st. Jugherter Atzeiger. Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert. Dder St. Ingberter Anzeiger“ erscheint wbchentlich fünfmalz Am Montag, Dienstat, Donnerstag, Samstag und Sonutag; 2wmal wöochentlich mit Unterhaltungb- Blatt und Sonntags mit Sseitiger illustrirter Beilage. Das Blatt kostet vierteljahrlich 1 AM 60 einschließlich Trägerlohn; durch die Post bezogen 1.4 75 , einschließli 10 Zustellungsgebuührr. Die Einrückungsgebühr far die 4gespaltene Garmondzeile oder deren Raum beträgt bei Inseraten aus der Pfalz 10 H, bei außerpfälzischen und solche auf welche die Expedition Auskunft ertheilt, I3z A. NMeclamen 30 A. Bei 4maliger Einrüdung wird nur dreimalige berechnet. M 97. Die jüngste Reichstagssession. Nach einer aufregenden und äußerst langwierigen Session hat endlich der Reichsstag am letzten Frei⸗ sage geschlossen werden können. Beinahe sechs Monate hat diese Session gedauert und 102 Sitz⸗ ingen des Reichstages sind in derselben gehalten vorden, fürwahr ein gewaltiges Stück parlamen⸗ arischer Arbeit, welches selten geleistet wurde. Man könnte allerdings fragen, ob denn diese Reichs⸗ agssession nicht hätte abgekürzt werden können? Darauf muß man seltsamer Weise mit „Ja“ und „Nein“ antworten, mit „Ja“, wenn mehr Einig⸗ eit unter den Vertretern des Reiches vorhanden vpäre, mit „Nein“, da es parlamentarisches Grund⸗ recht ist, daß Gegner wie Freunde eines Gesetzent wurfes Alles aufbieten dürfen, um ihrer Anschau⸗ ung Geltung zu verschaffen. Bleiben wir bei diesem Endziele alles Parlamentarismus, so kann man von der letzten Reichstagssession behaupten, zaß sie sich viel besser gestaltet hat, als der Ruf, der ihr vorausging. Gleich bei Beginn der Session nachte sich im Diätenantrage und dann in der Ablehnung der neuen Direktorstelle für's Auswärtige Amt und der Dampfersubventionsvorlage ein solch zorniger oppositioneller Geist der Freisinnigen, lerikalen, Sozialdemokraten, Welfen und Polen geltend, daß man allgemein an eine baldige Auf⸗ dbsung des Reichstages glaubte. Der Reichskanzler voslte aber offenbar ebentuell öffentlich konstatiren, vie weit die Opposition im Reichstage es treiben verde und rieth von der damals so nahe liegenden luflösung des Reichstages ab. Die hervorragend⸗ ten Oppositionsführer haben dann auch, die nationale Entrüstung fürchtend, in der Praxis nach- jegeben und es kamen in der Session einige stark angezweifelte Vorlagen, zumal die Dampfersubven⸗ fionsvorlage und die Gesetze für die deutsche Colonialpolitik, zur Annahme. Neben den immer viel Zeit in Anspruch neh⸗ menden und mit gewohnter Sorgfalt erledigten ktais · Beraihungen muß von der jüngsten Reichs⸗ tagssession hervorgehoben werden, daß sie viele An⸗ räage auf Gesetzesäͤnderungen aus den Reihen der Abgeordneten aufwies. Die meisten dodon, darunter alte belannte Anträge der Klerikalen, Polen und Danen führten allerdings zu keinen praktischen Resultaten oder blieben in den Kommissionen stecen. Auch auf dem sehr wichtigen fozialpolitischen Ge⸗ biete fehlte es nicht an Anregungen, doch ist nur das Kranken; und Unfallversicherungsgesetz auch auf die im Transporigewerbe beschäftigten Arbeiter azusgedehnt worden, während es leider fur die and⸗ und forstwirthschaftlichen Arbeiter noch nicht die entsprechende Ausdehnung fand. Doch werden auf sozialem Gebiete die ferneren Reformen nicht anlerbleiben. — Gleiches mag von der