Full text: St. Ingberter Anzeiger

ist ein zu buntes, um gehörig unterscheiden 
zu kdnnen; dahet nur einige kurze Fe 
derstriche. 
Lange, lange blickten sich die beiden Glüd⸗ 
lichen gegenseitig in den ewigklaren Spiegel 
alles seelischen Thaus, aller Empfindung, dann 
sank der sonst so starke Mann, eine Thräne, 
eine Perle der Freude, der köstliche Tropfen, 
der tin männliches Antlitzz zu zieren vermag, 
über die- Wange gleiten lassend, zusammen 
und ruhte an dem hochschlagenden Herzen des 
Mädchens der Jungfrau, die er schon längst 
in den Armen eines Andern verloren ge⸗ 
nlaubt hatte. 
In diesem Sinnenrausch hatten die beiden 
Blücklichen nicht bemerkt, daß ein Dritter 
Zeuge der itzten Scene geworden war; es 
war der Pastor. Mir Thränen stand der greise 
Mann hinter dem Paare und ergößte sich an 
ihrem Anslick. 
„Ei, ei, meine Helene,“ unterbrach endlich 
der Pastor das Schweigen, „was muß ich 
sehen J Du in den Armen eines Mannes7“ 
Mit hochgerötheten Wangen erhob sich 
Helene, den Arm Brunos fest umklammernd, 
und näherte sich mit ihm dem greisen Pastor, 
der noch immer auf seinem Beo bachlungs- 
punkte stand. 
„Herr Pastor, mein Bruno!“ sagte sie, 
auf denselben deutend. Weiter vermochte sie 
aichts hervorzubringen; die Stimme versagte 
ihr, und, aufgelöst in Wonne und Schmerz, 
sank sie wieder an die Brust des geliebten 
Mannes. 
Der Herr segnen Euch und gebe Euch 
seinen Frieden!“ sprach der Pristor, von der 
Inbrunst der Gefühle des sich vor ihm beu⸗ 
genden Paares gerührt. „Der Name des Herrn 
jei gelobt! Amen!“ Gu 
„Amen!“ wiederholten auch die Beiden“ 
Der Weg nach dem Epheuhause war troß 
der drückenden Mittagshitze bald zurüchgelegt. 
Zwar herrschte noch immer die heimische Stille 
der Staͤtte der Jungfrau hier in diesen Räu⸗ 
men, allein die geschäftige Haushälterin schien 
heute ganz besonders veschäftigt zu sein. 
Helene bemerkte es in ihrer Aufregung 
nicht. Sie setzte sich mit Bruno und dem 
Pastor an den großen Gartentisch, der eben von 
der alten Dienerin auf den Wink den Pastort 
servirt worden war. 
„Aber, Helene, es fehlen ja noch 2 Cou⸗ 
verts!“ sagte der Pastor. 
„Wie so?“ fragte Helene erftaunt. 
„Sehr einfach deswegen, weil wir noch 
Besuch erhalten werden!“ 
„Von wem?“ 
Von den beiden Förstern; welche auch 
gesonnen sind, an unserer gemeinschaftlichen 
Freude Theil zu nehmen!“ 
„Aber, ich bitte Sie Ehrwürden, wie 
sönnen denn die beiden Herren davon wis⸗ 
sen d“ meinte Helene den Paftor verwundert 
anblickend. 
„Das ist sehr einfach meine Helene. Höre! 
Uus Deinen Erzählungen und Beschreibungen 
konnte ich mir so ungesähr ein Bild von dem 
Herrn Hell entwerfen. Als ich nun vor einigen 
Tagen den Namen des Herrn Geschäftsführers 
oͤfters nennen hörte und ich mich nach seinem 
Vornamen erkundigte, glaubte ich, nicht recht 
gehört zu haben. Ich war dadurch, ich muß 
es gestehen, höchst neugierig gemacht wvrden 
und näherte mich Herrn Hell. Ich fragte ihn 
nach seinem Vornamen, da es mir unglaublich 
schien, daß dieser Herr derselbe sein bönne, 
von dem Du mir erzählt hattest, da er ja 
nach Deiner Aussage bei Deiner Rettung ver⸗ 
unglückt, verbrannt, und seine Ueberreste auf 
dem Friedhofe zu Vd. .... beerdigt seien. 
Er naunte mir ihn, worauf ich ihm erzählte, 
daß ich vor einigen Jahren in den Zeitungen 
gelesen hatte, wie ein junger Mann gleichen 
Namens bei dem Brande des St. Jalobs⸗ 
thurms zu M..... ein junges Mädchen 
geretiet habe und dabei verunglüdct sei. Nun 
erzählten Sie mir,“ sagte der Pastor auf 
Bruno deutend, „Ihre höchst eigenthümliche 
Rettung und bemerkten, daß Sie nur deßhalb 
versczwunden seien, unm ...-Doch ich 
glaube, Herr Hell wird Dir das noch viel 
defsfer zu erzählen wissen. Nicht wahr, Herr 
Bräutigam, wie man Sie jetzt doch tituliren 
darf * 
Gewiß, Ehrwürden!“ 
Als er mir, wie gesagt, umständlich seine 
Rettung, die Du in ihren Einzelheiten ebenso 
hören wirst, erzählt hatte, entwarf ich mir 
einen Plan, der mir zum größten Theil ge⸗