Dresden nach Böhmen gehen wollte, um sich dort Arbeit zu suchen; ir versprach, sich von der Politik zurüchzuziehen. Seit jener Zeit hörten wir nichts von ihm bis zum 10. Mai. An diesem Tage jam Morgens eine Kiste von ihm aus Berlin, in welcher sich außer seinen alten Kleidern und schmutziger Wäsche noch Bilder von Bebel, Liebknecht und Most befanden, sowie seine eigene Photographie, die er sich inzwischen hatte machen lassen. Am Abend desselben Tages erhiellen wir per Post einen Pfandschein über eine am 9. Mai (also zwei Tage vor dem Attentat) für 13 M. bei einem Rückkaufshändler Braun in Berlin versetzte Uhr. Auf der Rückfeite standen die Worte: „Liebe Eltern, löset die Uhr ein, sie hat über 10 Thaler Werth.“ — „So, mein lieber Herr,“ schloß die Frau, „nun habe ich Ihnen Alles gesagt, und wenn Sie mir einen Zefallen thun wollen, so schicken Sie mir ein Bild von meinem Max, aber bitte, ein recht schönes mit der Pistole.“ »Darmstadt, 22. Mai. In der heutigen geheimen Sitzung der zweiten Kammer wurde die Civilliste des Großherzogs mit 1,0896,288 M. (also nach dem Antrag der Ausschußmehrheit) in naamentlicher Abstimmung mit 29 gegen 20 Stimmen bewilligt. Ausland. Paris, 20. Mai. Von den Bestimmungen über welche sich der Post-Kongreß in seinen ersten beiden Sitzungen geeinigt hat kann die „Liberte“ die folgenden anführen: 1. das Porto für internationale Korrespondenzen wird auf 25 Cent. per Brief bis zu 15 Grammen festgefetzt; 2. das Porto für Correspondenzkarten beträgt 10 Cent.; 8. für Geschäftspapiere, Muster, Zeitungen und Druchschriften wird das Porto auf 5 Cent. pro 50 Gramm festge⸗ setzt mit einen Minimum von 25 Cent. für die Geschäftspapiere und von 10 Cent. für die Muster; 4. der Preis für die Rekom⸗ mandiruug und das Porto für den Empfaugschein dürfen nicht 25 Cent übersteigen; 5. die Gewichtgrenzen für Sendungen von Drucksachen wird von einem auf zwei Kilogramm erhöht. Zondon, 22. Mai. Graf Schuwalow kraf heute Nach— mittag in Dover ein und fuhr alsbald nach London. — Heute findet hier ein Kabinetsroth statt. London, 22. Mai. Der Lordmayor hat ein Telegramm yon dem deutschen Kaiser empfangen, welches dessen aufricht gen Dank fürr die freundlichen Glückwünsche ausspricht und die unwandels haren guten Wünsche des Kaisers für das wachsende Gedeihen der Jroßen und mächtigen Corporation Londons versichert. — Die Miitelmeerflotte wird demnächst durch de Corveite „Boadicea“ und das Thurmschiff „Glatton“ verstärkt. Der „K. Z.“ wird aus Konstantinopel über einen Versuch zur Befreiung des entthronten Sultans Murad berichtet. Unge— jahr 30 Flüchtlinge sind am Montag Morgen plötzlich und ganz merwartel in den Garten des vomn Sultan Murad bewohnten Pa— sastes eingedrungen, indem sie den Ruf „Es lebe der Sultan“ er⸗ hobenn, ohne dem Worte Sultan einen Eigennamen (Murad oder AIbdul Hamid hinzuzufügen. Als sich die am Palast aufgestellten Schildwachen dem Eindringen dieser Menschen in das Innere des Palastes widersetzten, guben diese auf die Schildwachen Feuer, wodurch eine derselben getödtet wurde. Die inzwischen eirgetrof⸗ fenen Truppen erwiederten das Feuer und bei dem Tumult gab e8 Todte und