗ 
schlägt. Dort wie hier handelt es sich um Fragen, 
mn denen sich die Parteien im Reichstage zum Theil 
prinzipiell gegenüberstehen und die schon in den 
ebten Wochen Anlaß zu langen Erörlerungen in 
der Tagespresse gegeben haben und sicher in, dab 
ich auch die parl amentarische Behandlung beider 
Themata sehr bewegt gestalten wird Welches Re— 
ultat die betreffenden Verhandlungen ergeben werden, 
nuß indessen noch dahin gestellt bleiben, da speziell 
die vorgeschlagene Verschärfung des Sozialistenge⸗ 
setzes auf eine noch ziemlich unklare Situatibn im 
Reichstage stoßt. 
Ob der Reichstag noch in der gegenwärtigen 
Session zur Berathung der Alters⸗ Ind XXE 
ätsversicherungs Vorlage gelangen wird, muß mehr 
ind mehr bezweifelt werden, da sich die ganze An⸗ 
Jelegenheit augenscheinlich noch immet ersin inem 
orbereitendem Stadium befindet. Dagegen giebt 
s in dem zweiten Abschnitie seiner gegenwärligen 
Session für ihn noch eine Reihe anderer geset— 
geberischer Arbeiten als die oben genannten, zu er⸗ 
ledigen. Unter ihnen befinden sich, um nur die 
vichtigeren Gegenstände herborzuheben, das Wein⸗ 
nesetz, der Entwurf, betr. die Unterstützung der Fa- 
nilien von zur Fahne einberufenen Mannschaften, 
die Vorlagen über den Ausschluß der Oeffentlichkeit 
bei Gerichtsverhandlungen und über die Einführung 
der Reichsgewerbeordnung in Elsaß/Lothringen, die 
Anträge Munkel, betr. die Entschädigung unschuldig 
Berurtheilter und Zulassung der Geschworenenge⸗ 
tichte bei politischen Pressen, das Vogelschutzgesetz 
u. a. Es erwartet demnoch den Reichstag auch 
bei Fortsetzung seiner Thätigkeit ein reichhaltiger 
Arbeitsstoff und man kann nur wünschen, daß die 
Früchte der gegenwärtigen Sitzungsperiode fich als 
recht ersprießliche erweisen mögen. 
Deutsches Reich. 
Berlin, 18. Jan. Der Kaiser ist soeben 
bei der Wachtparade am Fenster erschienen, was 
unendlichen Jubel hervorrief. 
Berlin, 183. Jan. Bulletin der Aerzte Schra⸗ 
der, Krause, Hovell d. d. San Remo, 13. Jan. 
Morgens: Die Krankheitserscheinungen beim Kron⸗ 
prinzen bestanden während der letzten zwei Wochen 
in etwas stärkerer Schwellung der linken Kehlkopf⸗ 
hälfte und von dort sich etwas allgemeiner aus- 
dreitenden entzündlichen Reizung der Kehlkopfschleim ⸗ 
haut. Gleichzeitig war eine stärlere Schleimab⸗ 
onderung vorhanden, welche wie die Entzundung 
etzt wieder im Verschwinden begriffen ist. Das 
Allgemeinbefinden ist recht gut. 
Berlin, 183. Jan. Der Reichskanzler bean 
tragt beim Bundesrath, daß vom 1. April 1888 
an fremde Scheidemünze in Zahlnng weder gegeben 
noch genommen werden dürfen. Damit soll vor⸗ 
aehmlich die Anomalie beseitigt werden, die in 
ẽlsaß · Lethringen besteht, daß der Kleinverkehr in 
Sous and der Geschäftsverkehr der Kaufleute nach 
der Frankwährung rechnet. 
Ausland. 
Petersburg 18. Jan. Bei dem heutigen 
Neujahrsempfang hat der Kaiser keine politische 
Anspielung gemacht. 
Wie es scheint, will die ruffische Regierung 
jetzt ebenso gegen die Oesterreicher im Lande vor— 
Jehen, wie gegen die Deutschen. Nach einer Mel⸗ 
dung des „Przeglond“ werden viele Oesterreicher, 
die bisher in Russisch-⸗Podolien als Gutsbesitzer oder 
Butspächter wohnten, aus Rußland ausgewiesen. 
UUlle Beschwerden bei dem Gouverneur bleiben un⸗ 
herücksichtiggt. Ferner wird über Maßregeln gegen 
die Polen der „Reuen Freien Presse“ gemeldet: 
„Die russischen Offiziere polnischer Nañonalität, 
velche Regimenter, Bataillone, Compagnieen, Schwa⸗ 
ronen oder Batterien kommandiren, wurden plötz⸗ 
iich ihrer Stellen enthoben. F 
Lokale und pfalzische Nachrichten. 
St. Ingbert, 14. Jan. Gesitzwechsel.) 
