Full text: St. Ingberter Anzeiger

Die Mutter ist yefund, wir haben ein schbnet 
neues Heim und Du bist uns wieder gegeben! 
D, wie lönnen wir dem Himmel genug dan⸗ 
ken. Doch komm. Du wirst Dich sehnen lieb' 
Mütterchen zu sehen; — was sie wohl zu 
der Ueberraschurg sagen mag? Gib mir das 
Pfeifchen dort, Hugo, dann kommt fie gleich.“ 
XIX. 
Aeußerlich ruhig, aber mit hochklopfendem 
herzen dffnele Lord Cuthbert das kleine Pri⸗ 
datzimmer im Gasthof zum Hirsch“ und sah 
tinen Mann, der eifrig fein spärliches Mal 
derzehrie. Der erste Blick auf die gebeugte 
Beftalt, die dünnen grauen Locken bewies, 
daß ein Irrihum vorliege, und der Gutsherr 
wvusite nicht, war es Leid oder Freude, was 
ihn so heftig vewegte. 
Als der Fremde Jemand eintreten hörte, 
„andte er sich und da er Lorb Lyle erkanme, 
erhob er sich fofort mit achiunmgsvoltem Gruße. 
Er haite sich nicht Tagelang in der Nachbar⸗ 
schaft aufgehalten, ohne den Schloßherrn zu 
sennen, dieser aber erinnerte fich nicht, je die⸗ 
sea abgezehrte, krankhaft bleiche, schmerzdurch⸗ 
jurchte Antliß gesehen zu haben, dessen todten⸗ 
uhnliche Farbe an die Leprosen des Ostent 
erinnerte. Selbst die Augen waren krübe und 
glanzlos und die hohle Brust erschütterte ken⸗ 
chender Huften. 
Wunschen Euer Gnaben mich zu sprechen.“ 
fragte er. 
„Ich habe mich wohl geirrt. Meine Die⸗ 
nerschaft meldete, daß ein Fremder sich in 
auffuslender Weise auf dem Gute herumtreibe, 
und ich keim, ihn zu fehen, er vartete aber eine 
ganz andere Person. Entschuldigen Sie.“ 
„Eigentlich habe ich um Entschuldigung 
pa bitten, gnädiger Herr, denn ich gestehe, 
daß ich mich in letzter Zeit viel im Parke 
aufhielt und ich hatte dazu auch einen Grund, 
und zwar nicht meine Gefundheit, denn so 
wohlthätig Waldesluft und Sonnenlicht mo⸗ 
mentan auch wirken mag — das Ende ist 
doch das Gleiche“ 
Wie bleich und leblos erschien das Antliß, 
das bereits das Zeichen des Todes trug! 
ord Cuthbert fuͤhln Mitleid. 
„Sie leiden, mein Herr, haben Sie große 
Schmerzen * F 7 
Der Fremde lächelte wehmüthig. 
„Wenn man viel gelitten hat, stumpfen 
sich die Gefühle nach und nach ab.“ 
„Nun, ich werde dafür sorgen, daß meine 
Leute Sie nibbt belästigen, besuchen Sie den 
Park, so oft es Ihnen beliebt, es soll mich 
freuen, wenn die Luft Sie stärkt.“ 
„Danke, danke, Euer Gnaden. Ich erlaubte 
nir vhnehin schon mehrfache Promenaden dort 
uind sah bei der Gelegenheit Ihre Gäste. 
Welch reizende Dame war es doch, die heute 
rüh mit Graf Lubin ausfuhr 7* 
Das bloße Nennen dieses Namens ver⸗ 
uünderte des Mannes Antlitz. Schien es erst 
kalt und leblos ? Jeztzt glühte es in Fiever⸗ 
hitze, krampshaft bewegten sich die Muskeln, 
die Augen funkelten wie Stahl. 
Verwundert starrte ihn Lord Cuthbert an. 
„Rennen Sie Miß Lloyd und den 
Brafen 7 
„Ich stand vor Jahren in Geschäftsver⸗ 
bindung mit ihrem Vater und war nun sehr 
erstaunt zu hören, daß das Fräulein sich dem 
Brafen vermählen wird.“ 
Lord Cuthbert seufzte. 
„Mylord,“ demerlie der Fremde herzlich. 
„Sie dehandelten mich gütiger, als mancher 
Edelmann gethan haben würde, und das gibt 
mir den Muth noch miehr zu erbitten, auf daß 
Diiß Lloyd nicht in die Schlingen eines elen⸗ 
den Betrügers gerathe.“ 
„Sprechen Sie von Graf Lubin 7“ fragte 
Lord Cuthbert schnell. 
„Ja, von dem ärgsten Teufel, denn die 
Hölsle seit Jahren ausspie. Doch ich soll mich 
nicht aufregen, weil ich jeden Ausbruch der 
Ldeidenschaft mit koͤdtlicher Erschöpfung düßen 
muß. Sagen Sie mir aur, ob ich in ihrer 
Seele gelesen, ob Sie das schöne Mädchen 
lieben, es retten wollen aus den Klauen ein es 
Schuftes ? 
„Ja, und koste es mein Leben,“ entgey⸗ 
nete Lord Cuthbert innig. 
.Wollen Sie dann freundlich mir Hilfe 
gewähren, dis ich im rechten Mowent ihn em- 
jarve ? Dann werden Sie begreifen, welch 
maͤchtiger Faktor die lebende Seele an den 
II 
Wohl würde ich Alles shun, Miß Lloyd 
zu retten, aber ich sehe keine Gesahr. Ihr