Angesichts der drohenden Gefahr kehrte die kalte Berechnung wieder, er erkannte mit sicherem Geschäftsblick seine eigene vortheil hafte Lage dem Bruder gegenüber. Der bedeutungsvolle Ausruf des Notars: „Wir haben es hier mit einem Wahnsinnigen zu thun!“ konnte zur Wahrheit werden; fand er nicht an dem Gebahren seines Feindes die vollste Berechtigung ?: Er tauschte einen raschen Blick des Ein⸗ verständnisses mit dem Schwiegervater und trat langsam, in seiner ganzen g wohnten Vor ˖ nehmheit an das Bett der todten Mutter, dem Bruder gegenüber. — „Ich bitte Sie, mir endlich das Raͤthsel Ihres Hierseins zu lösen, mein Herr!“ be⸗ gann er kalt und gemessen. „Sie müssen in der That dem Tollhaufe entsprungen sein, um die Ruhe einer Todten so frevelhaft stören zu können. “ Stimme der Thür zu, „erbrecht die Thür, oder holt rasch einen Schlosser. Hoͤrt Ihr's auch, nur einen Schlosser!“ Während einer der Bedienten sich rasch entfernte, versuchten alle übrigen Hausgenossen die Thür gewaltsam zu sprengen. Ferdinand stand unbeweglich neben der Leiche der Mutter, um seine bärtigen Lippen zuckte es convutsivisch und die rechte Hand wühlte auf der Brust unter dem halbzuge⸗ möpften Rock. „Mann!“ rief er jetzt mit gepreßter Stimme, „sprich es aus, bin ich Dein Bruder der rechtmäßige Sohn Deiner Eltern? —— .Nein!“ versetzte der Commerzienrath kalt und bestimmt, „mein jüngerer Bruder ist wdt, ich bin der einzige Sohn und Erbe dieser Frau, deren Testament den vollgültigen Beweis davon liefert.“ J „So fahre zur Hölle,“ schrie der Unglück⸗ liche außer sich, einen Revolver aus der Brusitasche reißend und auf den Bruder zielend. Dieser sprang mit einem gellenden Aufschrei zurück, während der Notar sich mit einem Hülfe—⸗ ruf an's Fenster flüchtete u. die Vorhänge aufriß, „Nein. nein,“ rief Ferdinand, „das wäre zu gräßlich, ein Brudermord an der Leiche der Mutter, — o vergib, Du arme Todte !er ist sicher dor meiner Rache, — Gott wird ihn neffen:“ In diesen Augenblick krachte die Thür unter Beilschlägen auseinander, während zu gleicher Zeit der Notar das Fenster öffnete, vor welchem ein Kopf sichtbar wurde. Ferdinand war bei den letzten Worten an's Bett niedergesunken und hatte sein glühendes, jetzt von Thränen überströmtes Antlitz auf die erkaltete Hand der Mutter gepreßt; sein Revolver lag neben ihr, der Hand entglitten. Jetzt fühlte er leise seine Schulter berührt und fuhr empor. Als er sich umwandte, sah er es dicht vor sich aufblihen. Ein Schuß krachte durch's Zimmer. „Mörder!“ stöhnte Ferdinand und brach zusammen. Alles schrie laut auf in ködtlichem Schre⸗ cken, man wußte noch nicht, wem der ver⸗ hängnißvolle Schuß gegolten. (gorts. folgt.) „Ah, Du kennst mich nicht mehr?“ ver⸗ setzte Ferdinand mit vor Aufregung zitternder Stimme, „wagst es an Ende gar, den gemißhandelten Bruder an diesem Todtenbette frech zu verleugnen, so frech und bübisch, wie Du ihm seit der frühesten Kindheit mit systematischer Berechnung die Mutter entfremdet hast? Möge Gott der armin Getäuschten bergeben, wie ich es thue, mein Herz hat niemals die Mutter, nur Dich allein verflucht, Sie ist todt, — Du stehst am Ziel, doch hoffe nicht, zum Genuß Deines Raubes zu konmen; ich, der Euterbte, Verstoßene, werde wie früher das Gespenft Deiner Ruhe sein und Dich vom schwelgerischen Mahl wie vom seidenen Lager aufschreden Ein kurzes höhnisches Lochen des Bruders ließ ihn verstummen. Der Commerzienrath hatte sich mit Achsel⸗ zucken zu dem Notar umgewandt und sagte jeht langsam und deutlich, daß es die drau⸗ hen horchende Dienerschaft, welche in kleinen Zwischenräumen an der verschlossenen Thür rüttelte, nothwendig vernehmen konnte: „Sit haben Recht, lieber Vater! der arme Mensch ist wahnsinnig, gehen wir sanft und nachsichtig mit dem Unglücklichen um. Franz! — MNartin!“ wandte er sich mit erhobener —*— .Druck und Verlag von F. X. Demnetz in St. Ingbert.