Auf dem Wege der Versteigerung ging dieser Tage 
das an der Kapellenstraße gelegene Wohnhaus des 
MNauermeisters J. Pfleger um die Summe von 
3100 Mk. in den Besitz des Vergipsers Sieber 
iber. 
— In einer Correspondenz der „Pf. Zig.“ 
vird für die Aufhebung der Versteigerung oder 
hermiethung der Kirchenstühle plaidirt. Der 
jorrespondent bemerli, unstreitig sehr zutceffend, 
»aß die Gleichheit vor Gott auch in der Kirche 
ꝛeobachtet werden sollte. An Stelle der auf diese 
Weise der Kirche entgehenden Einnahmen sollten 
Lultus-⸗Umlagen treten. Der Gedanke, so zweifel⸗ 
los richtig er auch ist, dürfte bei seiner Ausführun 
auf starken Widersiand stoßen, welchem ja das 
Brechen mit einer alten Gewohnheit stets zu be— 
gegnen pflegt. 
— pPirmasens, 12. Jan. Frau Fortuna 
scheint der Pfalz augenblicklich günstig gesinnt. 
Diesmal ließ sie einen Treffer der Veteranen⸗ 
Lotterie von 1000 Mk. auf das Loos 284,805 
hierher fallen. Die glücklichen Gewinner sind Ro— 
settenmacher Gustab Pohl und 43 e 
— Pirmasens, 183. Jan. Herr Ingenieur 
darry Skinner hat ein Gesuch um örtheilung der 
tonzession zur Herstellung einer Straßen Eisenbahn 
don Pirmasens über Lemberg, Salzwoog und Dahn 
aach Weißenburg eingereicht. (P. A.) 
— Neustadt. Naächsten Sonntag, den 15. 
). M., Vormittags 11 Uhr, findet im Saalbau 
die General⸗Versammlung des pfaälzischen Zweig⸗ 
herbandes vom Verbande deutscher Müller stan. 
Tagesordnung: 1) Berichterstattung über die 
Thätigkeit des Vorstandes, 2) Bericht der Revisoren, 
AII 
Wahl von zwei Revisoren, 4) Neuwahl des Vor⸗ 
tandes, 5) Besprechung über die Aufhebung des 
Identitätsnachweises bei Getreide und 6) offene 
Fragen. 
— Rächsten Sonntag, den 15. d. M., findet 
in Neustadt eine Sitzung des pfälzischen Bundes- 
Trunraths statt. Außer der Beschlußfassung über 
Aufnahme verschiedener neu gemeldeter Vereine, 
iber Vertheilung von Unfall-Entschadigungen soll 
über Abhaltung eines allgemeinen pfalzischen Turn⸗ 
festes berathen werden. 
— Oppau, 12. Jan. Gestern Abend 
8 Uhr brach in der Mühle des Herrn Peter 
Bittermann von hier Feuer aus, das so rasch um 
fich griff, daß nach kurzer Zeit das ganze Gebäude 
mit Mobiliar und Inhalt ein Raub der Flammen 
wurde. Die Entstehungsursache des Feuers ist un⸗ 
bekannt. Der Geschadigte hat versichert. 
— Ludwigshafen, 10. Jan. Ueber die 
Art der Fälschungen, deren sich der Buchhalte r 
Jakob Munch schuldig gemacht hat, taucht jetzt in 
der „Frkf. Zig.“ eine neue Lezart auf. Danach 
vurden die meisten der Faͤlschungen dadurch be⸗ 
jangen, daß Munch auf höhere Beträge lautende 
ZRuittungen älterer Jahrgänge mit gefälschtem Da- 
um in Vorlage brachte und wieder andere, neueren 
Datums, auf hoöͤhere Beträge sehr geschickt falschte. 
Die Gerichtsverhandlung wird wohl das Nähere 
rgeben. 
Vermischtes. 
F Die Auswanderung aus dem deuischen 
Reich nach überseeischen Landern bettug im Monat 
Nov. 1887: 6,691 und in den 11 Monaten Jan. 
is Nov. 1887: 97,247 Köpfe. Im gleichen 
Zeitraum der Vorjahre find 1886: 6140 bezw. 
76,981 und 1888: 4889 bezw. 104,920 deuische 
Auswanderer über obengenannte Häfen befoördert 
worden. 
f München. Am Montag Nachmittags 1 
Uhr beginnt die Ziehung der Zwieseler Lotterie im 
noͤrdlichen Schrannenpavillon hier unter notarieller 
Leitung 
Ein nettes Stückchen Nächstenlie be“ ist 
n letzter Sitzung des Magistrats zu Bayreuth zum 
Besten gegeben worden. Kam da unlängst — so 
rzählt die „Fränk. Tag⸗sp.“ — ein iodtkranker 
pandwerksbursche zur Armenpflege Hollfeld und 
zat flehentlichft um Aufnahme ins dortige Kranken⸗