Verwundete auf beiden Seiten. Ali Suavi, welcher diesen Angriff vorbereitet und geleitet zu haben scheint, hat dei diesem Kampfe den Tod gefunden. Der Vorfall hat keine anderen Folgen gehabt und die Ruhe in der Stodt ist keinen Augenbleckh destoͤrt worden. Die hierbei verhafteten Personen haben erlklärt, daß sie den Zweck des Angriffes gar nicht gekannt haben und daß sie einem Loosungswort gehorcht baben. Eine Untersuchung ist so ben über diese Sache eingeleitet worden. Im Ganzen sollen es bei diesem Vorfall 16 Todte und 20 Verwundete gegeben haben. Petersburg, 22. Mai. Die „Agence Russe? schreibt, Alles berechtige zu dem Glauben, daß die Anstrengungen Derjenigen, welche an dem Ausbruche eines Krieges ein Interesse hätten und die daher die Einigung Rußlands und Englands zu verhindern suchten, erfolglos bleiben würden. Auch die letzten Nachrichten nus Konstantinopel und Betlin sowie die Nachrichten über den dem⸗ nächstigen Zusammertritt des Kongresses bewiesen Dies. Petersburg, 22. Mai. Der „Regierungsbote“ meldet, daß der Schah von Persien morgen im kaiserlichen Palast empfaugen werden wird. Dosselibe Blait veröffentlicht ein Danktelegramm des Großfürst⸗Thronfolgers an die Gesellschaft der Moskauer Kauf⸗ seute, wegen Ueberser dung von 400,000 Rubel für die Freiwil⸗ tigenflotte. —1 BVermischtes. Zweibrücken, 22. Mai. Heute früh 6 Uhr hat sich der 24 Jahre alte Jakob Schwender von Kirkel, welcher in der Racht vom 12. auf den 18. d. M. in der Nähe des Abstäberbofs auf die Katharina Tey von diesem Hof, seine Geliebte, 4 Schusse aus ranem Revolver abfeuerte, der hiesigen königl. Gendarmerie gestellt. s. Im Garten des Herrn J. Latlenberger zu Großkarl⸗ hach hat man am 22. d. M. die erste Traubenblüthe gefunden. 7 Bei der Prüfung der Postdienstadspiranten in München vurden die drei besten Arbeilen von Pfätzern geliefert, nämlich von zen Hetren Schindler, Frey und Weigel. Von den Adspiranten »er Pfalz außer den bereits genannten noch folgende: Liebeck, —„chollmeyer, Schwarz Luther, Defaa, König, Ballh, Schreiner, Beck, duntz, Fix, Boßlet, Brunion uud Blaul. München, 15. Mai. Der socialdemokratische „Zeitgeist“ jerichtet: „Ein Freund aus der Kaserne schreibt uns folgende zeilen, die keines Kommentars bedürfen: „Am Sonntag unter'm Abendstall redeten die Soldaten von dem „Attentat auf den Kaiser“. da bemerkte der Soldat Singer: „Mir ist der König lieber als der Kaiser.“ Ergrimmt ob solcher Rede zieht ein preußischer ünteroffijier Nameus Oito den Säbel und rennt denselben dem Sotdaten in den Oberschenkel. Das Hemd und die Unterhose varen gerade wie in Blut gewaschenꝛ. Der Soldat kann den Fuß jar nicht biegen, er ist ganz steif. Was weiter geschehen wird, leibt noch abjuuwarten“. F In München ist es vergangenen Sonntag zwischen Sozialdemokraten und Nichtsozialdemokralen in einer Schantwirth— haft zu einer Schlägerei gekommen. Das Feldgeschrei lautete: Haut die Köonigsmörder!