ebenfalls merledigt gebliebenen Postsparkassenvorlage und )em Antrage auf Einführung einer Börsensteuer, die beide das soziale Gebiet berühren, gelten. — Lin Haupitheil der schöpferischen Arbeil des Reichs⸗ ages war schließlich dem Ausbau des Zolltarifs ewidmet. Es handelte sich darum, die weiteren donsequenzen des 1879 adoptirten Princips des Schußes der nanonalen Arbeit zu ziehen. In diesem Sinne ist zunächst die erfolgte Regelung deß zollanschluffes der freien und Hansestadt Bremen ils ein Abschluß der Materie nach dieser Seite hin u begrüßen. Was die wirthschaftliche Bedeutung beschlossenen Tarifänderungen angeht, nament ich den dem landwiritschaftligen Gewerbe uu Tbheil Montag, 18. Mai 1885. 20. Jahng zewordenen wirksameren Schutz und die Stellung der Parteien zu diesen Maßregeln, so sind die be— reffenden Kapitel noch nicht beschlossen. Hoffentlich verden die praktischen Erfahrungen darthun, daß nan in der Hauptsache mit den Schutzzöllen das ttichtige getroffen hat. Der Umstand, daß zum rsten Male dem Reichstage in Gestalt von Weiß⸗ üchern umfangreiche Sammlungen von Altenstücken ugingen, welche, auf die auswärtigen Beziehungen es deutschen Reiches Bezug habend, hauptsächlich nit der Entwickelung der deutschen Kolonialpolitik a engster Beziehung standen. weißt darauf hin, aß diese Kolonialpolitik einen der Angelpunkte ildete, um den sich die Ergebnisse der Session in »er Hauptsache drehten. Man kann aber auch agen, daß diese Kolonialpolitik schließlich einen iationalen Felsen zeigte, an dem sich die Wogen zer Opposition brachen. Die im nationalen In⸗ eresse geforderten und erst stark bekämpften Vor⸗ agen, bezüglich der Kolonialpolitik wurden schließ⸗ ich alle genehmigt. oollsiändig billigt und kann von einer Desavouirung omaroff's nicht im Entferntesten mehr die Rede sein. Deutsches Reich. Berlin, 16. Mai. In der heutigen Sitzung »es Bundesrathes wurde der Bdrsensteuer⸗Gesehent- vurf den Ausschüssen überwiesen“ und der Gesetz⸗ eniwurf betreffend Ausdehnung der Kranken⸗ und Anfallversicherung genehmigt. Berlin, 16. Maĩi. Die Offerten aus remen und Hamburg wegen Uebernahme der sub⸗ entionirten Dampferlinien sind geftern hier einge⸗ jangen, und der Staatssekretär des Innern, v. Boetticher, wird unverweilt dem Reichskanzler über en Ausfall der Offerten Mittheilung machen. — Mit dem Friedensschluß zwischen Frankreich und Fhina werden nun auch die in Stettin erbauten hinesischen Panzerkorvetten, welche im Lieler Hafen liegen, endlich nach China abgeführt verden. Seitens der chinesischen Gesandtschaft vird bereits mit Schiffskapitänen wegen Ausmuster⸗ ing der erforderlichen Schiffsmannschaft und der Ueberführung der Schiffe an den Bestimmungsort interhandelt. Berlin, 17. Mai. Die Großherzogin von Baden hat sich heute Mittag nach Potsdam be⸗ zeben, um den an den Masern erkrankten Erbgroß⸗ herzog von Baden zu besuchen. An Stelle des zum Generalkonsul in Tanger designirt gewesenen verstorbenen Dr. Nachtigal oll, wie verlautet, der langjährige erste Dragoman er deutschen Botschaft in Konstantinopel, Herr Tesda, als Generaltonsul Deutschlands nach Tanger gehen. Politische Uebersicht. 