Full text: St. Ingberter Anzeiger

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“mtliches Organ des königl. Amssgerichts St. Ingbert. 
der ‚St⸗ ZJugberter Anzeiger erscheint täglich mit Ausnahme der Sonn⸗ und Feiertage. 2 mal wöochentlich mit Unterhaltungt ⸗Blatt und Mittwochs und Samstags mi 
uftrirten Veilagen. as Blatt koftet dierteljährlich 1.4 60 2 einschließlich Tragerlohn; durch die Voft bezogen 1ε, einschließlich 40 Zuftellungsgebuhr. Die 
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2. 
Mittwoch, 19. Februar 1890. 235 Jahrg 
Reichsstagskandidat 
der nationalliberalen Partei 
für den Wahlkreis 
Zweibrücken-Yirmasens 
ist Herr 
Kommerzienrat Adt, 
Zürgermeister in Ensheim. 
wärts einen Erwerb, den ihnen die Vaterstadt 
bersagt.“ 
Noch in den 1850er Jahren schrieb Riehl in 
seinem Werk „Die Pfälzer“ über Pirmasens und 
Umgegend wörtlich folgendes: 
„Diese ganze Gegend kann nur zweierlei sein: 
entweder ein dünn bevölkertes Waldland, oder 
wenn man eine groͤßere Bevölkerung künstlich er⸗ 
wingen wollte, ein Land des ausgeprägtesten 
Broletariats.“ 
Ferner: 
„Wo, wie in Pirmasens, die ganze Lage 
ꝛines Ortes Protest einlegt gegen industrielie 
ẽntwick lung, da läßt fie sich auch durch den 
Fleiß der Verzweiflung nicht erzwingen.“ 
Weiter: 
„Wie in der Stadt, so im Land. Zwei bis 
drei Bauern im Dorfe haben Besitz, die übrigen 
Insassen find Proletarier, die fich mit dem 
dunger und dem Nervenfieber um das Leben dis 
putieren.“ 
So damals. Und heute, Herr Ehrhardt? 
Wie heute? 
Fragt Euch doch selbst, Ihr Arbeiter und 
Bauern des Pirmasenser Landes, wie diesen Zu—⸗ 
tänden gegenüber Euere Lage heute ist. 
Wer aher ist die Ursache, daß es besser ge— 
worden? 
Haben die schönen Redensarten der Sozial⸗ 
»emokraten — die erklangen schon anfangs der 
840er Jahre — dies fertig gebracht, oder der 
ähe Fleiß und der Unternehmungsgeist der Fabri⸗ 
anten, mit einem Wort daszjenige System dec 
Arbeit, welches der Sozialdemokratenführer als 
dopitalismus braadmarken zu können glaubte. 
Wäre es möglich, wie die Sozialdemokralen wol- 
en, dies System zu vernichten, dann vürden die 
yon dem genannten Forscher befürchteten Zustände 
nit dem Wegfall des indwiduellen Unternehmungs- 
zeistes allerdings wahrscheinlich eintreten und nicht 
dlos den Kleinmeistern, sondern allen Arbeitern 
vürde der nothwendige Niedergang der Indu⸗ 
drie, um die eigenen Worte des sozialdemokra⸗ 
ischen Redners zu gebrauchen, den Kragen herum⸗ 
drehen. 
Aber freilich, der Herr Redner hat da Heil⸗ 
nittel fur alle Schäden sofort bei der Hand. 
„Den Arbeitern der volle Arbeitsertrag durch die 
taatlich unterstützten Arbeitergenossenschaften.“ 
Bestechendes Zauberworil Aber was dann, 
venn es keinen Arbeitsertrag gibt, sondern mii 
Unterbilanz gearbeitet wird ? Warum verschweigt 
der Herr Redner ferner, daß die Probe der praft— 
tischen Unausführbarkeit dieser angeblich segens- 
ꝛeichen Arbeits Organisation längst gemacht ist? 
In St. Ingbert hat Herr Ehrhardt an dem 
Zentrum wenige, in Zweibrücken an den National⸗ 
iberalen gar keine guten Haare gelassen. Der 
jogenannte „Deutsch Freisinn“ ist merkwürdig gut 
veggekommen, auf diesen muß er also wohl etwas 
halten. 
