St. Ingberter Anzeiger. Der St. Jugberter Anzeiger und das (2 mil woͤ hentlichj m dem Hauptolatte verbundene Unterhaltungsblatt. (Sonntags mit illustrirter Bei⸗ lage) erscheint wöchentlich viermal: Dienstag, Donnerstag, Samstag und Sountag. Der Abonnementspreis beträgt vierteljährlich 1Ac40 A einschließlich Trägerlohn; durch die Post bezogen 1 A 60 B, einschließlich 40 4 Zustell zebühr. Anzeigen werden mit 10 —, von Auswärts mit 15 B fur die viergespaltene Zeile Blattschrijt odet deren Raum, Neclasnen mit 30 H pro Zeile berechnet. M88. Samstag den 7. Juni — Deutsches Reich. München, 4. Jini. Der konigl. Staalsmin'-e der Justiz, Dr. v. Fäustle, ist in Angelegenheiten der Durchführung der Ge⸗— richtsorganisation heute Morgen nach Bamberg abgereist. .— Der Besetz zebungsausschuß der Kammer der Abgeordneten hielt bereits heute Mittaz eine Sitzung, welchet, mit Ausnahme des noch nicht hier eingetroff nen Abzesrdneten Wilter, sämm'lich? Mitglieder des Ausschusses beiwohnten. D'e kgl. Staatsminister des Iunern und der Finanzen haben sich mit mehreren Regierungs⸗Comm ssionen zur Sitzung eingesunden. Herr Stautsmin ster d. Riedel gab die Vor⸗ lage der Gesetzentwürfe eine Darlegung der Grundsätze, welche bei der Abfassang derselben leitend waren, und verbreilele sich auch über die hauptsächlichsten Berschiedenhei'en derselben von ber bisherigen Gesetzgebung. Der Ausschuß beschloß dann: zuerst den Gesetzent⸗ wurf bezüglich der Erbschaftssteuer in Berathung zu z'ehen und mit der ersten Vsung derselben näcubsten Samstag zu begiunnen. Von den Abag. Stenglein und Düreschmu'dt wurde die Frage angeregt: ob sie in Folge ihrer Ernennung zu einem Reichsamte noch als legitimitt zu erachten seien — welche Frage nach einiger Debate mit Einstimmigkeit bejaht wurde. — Die heutigen Berathungen der Conferenz deuischer G werb kammern nahmen über 513 Stunden in Ansp uch; besonders hervorzuheben ist, daß in der Innungsfrage der von der Minorität der Münchener Kammer gestellte Antrag auf Begutachtung der Einführung obligatorischer Innungen mit 12 gegen 5 Stimmen abgelehnt, und in dieser Beziehung eine von dr. Biehmer (Lübech vorgeschlagene Compromiß: Refolulion angenommen wurde, welche von dem Grundsatze des freiwillingen Beitrittes zu den Innungen ausgeht. Berhin, 29. Mai. Die sog. Wucher ⸗Kommission des Reichsstages genehmigte in threr vorgestrigen Abendsitzung zunächst die Vorschläge ihrer Redaktions-Kommission, den früher beschlosse nen 88 a und c olzende Fossung zu geben: „S a. Wer unter Ausbeutung der Nothlaze, des Leichtsianes oder der Unerfahrenhel eines Anderen für ein Darlehen, oder im Falle der Kündigung einer Geldforderung sich oder einem Drillen Vermögensvorlheile o rsprechen oder gewähren läßt, welche den üblichen Zinsfuß der— gestalt überschteiten, daß nach den Umständen des Falles die Ueber⸗ ichreitung in auffälligem Mißverhältniß zu der Leistung steh!, wird wegen Wucher mu Gefäugniß bis zu GMonalen oder mit Geid⸗ slrafe bis zu 1500 M. bestraft. 8c. Deselben Str fen treffen Denjenigen, welcher mit Kenntniß des Sadhverhaltes eine Fordecun; der vorbezeichneten Art erwirbt und entweder dieselbe werter ver. dußert oder die wucherischen Vermoͤgensbortheile gellend macht.“ Die 883 b. und d. bebielien die neulich von der Kommission be⸗ Hlossene Fassung. (. Wer sich oder einem Dritten die wuche rischen Vermögensvottheile verschleert, oder wechselmaßig, oder unter Ver prändung der Ehre, auf Ehreewort, eidlich oder unter ähnlichen Versicherungen oder Betheue u gen versprechen läßt, wird mit Ge— fängniß dis zu 1 Jahr oder mir Geibstee bie zu 3000 M. be—⸗ straft. Neben der Geföngnißstrafe kann auch auf Verlust der bür⸗ getlichen Ehrenrechte erkanat werden — „Wer den Wucher (88 1- 0) gewerbs⸗- oder gewohnheitsmäßig betreibt, wird mit Gefäng⸗ niß nicht unter 3 Monalen und mit Beldstrafen von 150 bis zu 6000 Mark bestraft werden.“) Ferner nahm die Komm ssign den Vorschlag ihrer Redattions-Kommission an, der vorgestern hbe— schloss nen Bestinmung üder Pfardleiher und Rücklaushindler in der Weise einen Ausdruk zu geben, daß ser 8 360 Rr. 12 deg Strafesetzbches folgende nede Fassung empfohlea wird: „12) We als Pfjandlesher oder Rückkaufshädler bei Ausübung seines Ge vrerbes den da über erlassenen Anordnungen zuwiderhaude!t, inz⸗ desondere den für dee landesgesetzlich bestimmten oder in Erma igel ung laadeszesetzlicher Vorschrifien von der Landesregierung zu be⸗ stimmenden Zuͤsfuͤß Uberschreitet.