Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert. ver „St. Jugberter Anzeiger“ erscheint wochentlich fünfmal: Am Montag, Dienstag, Donnerstag, Samstag und Sonntag; 2mal wöchentlich mit Unterhaltungs ßlatt und Sonntags mit Sseitiger illustrirter Beilage. Das Blatt kostet vierteljährlich 1.A VGO einschließlich Trägerlohn; durch die Post bezogen 1.M 75 4, einschließlich 0 Zustellungsgebühr. Die Einrückungsgebühr fur die Agespaltene Garmondzeile oder deren Raum beträgt bei Inseraten aus der Pfalz 10 4—, bei außerpfalzischen und solchen auf welche die Expedition Auskunft ertheilt, 15 , bei Neclamen 30 . Bei 4maliger Einrückung wird nur dreimalige berechnet. — M 49. Montag, 10. März 1884. 19. Jahrg. — Das Sozialistengesetz. Die Rechtsgesetzgebung steht über dem bestehen⸗ ꝛen Recht. Sie muß gleichen Schritt halten mit Fen neuen Verhältnissen und neuen Beziehungen zes Volkslebens. Wie diese wechseln, müssen sich uuch die Grenzen des an Handlungen und Unter⸗ assungen Erlaubten ändern. Denn im Rechtsstaat ibt es Freiheiten nur im Sinne von Rechtsbefug⸗ nissen innerhalb jener Grenzen. Die Freiheit des Wollens reicht für den einzelnen Staatsbürger nicht veiter, als das gemeinschastliche Wollen aller Bürger richen kann. Dieses erfüllt den Staatszweck. Es tellt den Inhalt des Staatslebens dar. Der Aus⸗ Jeich der Freiheitsbeschränkung also, welche allen hesellschaftsmitgliedern gemeinsam sein muß, ist »as Recht. Die Ermittelung seiner Grenzen je nach der fortschreitenden Kulturentwickelung ist dann Zache der Rechtsgesetzgebung. Deren Aufgabe bleibt s natürlich, die Abhängigkeit des Einzelnen vom Finzelnen überall möglichst aufzuheben, und solche ßlieder im Staate zu beleben und zu bekräftigen, velche zur besseren Erfüllung dieser Aufgabe ge— ignet erscheinen. Der bitterste Feind dieser Rechts⸗ esetzgebung ist der Eigennutz. Ihm dient die mög⸗ ichst gleiche Bewegungsfähigkeit aller Einzelnen urchaus nicht. Ist es der Staat selbst, welcher die Unabhängigkeit des Einzelnen zur äußerlichen dethätigung des eigenen Wollens fördert, so findet ꝛer widerstrebende politische Eigennutz im Partei⸗ vesen seinen Ausdruck. Und je geringer der Staats⸗ inn der Parteien, desto größer der Eifer, mit wel⸗ dem alle Zwecde des Egoismus gefordert werden. Am krassesten tritt jener Eigennutz der Neuzeit vort hervor, wo die Zweckmäßigkeit des modernen Staates überhaupt geleugnet wird. Und mit so tatken Mitteln wird von dorther versucht jeden jortschritt unserer Rechtsgesetzgebung zu hemmen, naß vor allen Dingen eine neue Rechtsnorm ge⸗ unden werden mußte, um diese Gegenwirkung lahm u legen. In wie weit damit ein Ausnahmerecht geschaffen wurde, ist eine Frage für sich. Die Bissenschaft scheint mehr und mehr zu der Anficht ich zu bekehren, daß die Erfüllung des Staatszweckes iberhaupt nur ordentliche Rechtsmittel anwende, olange sie zu Gunsten des gemeinsamen Wollens inzelnen Personen oder Gliedern eine Beschrankung ꝛer Rechtsbefugnisse auflege. Zum mindesten dann, venn sie diese Rechtsmittel nur einer ganz bestimmi czeichneten Richtung gegenüber handhabt, ohne selbft n Eigennutz zu verfallen. Das ist es, was rechtlich und politisch in Er⸗ oagung kommt, dem Sozialistengesetz gegenüber. die starken Miliel, welche der Sozialismus gegen en modernen Staat in Anwendung bringt, sind ins bekannt. Sie heißen Zerstörung des Eigen⸗ sums, Hemmung der persönlichen Bewegungs⸗ und Nandelsfreiheit und Mord. Daß hierdurch die vom ?taate gewährleistele Einzelfreiheit in der unerhör⸗ gten Weise gefahrdet