5 * Die in Berlin verbreiteten Gerüchte über eine Erkrankung des Reichskanzlers sind zurchaus unbegründet, derselbe erfreut sich der hesten Gesundheit; dagegen befindet sich seine Ge⸗ nahlin unwohl. Der „Pester Lloyd“ beschwert sich bitter über »en Streich, der durch den neuen Vertrag des eutschen Reiches mit Spanien gegen Ungarn geführt sei, da jetzt auch die öͤsterreich⸗ ingarische Korn⸗Einfuhr durch die hoͤheren deutschen Zölle getroffen wird. Das Pester Blatt spricht rohend von der Erschütterung des Bündnisses urch den rücksichtslosen Egoismus des einen Con⸗ rahenten. Auch die meisten Wiener Blätter klagen iber die Schädigung. Andererseits wird der Ar⸗ ilel des „P. L.“ auf den Grafen Andrassy und eine Animositat gegen den jetzigen Leiter der aus⸗ värtigen Politik in Oesterreich Ungarn zurückgeführt. Lokale und pfälzische Nachrichten. *Si. Ingbert, 18. Mai. Gestern Nach⸗ nittag hatte der Landwehrverein unter jzahi⸗ eicher Betheiligung seiner Mitglieder mit Peusik ind Fahne einen Ausflug nach Hassel und Reichen- drunn unternommen. St. Ingbert. 18. Mai. Für Reisende, die einen Anschlußanpreußische Staats— zahmen benutzen, dürfte nachfolgende Verfügung on Interesse sein: „Wenn ein Reisender verspätet nit einer Nachbarbahn oder einem Anschlußzuge mkommt und aus diesem Grunde keine Zeit zum roͤsen einer Karte für die Weiterfahrt haĩte,soll er Zusatzpreis von 1 Mt. nicht erhoben werden.“ *Die Pfalzischen Eisenbahnen ver⸗ innahmten im Monat April dieses Jahres 75,046 Mark O6 Pf. mehr als im gleichen Monat des Vor— ahtes. Die Mehreinnahme in den 4 berflossenen Monaten des lauf. Is. beträgt gegenüber dem gleichen Jeitaume pro 1884 die Summe von 257,604 Ni. * Die auf Grund eines mit aller Bestimmtheit ahier verbreiteten Gerüchtes in Nr. 95 bo. Bl. bergegangene Rachricht von der Entlassung des Schulwerwesers Reitß von Oberwürzbaqh aus )er Haft, hat sich, wie wir neuerdings hören, nicht ꝛestätigt. Auch die an jene Nachtichi geknüpfte Bemerkung, daß die Person, die gegen Reiß Anzeige rstattet hat, flüchtig solle gegangen sein, wird uns us durchaus falsch bezeichnet. — In der Sitzung der Strafkammer des kgl. dandgerichts Zweibrücken vom 13. Mai wurde Joh. Leonhard, 29 J. a., Bäcker von Glanmünch⸗ veiler, wegen dreier Verbrechen wider die Sittlich⸗ eit, derübt durch Vornahme unzüchtiger Handlungen m Kindern unter 14 Jahren, zu einer Gesammt⸗ uchthausstrafe in der Dauer von 5 Jahren verur. — — Die Schwierigkeiten, die sich zwi⸗ chen England und Rußland wegen der Ibstecung der neuen afghanischen Grenze ergeben aben, sind noch immer nicht definitiv gelöst. Schließ⸗ ich handelt es sich aber doch nur ncch um die jrage, ob den Russen oder den Afghanen einige reitige Weideplätze zuzusprechen seien und diese ist o unfergeordneter Natur, daß ihre Losung unmöglich zoch langere Zeit erfordern kann. Eine definitive Iniwort Rußlands ist, entgegengesetzt den jüngsten Neldungen Londoner Blätter, noch nicht in London ingetroffen, wird jedoch in diesen Tagen erwartet. die „Daily News“ schreiben: Die zwischen Eng⸗ and und Rußland entstandenen Meinungsverschie⸗ enheiten bezüglich des afghanischen Grenzablommenß zerühren dessen Wesen nicht; einige Punkte werden veiter eroͤrtert. eKaiser Alezander hat dem Gene⸗ zal Komaroff, dem Besiger der Afghanen, inen goldenen Ehrensaäbel mit Brillanten ind dessen Unterbefehlshaber Major Zakrschewsky, benfalls einen goldenen Ehrensäbel verliehen. Es st in dieser Auszeichnung wohl der beste Beweis jafür zu erblicken, daß der Czar das Verhalten eines Generals gegenüber den Afghanen, speziell vas den Zusammensioß am Kuschkflusse anbelangt.