Der junge Mann mußte ein kleines, aber ziemlich dichtes Gebüsch passiren, ahnungslos verfolgte er seinen Weg, als plötzlich in näch- ster Nähe ein Schuß fiel. Wem dieser Schuß galt, war nicht schwer zu begreifen, die Ku⸗— gel streifte den Hut des Verwalters. Im nächsten Augenblick hatte Stern den Hahn seines Revolvers gespannt, er feuerte aufs Ge⸗ rathewohl in das Gebüsch hinein, aber auch seine Kugel schien das Ziel verfehlt zu haben, das Rascheln des dürren Laubes verrieth dem jungen Manne, daß der Meuchelmörder sich eilig entfernte. Daß ein Meuchelmord beab beabsicht war, konnte der Verwalter nicht be— zweifeln und er glaubte auch über die Person des Mörders wie über die Beweggründe des- selben keinen Zweifel hegen zu dürfen. Nur Einer haßte ihn und diesen einen hatte er kurz vorher seine Uebermacht fühlen lassen. Vielleicht auch ahnte jener Mann, welche Pläne sein Gegner verfolgte, vielleicht hatte er die Maske durchschaut, die Jener trug. Der Wirth „zur Sonne“ erntete unge— theiltes Lob. Die Speisen waren vortrefflich, die Getränke ließen nichts zu wünschen und auch die Ausschmückung des Zimmers ver— diente alle Anerkennung. Der Verwalter hatte den Forster mitgebracht und der Festgeber fand gegen den ungeladenen Gast nichts ein zuwenden, als er erfuhr, daß derselbe eben⸗ falls ein Verbündeter gegen den Freiherrn war. Die Unterhaltung bewegte sich in der ersten Stunde auf dem Felde, der alltäglichen Conversation, über das Wetter und die Stadt⸗ neuigkeiten; nachdem man aber zu verschiedenen Malen auf das Wohl des Festgebers ange— stoßen und auch die Verdienste des Gastwirths gebührend anerlannt hatte, nahm sie einen ernsteren Charakter an. Der Richter berührte das zunächst liegende Thema, den Vorfall, der vor mehreren Mo— naten in diesem Zimmer stattgefunden hatte, und so unangenehm auch dieses Thema dem Freiherrn zu sein schien, ging man doch auf dasselbe ein. Wie damals waren auch heute wieder die Ansichten getheilt, der Verwalter und der Doctor Sand beharrten dabei, daß ein Criminal⸗Verbrechen nicht vorliegen könne Der Freiherr pflichtete dieser Ansicht bei. wäh⸗ tend der Förster und der Wirth sich jedes Urtheils enthielten. — Der Richter schüttelts den Kopf. Meine Ansicht steht unerschütterlich fest, sagte er, ich bedauere nur, daß ich derzeit so leicht über den Vorfall hinwegging. Hätte ich da— nals gewußt, was ich heute weiß — „Und vas wissen Sie heute?“ fragte der Freiherr in einem Tone, der seine Aufregung verrieth. Daß der Baron von Reden in den glück⸗ lichsten Verhältnissen lebte und daß es eine That des Irrsinns gewesen wäre, wenn er elbst sich entleibt hätte, da doch eine überaus Nückliche Zukunft vor ihm lag, fuhr der Richter rnhig fort. Das war mir damals inbekannt, ich erfuhr es erst später. „Bah, zar Mancher lebt anscheinend in den glück— ichsten Verhältnissen, der das Elend und die Verzweiflung im Herzen trägt,“ erwiderte der Freiherr mit einem Achselzucken der Gering⸗ chätzung. „Der Baron von Reden mag eine Schuld auf dem Gewissen gehabt haben, vor der er nur im Grabe Ruhe finden konnte. Wie dem aber auch sein möge, es wäre lä⸗ Herliche Thorheit, jenem Vorfalle andere Ur⸗ achen unterzuschieben, als die, welche durch un⸗ umstößliche Beweise festgestellt sind. Daran erkenne ich wieder den Charakter eines kleinen dandstädtchens, der Floh muß gleich zum Elephanten gemacht werden, damit er Stoff zu interessanter Unterhaltung bietet. Dieses alte Weibergewäsch über einen Vorfall, der in der Residenz fast täglich stattfindet und dort schon nach vierundzwanzig Stunden ver⸗ zessen ist, widert mich an. Lassen wir die Todten ruhen, was kümmert es uns, welche Motive den Baron zu diesem kraurigen Schritt veranlaßt haben! Doe mortiis nit nese benGo.““ Der Blick des Verwalters ruhte unver⸗ wvandt auf den Zügen des Freiherrn, ihm entging die leidenschaftliche Aufregung dieses Mannes nicht, trotzdem derselbe sie sehr ge— chickt hinter der Maske gleichmüthiger Ruͤbe zu verbergen suchte. Ich sage auch, alle diese Vermuthungen ind thöricht und unnütz, nahm der Försier das Wort. Die Thüren waren ja von innen verschlossen, die Fenster ebenfaͤlls. „Haben Sie noch nie gehört, daß man eine verschlossene