erscheint wind von keiner Seite abgesprochen. Daß die Regierung einen amhaften Mißbrauch mit den gegen' den Soziais us aufgerichteten Rechtsnormen getrieben habe, oird von keiner Seite behauptet. Es wäre das mch gar nicht gut denkbar, denn das Sozialisten- xb selbst ist in leßter Justanz der Obhn öffent⸗ iher verantwortlicher Körperschaften anveriraut. agag die Rechtsgrundiage des Gesehes wird en. Die allgemein geltenden Sirafgesehe * — jeden Thäter“ zu belangen Mit eschrankung volitischer Rechte schüßze man den Staat und die Gesellschaft am allerwenigsten gegen die Nachahmung nihilistischer Attentate. Auch seien die Grundrechte des Volkes, welche allen die gleiche yolitische Regsamkeit zuerkennen, unveräußerlich Jede Rechtsungleichheit sei der Anfang des Klassen⸗ rechtes, welches schließlich nur auch wieder zu Re— »olution und internationalen Mordverbänden führe. die Unhaltbarkeit dieser Einwände ist oben darge⸗ han. Das erste und vornehmste Grundrecht des Jolkes ist es doch, sich diejenigen weitgestreckten zrenzen der Einzelfreiheit, die es sich durch Arbeit ind politische Einsicht verdient hat, gegen den krassen rigennutz und die blinde Zerstörungssucht sicher zu tellen. Ein Recht ist es auch, daß ihm, dem taatstüchtigen Volke in seiner Gemeinschaft und in einem gemeinschaftlichen Wollen mit anderem Maße emessen werde, als seinen erbarmungs- und schon⸗ ingslosen Widersachern. Es liegt auch ein recht ernster Gedanke in der frivolen Forderung der So⸗ ialdemokratie, ihre Agitation „unter dem Schutze des Sozialistengesetzes“ weiter betreiben zu können. In Wahrheit ist dieses starke Rechtsmittel geradt das, was solchen Wühlern an Recht gebührt. Ein anderer Einwand, dem wir begegnen, will wischen den Anarchisten und den deutschen Sozial⸗ demokraten unterscheiden. So außerordentlich fein uuf jener Seite auch das Unterscheidungsvermögen ein mag, — (von dorther koͤmmt bekanntlich auch die Unterscheidung von Liberalen und Auch-⸗Liberalen,) — so können wir doch in diesem Falle nimmermehr ugeben, daß der moderne Staat genöthigt sein ollte, den Sozialisten etwas weniger, den Anar⸗ histen etwas mehr Rechtsbeschränkung aufzuerlegen. Er ist wohl befugt, und auch verpflichtet, dort eine Brenze zu ziehen, wo die Anerkennung des moder⸗ nen Staatswesens aufhört. Ganz gleich aber darf er dann diejenigen behandeln, welche dem modernen Herfassungsstaate und der modernen Erwerbswirth⸗ chaft grundsätzlich entgegenstehen. Alle diese Ele— nente unterscheiden sich ja auch durchaus nicht in )en Zielen, sondern höchstens in der Taktik, was elbst die Fortschrittsblätter nicht zu leugnen ver⸗ nögen. Darum glauben wir, daß die liberale Partei im Interesse der Gesellschaft, wie des Staates die beantragte Verlängerung des Sozialistengesetzes jutzuheißen verbunden ist. (Pf. L.C.) Politische Uebersicht. Deutsches Reich. München, 8. März. Die Kammer beschloß, über die Nürnberg⸗Bamberger Petition Betreffs Er⸗ veiterung des Gemeindewahlrechts, »em Ausschußantrag gemäß, zur Tagesordnung iberzugehen, und die Petitionen Betreffs der Brannt⸗ weinsteuer der Regierung zur Würdigung hinüber⸗ zugeben. Der Finanzminister erklärt die möglichste Berücksichtigung. Berlin, 9. März. Der Kaiser ertheilte heute Mittag dem Prasidenten des Reichstags, v. Levetzow und den Vizepräsidenten v. Frankenstein und Hoff⸗ nann eine Audienz. Berlin, 9. März. Die Norddeutsche Allge— meine Zeitung erfährt aus England Folgendes: Zur selben Stunde, als auf der Viktoriabahnstation n London eine Höllenmaschine erplodirte, eine