Also dürfte ihm wohl auch das Urteil eines 
deutsch-freisinnigen Geäecschichtsforschers 
dielleicht nicht ganz ohne Wert sein. Nun, ein 
solches steht zu Diensten. Der deutsch⸗freisinnige 
Keichstagsabgeordnete Dr. Konstantin Bulle schreibt 
über die Arbeiter⸗Associationen des Jahres 1848 
olgendes: 
„Durch die Einrichtung der Nationalwerkflätten 
var den Roten eine förmliche Organisation gegeben. 
Ddie Arbeit wurde nur zum Schein be—⸗ 
drieben. Sie bestand größtenteils aus ganz 
4berflüssigen und zwicklosen Erdarbeiten, die das 
Held des Staates verschluckten, ohne etwas einzu⸗ 
ringen. An 100 000 Menschen wurden so auf 
iffentliche Kosten ernährt. In Brigaden und Kom— 
agnien geteilt zogen sie unter besonderen Führern 
eden Morgen zu ihrer Arbeit und fanden fich abends 
m ihren Klubs wieder zusammen, um aufhetzende 
steden zu halten und zu hören.“ 
Das ist es. Nicht um die bessere Organisation 
der Arbeit handelt es sich, sondern um die Or⸗ 
ganisationeinespolitischenSystems, 
»as 1848 zu den blutigen Juni⸗Kämpfen, in Paris 
1871 zu den Gräueln der Kommune führte. — 
Wenn der Führer der Sozialdemokrati sich so sehr 
um das Schicksal der Pirmasenser 
Zleinmeister dekümmert, hat er sich da nicht 
sagen müssen, daß das System der Arbeit, wie 
er es anstrebt, gerade die Vernichtung dieser, 
wie überhaupt des ganzen selbständigen Handwerks 
zur Folge haben muß. 
Wäre es ferner nicht angemessen gewesen, 'ein⸗ 
mal zu prüfen, warum die Zabl der Kleinmeister 
in Pirmasens abgenommen hat. Die Antwort auf 
diese Frage wäre sicherlich die gewesen, weil eben 
diese Kleinmeister selbst zu einem großen Teil 
Unternehmer und Fabrikanten geworden find. Ist 
diese Wirkung vom Standpunkt des Arbeiters aus 
betrachtet, ein Fortschritt oder ein Rückschritt? 
Darum nochmals: Nein, Herr Ehrhardt und 
Benofsen! Auch wir wissen, daß die Lage der 
Arbeiter in vielen Beziehungen verbesserungsde⸗ 
)ürftig ist, aber wir wollen diese Besserung weder 
auf dem Wege der sozialen Revolution, noch durch 
widersinnige wirtschaftliche Experimente erteichen, 
sondern auf dem Wege der sozialen Reform, den 
unser großer Kaiser Wilhelm J. zuerst beschritten 
und den Kaiser Wilhelm II., wie die jüngste 
Vergangenheit bewiesen hat, zu verfolgen gesonnen 
ist. Deshalb aber geben wir bei der Wahl unsere 
Stimme Männern, die mit der Reichsregierung in 
der Richtung einig sind, die Reform fortzusetzen, 
aber auch jede Regung rebolutionärer Gelüste mit 
der ganzen Strenge des Gesetzes niederzuhalten. 
Und darum wählen wir Herrn Adt. 
Die Geschichte und das Programm 
der Sozialdemokratie. 
Wir haben in unserem eisten Aufsatz die 
eigenthümlichen geschichtlichen Anschauungen des 
ozialdemokratischen Führers und Reichstagskandi⸗ 
daten für Sp yer-Ludwigshafen, der auch unseren 
Wahlbezirk mit seiner Agitation zu beglücken für 
aöthig fand, einer entsprechenden Beleuchtung 
anterstellt. 
Wir wollen dieselben fortsetzen, soweit es den 
Bezirk Pirmasens selbst berifft. 