“ Das unqualifizirbare Verhalten der sozialdemokratischen Presse nach dem Attentat hat weiten Kreisen ine heilsame Aufklärung gedracht über die edlen Ziele der sozial⸗ demokratischen Führer. F Dem K. f. N. wird aus Regensburg geschrieben: „Die Frau Erbprinzessin Helene von Thurn und Täxis, welche am 22. s. ihr Namensfest feiert, wird dieser Tage aus Italien in Müuchen intreffen uund sich von dort aus zu längerem Aufenthalte nach Berathshausen begeben. Die fürstlichen Kammerdiener und Be— »ienten werden unter be vährter Direktion des Herrn v. Orsbach hei der Ankunft die Frau Erbprinzessin Helene von Thurn und Taxis in Gerathshausen, die eine begeisterte Verehrerin des Marien⸗ sultus ist, das noch im vorigen Jahrhundert gesungene Marienlied anstimmen: Schönsie Jungfrau, Deine Strehnen Pfleg' ich allzeit anzuflehnen Ich bifiehl wich Deinen Haaren, Die dem Gspons so angenehm waren, Steh' uns bei in all' Gefahren, Ded' uns zu mit Deinew Haaren, Führe uns an Deinen Locken In die Statt, wo All' frohlocken.“ FNierstéein, 17. Mai. Der des Mordes an Bürger— neister Vohwintel beschuldigte Retzgerbursche Berg aus Friesenheim tellt beharrlich in Abrede, die That begangen zu haben. Wie die Ldskr.“ schreibt, follen bis jezt nur wenige Indizien gegen ihn vorliegen. Die Stiesel des Verhafteten sollen in die im Garlen efindlichen Fußspuren passen; auch kann derselbe über seinen Berbleib während der Nacht sich nicht ausweisen. F Der 1000jährige Rosenstock in Hildesheim. Die „Hildesh. Zfig.“ schreibt: Das herrliche Frühlingswetter, welches wir in diesem Jahre bislang erlebt, bat auf die Vegetation überall einen ungemein üderraichenden Einfluß ausgeübt und dieses sehen wir nich an dem 1000jährigen Rosenstocke, welcher mit seinen groß⸗ attigen blätterreichen Ranken die östliche Rundmauer des Domchors umntlammert. Denn oberhalb des Knollens zwischen der Gaffel zer beiden sfüdlichen Stämme dieser höchst merkwürdigen Staude jat sich seit zehn Tagen ein kräftiger rothbrauner Trieb entwickelt, ser schon jetzt fast einen Zoll hoch ist und voraussichtlich als ein neuer Schößling emporstreben wird; ist dieses der Fall, dann hat ieselbe innerhalb eines Jahres zum zweiten Male einen neuen -chößling erhalten, weil der erste am 4. Juni des vorigen Jahres uerst bemerkt wurde. FGummersbach, 10. Mai. Man schreibt dem „Düss. hJolksbl.“: „Am 30. April starb zu K. der in hiesiger Gegend inter dem Namen „Geldstoffel“ allgemein bekannte Maurer B. derselbe war Wittwer und ohne legitime Nachlommen und führte zis zu seinem letzten Athemzuge ein höchst ärmliches Leber. Sein ümmerliches Dasein fristete er, wo er nur konnte, auf Kosten Anderer, und nicht selten hat man ihn außerhalb des Weichbildes 'eines Wohnortes bettelnd betroffen. Ein Gerichtsbeamter, welcher bei der Inventarisirung des Nachlafses zugegen war, erzählt: Wohnung und, Garderobe“ (die Bezeichnung „Gardecobe“ ist durch⸗ aus nicht zutreffend, denn der Munn kleide sich factifch in Lumpen) eigten ein abschreckendes Bild von der Verkommenheit dieses Menschen. Die Wohnung — ein undewohnbares Gemach, ein Biehstall; die Garderobe — ein einziger Unzug, der kaum noch inigen Werth füt den Lumpensammler hatte; von Hemden waren aur zwei alte faule Leinenlappen vorhanden. Während des Krank⸗ eins soll der Geldstoffel, statt den ihm vom Arzte verordneten Wein zu trinken, vorgezogen haben, üch mit rem billigeren Essig