“ Man erachtele cs dabe als selbstverständuch, daz die Pfandleiher oder Rückkaufshändler, wenn sie den ihnen nachelassenen Zinsfuß dergestalt ubecschte ten, daß de Vocaussehungendes S. voheraden sind, auch den Waher trasen underiegen. Die Konmission beschäftigte sich sodann nit er Fraze, od die von ihe gegenden Wahec vorgeschagenen Be— timmu igen au9 auf Handelsgeschäfbe, b.i denen dr Kreditnehmer Kausmann ist, anzuwenden seien, und bejahte mit großer Stimmen⸗ mehrheit diese Frage. Man geng dabei don der Ansicht aus, daß ↄei der Fassung des Z a das legitime laufmänn sche Geschäft gegen ne nicht beabsichtigte Anwendung der Mucherstrafen gewahrt sei. S hließlich beschäftigte sich die Kommission mit dem ihr ebenfalls zur Vorb rathung zugewiesenen Antrag auf Beschräukung der Wech⸗ jelfähigleit; sie sprach sich aber dagegen aus, auf diesen Antrag einzugehen. Vem Abg. Reichensperger (Olpe) liegt ein Antrag, betr. die c vilrechtliche Behandlung von Wuchergeschäften, vor. ¶ Die vor⸗ ehenden Beschlüsse beschränken sich auf strasrechtliche Ahndung.) Dieser lautet: a. Verträge, durch welche wucherische Verbindlichkeiten im Sinne des 8 1 übernommen worden sind, lönnen durch stlage oder Ein⸗ rede angefohten werden. Wenn die Anfechtung für begründet be⸗ junden wird, so ist die Forderung des Gläubigers auf einen rach richterlichre Würdigung den Ve:hältnissen enisprechenden billigen Zunssatz sür degjenige Caphtal, welches nach Abrechnung der beceits erfolgten übermäßtgen Zahl ngen und Le stungen noch verschuldet wird, sowie auf das Copilal selbst zu beschränken. Dem Gläubi— Jer steht dagegen das Recht zu, die Aufhebung des Verirages zu 'ordern, in welchem Falle ihm das gegebene Captal nebst gesetzlichen Zinsen von 5, bejw. 6 pC.. jahrlich vom Tage des Darlehens an unter Aufrechnung der erfolgtin Zahlungen und Leissungen zuzuer⸗ tennen ist. — Die für die urjprüngliche Schuld bestellen Sicher⸗ heiten und P'andrechte bleiben aufrecht exrhalten. — b. Die oben bezeichnete Klage und E'nrede findet sowohl gegen Denjenigen Statt, welcher sich die übermäßigen Vortheile ausbedungen hat, als auch gegen Denjenigen, wesch ren Kenniniß des Sachverhalts die Forder ung erworben hat oder geltend macht. — c. Di⸗ Klage auf Rück⸗ erstattung gele steter Wu herzinsen verjährt in drei Jahten, vom Tage der Lesstung an gerechnet. Berlin. Die Zolltarif: Kommission nahm am Donnerstag, den 5. d. M., ihre Arbeiten wieder auf, und wird sich zunächst mil der sehr wichtigen Position der Leinengarne und Leinenwaaren beschäftigen, über welche die Abgeordneten Delbrück und Freiherr v. Varnbiller das Reierat führrn Die Hoffnungen, die Textil⸗ waaren im Eink ang mit den jaklreich eingelaufenen Petitionen im Zolle ermäßigt zu seben, sind nach den letzien schutzzöllnerischen Be⸗ chlüssen der Kommission auf ein Minimug herabgesunken. — In⸗ jwischen gelangen an den Reichssstag noch unaufhörlich Petitionen. So unterbreitet der Verbond d utscher Vüller in Berlin XI nabme des Getreidezolls folgende Vorschläge, um den ferneren Vehl Erport der deunschen Mühlen zu ermoöglichen: 1) Jeder Mühle, welche Vehl theilweise im Inlande, theilweise nach dem Auslande absetzt, kann ein Zoll!onto eröffnet werden, worauf der Impoit an Betreide belastet, der Export an Mehl entlastet wird, so daß nur die Differenz zwischen Import und Exrport zur Verzollung gelangt. 2) Eine Vermischung inläund schen und ausländischen Getteides ist gestattet. De Fabrikatio darf nicht durch Zollvorschriften oder Koutrolen behindert wirden. 3) Jede Mühle muß d xch ein Lager⸗ buch na hmeisen, welches Quanium fremoden Getreides sie importirt und welches Qua num Mehl sie zum Erport gebracht hat. In Betreff des n der Bandsrathssitz ing vom 30. Mai zur Ers terung gkomm nen Gesetzes üüber die Verfassung von Elsa ß⸗ Lotbringen fi den sich A gaben, als ob dieses Gesetz nicht zur Erlediguung gkommen. Dese Anrahme ist itrthünlich. Der Bundesroth hat vielmehr nit Ausschluß der Stimme Baierns dem Besetze nach den Aueschußanträsen feine Genehmigunz ertheilt. leber dan Antrag Baiernus, den 8 1 dahin zu ve vodstandigen, daß kein regierender d utscher Fürst zum Poslen eines Siatthauerz herufen werden dürfte, wid erst spater Beschluß gefaßt werden. Deser Autrag ist nur ein Zusatz, wünde also, auch wenn er ange⸗ nom nen, leine Aenderung involviren. Berlin, 4. Juni. Der „Re'ch zanzeiger“ meldet: Kaiser Al xurder deüctte heule ielegraphisch St. Maj. dem Kiiser Wilheim sein groͤßt s Bedauera aus, daß andaucrad ungünstige Nachrichten über das Befiaden der Geoßsürstin Wad mit iha reranlaßten, den Besuch zum 11. Juni (dem Tan der goldenen Hochzeih) in Berlin auf ugeben.