indere auf der Paddington⸗Station befindliche aber zersagte, befand sich Prinz Heinrich in Begleitung »es deutschen Botschafters auf dieser letzteren Station, ind zwar in einem Zimmer gerade über dem Raum vo jene Maschine lagerte. Diese versagte ledialich — deßhalb, weil das Oel in der Uhr zu dick geworden war; sobald der untersuchende Polizeibeamte den Koffer, der die Maschine enthielt, beruͤhrte, begann die Uhr wieder zu gehen, und die kleine Pistole, welche die Explosion hervorgerufen haben würde, war gespannt, so daß bei regelmäßigem Gang des Uhrwerks die Vernichtung des Zimmers, in dem sich unter anderen Prinz Heinrich und Graf Muünster befanden, unvermeidlich gewesen wäre. Entschädigung unschuldig Verur— theilter. Von Seiten der Reichsregierung ißft ein Gesetzentwurf, betreffend die Enschädigung un— jchuldig Verurtheilter, eingebracht worden. Eine deutsche Colonie? Die Reichs⸗ cegierung beabsichtigt, an der Küste Westafrika's eine Station zu errichten. Ob eine bloße Kohlenstation, oder gleichzeitig auch eine Handelscolonie begründet werden soll, ist noch nicht entschieden. Ausland. Paris, 9. März. Die heutigen Morgenblätter zringen Telegramme aus Lyon, welche melden, daß jestern in dem Bureau des Messagerie ein an den Brafen von Paris adressirtes Packet abgegeben wurde. Die Beamten schöpften Verdacht, da der Aufgeber )es Pacets, wie fich alsbald herausstellte, nicht die Wohnung inne hatte, welche angegeben war. Das Packet wurde nach dem Arsenal geschafft, wo fest⸗ jestellt wurde, daß dasselbe eine explodirbare Bombe enthielt, welche beim unvorsichtigen Oeffnen des Packets explodiren mußte. — Wie der Soleil meldet, xplodirte gestern in der Zollwächterkaserne in Lyon ine Dynamitpatrone, wodurch ein Unteroffizier oͤdtlich verwundet wurde. — In einer gestrigen Versammlung der hiesigen Anarchisten wurde be⸗ chlossen, strenges Geheimniß über die Vorbereitungen zu einem nahe bevorstehenden großen Meeting zu beobachten. Man will wissen, daß dasselbe am 18. d. M. auf einem hiesigen Platze stattfinden würde. Anarchistisches. Die Pariser Anarchisten setzen ihre Versammlungen fort mit den dabei im bekannten Style gehaltenen Reden. Andererseits werden in den vorstädtischen Arbeitervierteln zahl— reiche Flugblätter vertheilt, in denen eine neue anarchistische Versammlung auf öffentlicher Straße für die nächste Zeit angekündigt wird, ohne jedoch Ort und Zeit schon näher anzugeben. Die Höllenmaschinen. Wie die Londoner Behörden ist auch die französische Polizei eifrig be— müht, die Personen, welche die Höllenmaschinen in den Gepäckräumen verschiedener Londoner Bahnhöfe abgaben, zu entdecken. Man glaubt, daß sich die Uebelthäter in Fraukreich befinden. Ein aus Amerika kommender Brief ist in die Hände der Pariser Polizei gelangt, wonach für den St. Patriziustag (13. März) in London ein neues Dynamit-⸗Attentai in Anssicht penommen ist,. Lokale und pfälzische Nachrichten. *St. Ingbert, 10. März. (Besitzwech— jel.) Durch Versteigerung ging das in der alten Bahnhofsstraße gelegene, früher Zimmermann Bechtel'⸗ sche Haus um die Summe von 4600 Mt. in Besitz des Herrn Gtrubensteigers Kaiser über. — Kaiserslautern, 9. März. Der Delegirten⸗ tag des Pfälzischen Gewerbevereinsverbandes endete nach dreistündiger Berathung mit einem völlig ne— gativen Ergebnisse. Das Projekt der Errichtung einer hesonderen Arbeitercolonie für die Pfalz wurde verworfen, weil andere Hilfsmittel gegen das Va— gantenthum noch lange nicht erschöpft seien und die gesammelten Erfahrungen der Wilhelmsvorfer