Full text: St. Ingberter Anzeiger

rannen die Thräuen über die welken Wangen, 
der Förster sah sinster vor sich hin. 
Alz die Beiden das kleine Häuschen ers 
reicht hatten, in welchem die Mutter wohnte, 
jog die alte Frau einen Schlüssel aus der 
Tasche ihres Kleides, öffnete und ließ den 
Sohn eintreten. 
„Fühlst Du denn nichts mehr in Deinem 
Herzen für Deinen unglücklichen Bruder, 
Huo?* fragte sie in flehendem Ton, „D eine 
Matter ist auch seine Mutter, Dein Blut 
rollt auch in seinen Adern. “ 
.Redensarten, mit denen man keinen Hund 
hinterm Ofen weglockt“, unterbrach der Forster 
sie barich. —X 
„Ihh weß, Du hast ihn nie geliebt“, 
fuhr die Mutter traurig fort. “,Du warst 
zehn Jahre atfk, als *xr geboren wurde, 
ich hatte Euch Beide lieb, jo decht vom Herzen 
lieb.“ 
„Aber den Jüngeren zogst Du doch 
vpor. n 
„Niemals! Er bedurfte größerer Aufmerk ˖ 
samkeit, weil er ein sa waches, kräukliches Kind 
war und Du auch schon das Alter erreicht 
hattest, in welchem die Eltern ihre Kinder sich 
selbst überlassen funen. Ihr spieltet nie zu 
sammen — — ινννννν 
„Ganz natürlich, er war ein Stuhbenhocker, 
deschäitigte sich schon früh mit der' edlen 
Schreibiuuft. die ihn nachher ins Zubt haus 
brachte. Mich zog es hinaus in den Wald, 
in die freie, herrliche Natur; so trennten 
unsere Wege sich schon früh .·.. 
DDein Vater hat oft den Kopf dazu 
zeswüttelt und mich kostete es immer bittere 
Thränen, wenn, ich Euch Beide veischiedene 
Wege wandern jsah, ahber ich dachte, mit der 
Zut würde sich das ausleichen.“ 
„Der Messch denktt und Gott lenkt!“ 
hem ertte der Förster auseluckend. „Ich bin 
jetzt ein schucker. kräftiger Mann, fünfund-⸗ 
dre ßig Jahre alt, habe mein Biod und in 
meinem Häuschen Poetz genug für eine kleine 
Familie, er dagegea üitzt im Zuut auß,, bletch 
und maser wie ein Schevin. süchtiger, und 
weun ihn das Thor sich noch ei mal wied er 
öffenet, dann maz er nur getrost zum Bettel⸗ 
stus greifen und in die weite Welt hinaus⸗ 
vandern, wenn er nicht vorzieht, fein sauberes 
Bewerbe fortzusetzen.“ 
„Hugo! Hugo!“ warute die Alte, ver— 
ündige Dich nicht an Deinem VBruder. Weißt 
Du, weßvalb er jene Fälschung beging??“ 
Der Förster zuckte die Achseln. 
„Was geht's mich an, gennug, daß er sie 
deging! — Mir ist überh wupt in dieser Sache 
roch Manches räthselhaft.“ suhr er nach einer 
turzen Pause fort. „Aber was kümmerts mich. 
Ich verlange nicht, die Räthsel gelöst zu 
sehen. Georg wurde überführt und verurtheilt, 
das Urthein zerreißt das Band, weiches mich 
an ihn fasf lte.“ B 
Die alte Frau bathe sich neben dem Sohn 
nuf die Bant gesetzt und sah ihm wehmüthig 
ins Auge. 
„Ich will Dir jene Räthsel lösen,“ er⸗ 
viderte sie, „vielleicht gelmgt es mir, Dein 
herz dem Unglücklichen' wieder zuzuwenden, 
der jetzt im Elend unserer Liebe doppelt 
bedarf.“ 
Der Foͤrster zog seine Pfeife aus der 
Tasche, zündete sie an und lehnte das Haupt 
an die Wand. — 
„Als Georg seine Lehre bei dem Ban⸗ 
lier bestanden hatte, erhielt er. da sein Prin⸗ 
zipal unbedmgtes Vertrauen in ihn setzte, den 
Posten des Caisirers. Ich weiß nicht, welchem 
—XXL 
zatte, irre ich nicht, so war der erste Cassirer 
p.ötzlich ausgetteten und der Commerzientath 
jand unter seinem Personale Keinen, der so 
zeschickt im Rechnen und überaupt so an 
stellig und aufmerksam war wie Georg. Du 
veißt, was waͤhrend dieser Zed sich zutrug 
BWorg besuchte eft das Theater und die Con⸗ 
derte. Er hätte vesser As nicht gethan,“ aber 
die junge Wit will ihr Vergnügen haben 
and die Ermahnungen der Alten fcuchten 
nidts. Er lerne die Toshter seines Parrz pels 
ennen, villeicht auch legte er es darauf an, 
ich ihr zu nähern, wer taun es wissen. Georg 
leßß mich in diesem Punkte nie auf den 
Hrund jeines Herzens diicken. Wie oft habe 
ch iha gewarnt, wie oft geb ten, ven dem 
Mädchen abzulassen, wenn er it leuchtenden 
AUugen mir erzählte von ihrer Sch nheit und 
hrem edlen guten Herzen. Er lachte, und 
neinte, es sei manchem armen Schlucker ge⸗