Nach der uns zugegangenen Nachschrift der in 
xr Versammlung vom 10. Februar 1890 von 
»em genannten Herrn Agitator gehaltenen Rede 
jat derselbe über die Pirmasenser Indu— 
trie folgendes ausgeführt: 
„Dreht nicht der Dampf dem Kleinhandwerk 
den Kragen um? Hier am Platze ist eine Indu⸗ 
strie, welche mit ihren Produkten Deutschland und 
die ganze Welt überschwemmt. Der Arbeiter ist 
dabei geknechtet und größtentheils ungenügend be⸗ 
zahlt. Die Kleinmeister aber müssen zugrunde 
gehen. Den wenigen, die noch existieren, kann man 
ihr Ende mathematisch genau voraussagen.“ 
So der Herr Redner. — Es witd wohl schon 
geraten sein, wenn derselbe zu dem Lehrbuch der 
Beschchte fich auch noch ein solches uüber Statisit 
anschafft. 
Zunächst also „überschwemmit“ die Pir⸗ 
masenser Industrie die Welt mit ihren Produkten. 
Gegen „Ueberschwemmung“ muß man doch sicher⸗ 
lich Vorkehrungen treffen. Wie wären die zu 
schaffen ? Doch nur durch Einschränkung der Pro⸗ 
duktion. Dieie aber muͤßte nothwendig — das 
muß doch wohl auch die sozialdemokratische Logit 
anerkennen — eine entsprechende Entlassung der 
Arbeiter zur Folge haben. Und dann kehren 
diese freigewordenen Knechte zurück in die goldene 
Freiheit. 
Aus fruchtbaren Gefilden der Pirmasenser 
ochebene ziehen fie das, wad fie zum Leben ge— 
vdrauchen, in Hülle und Füll⸗ — freuen sich, 
daß sie in den Sklavenkammern der Pumasenfer 
„Kapitalisten und Borfianer“ nicht mehr zu frohn⸗ 
den brauchen. — Goldene Zukunft! 
Doch Scherz bei Seite, aber es ist schwer bei 
solchen Phrafen ernsthaft zu bleiben. VDi. Stai 
Pirmasens zählte nach Paulis „Gemalde von 
Kheinbahern aus dem Jahre 1817 damals 
4800 Seelen, der ganze Kanton 19 797 Seelen, 
die Gesammtzahl der Gebaͤude im ganzen Kanton 
betrug 23075 
Wiebiel wird heute die Stadt Pirmasens allein 
von einer Seelenzahl von 20 000 eniferut sein? 
J Uebet den damaligen Vermögensstand der 
Stadt schrieb der Verfasser: „Pirmasens ist ver⸗ 
'det und nahrungslos.Viele Einwohner suchen 
als Kolportierer, ambulane Glaser u. dgl. aus- 
Deutsches Reich 
Berlin, 17. Febr. Die „Norddeutsche Allg. 
Ztg.“ weist gegenüber den wiederholten Versuchen, 
die von Frankreich 1887 drohende Kriegs⸗ 
gefahr abzuleugnen, darauf hin, daß die radi⸗ 
ale französische Presse noch heute Boulanger ver— 
jerrliche, weil er den Ktieg gewollt hatte. Bou- 
anger selbst habe zugestanden, zweimal den 
drieg gegen Deutschland gewollt zu ha bein 
im Beginn von 1887 und bei der Schnäbele 
Affäre, was der abtretende Minister des Außern, 
Boblet, mit den Worten bestätigt habe, er trete 
nit dem erhebenden Bewußtsein von seinem Posten 
urück, zweimal verhindert zu haben, daß das 
Haar zerschnitten werde, an welchem die friedlichen 
Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich 
zingen. Die Kriegsgefahr sei damals durch den 
Wahlausfall abgewendet worden, der Frankreich 
elehrt hade, wie stark der nationale Gedanke in 
Deutschland sei. Die französischen Staatsmänner 
yärten sich damals an die Thatsache gehalten, dach 
ne Mehrheit des Reichstags vor den Neuwahlen 
ius Gegnern des Reiches und der Fegierung be— 
tanden. Das deuische Volk werde sich dies jetzt 
ergegenwärtigen.