Full text: St. Ingberter Anzeiger

eher ruhte, bis in dem Herzen seines Mün⸗ 
dels der Glaube an die Unfehlbarkeit des 
Lehrsahes Wuriel geschlagen hatte. Der 
Knabe machte denn auch zur Freude seines 
Vormundes in dieser Beziehung bedeutende 
Fortschritte, er bestahl syst matisch die Vor⸗ 
rathskammer des frommen Mannes, leerte die 
Flaͤschen im Keller dutzendweise. und kounte 
wenn Jemand es wagte, auf ihn Verdacht zu 
werfen, mit einer so frommen Miene ge⸗ 
fträukter Unschuld den Verleumder anblicken, 
daß dieser seine Vermuthung zurücknahm und 
um Entschuldigung dat. Im Hause eines got⸗ 
jesfürchtigen Kaufmanns bestand er seine 
Lehre, und hier fand sein Talent in der 
Verstellung hinreichend Gilegenheit, sich weiter 
aus zudilden. Der Pfarrer versch ffte dent 
feißigen Kirchengänger den Posten eines Buch⸗ 
haliere im Geschaäft das Commerzienrathes 
und bald genoß er das volle Vertrauen seines 
Prinziipals. 
Waldau hatte diesen Mann schon einige 
Male in der Weinstube angetroffen und gleich 
am ersten Abend durchschaut. Hierauf seinen 
Plan bauend, zweifelte er nicht, daß es ihm 
gelingen werde, den Buchbalter für sich zu 
gewinnen. Und in dieser Vermuthung hatte 
er sich keineswegs getäuscht. Der Buchhallter 
zuldete die Annäherung des Referendars, ja, 
er kam ihr auf halbem Wege entgtgen, als 
Waldaun eine Flasche des fensten Weins be⸗ 
stellt, und den alten Mann einlud, mitzu⸗ 
zrinlen. — 
Ich hatte schon längst, wenn ich Sie 
jeden Abend so still und einsam auf dem 
gewohnten Platze sitzend sah, Interesse an 
Ihnen genommen,“ hub der Referendar im 
daufe des Gesprächs an, „Ich dachte mir 
— 
scheiden von den Znsen seines kleinen Ver⸗ 
mögens zehrt. Sie haben in Ihrem Auftreten, 
Ihrem ganzen Wesen etwas Gediegenes, ich 
möchte sagen, eiwas Würdevolles, und dies 
hielt mich bie jetzt ab, eine Annäherung an 
—AR 
Der Buchhalter, dessen Eigenliebe sich ge⸗ 
IRVV 
nicht unterdrücken . 
„Ich könnte längst Rentner sein,“ erwi ⸗ 
derie er, „wenn mein Vosten in dem Bank⸗ 
hause, „Weber und Compagnie“ mir ein bes— 
jeres Einlommen abgeworfen hätte. Sie müssen 
wisen, daß ich seit zwanzig Jahren Bu vhhalter 
in diesem Hausfe bin, daß ich dort gleichsam 
den ersten Posten dekleide —“ 
„Der Ihnen gewiß ein schönes Gehalt 
einbringt,“ schaltete der Referendar. ein. 
Keineswegs, der Commerzienrath ist in 
dieser Beziehung keineswegs freigebig,“ fuhr 
der Buchhalter fort, dem der Wein bereits zu 
stopie ste g. 
Der Referendar füllte die Glöser wieder 
und stiezz mit dem alten Manne an. 
„In früherer Zeit war es Sitte. daß 
man solche Leute, wenn sie ihrem Pesiten so 
lunge vorgestauden hatten, als Theilhaber in 
das Geschäft aufnahm,“ versetzte er lauerud, 
„visleicht wird Ihr Prinzipal Sie eines Mor⸗ 
gens ebenfalls mit dem Geschäftsvertrag über⸗ 
raschen.“ 
„Es wäre Thorheit, Ich einer solchen 
Hhoffnung auch nur im Traume himzugeben,“ 
erwiderte der Buchhalter mit bedeutsamen 
Achselzucken. „Aber gesetzt auch, er böte mir 
wirklich diesen Contract an, ich würde ihn 
nicht unterzeichnen!“ 
„Weshalb nicht,“ fragte Waldau rasch. 
„Weshalb?“ Weil ich nicht später den 
Kopf in's Loch halten will, wenn — — 
doch wir reden da in einer öffentlichen Wein⸗ 
schenke über Dinge, welche nicht für jedes 
Ohr passen. Lassen Sie mich hieber schweigen, 
jm Lauf⸗ der nächsten Jahre wird Ihnen der 
Siun meiner Worte vielleicht klar werden.“ 
Der Referendar erhob sich. 
„Sie siad ein Thor,“ sagte er leise, 
während er sein Glas und die Flasche vom 
Tische nahm, „kommen Sie mit dort, in's 
sabinet. ich will Ihnen den Weg zeigen. auf 
welchem Sie sich zum alleinigen Inhaber 
dieses Geschäfis emporschwingen fönnen.“ 
Der Buchhalter sah mit einem Gemisch 
von Erstaunen und Neugierde in das Antii 
des jungen Mannes, der bereits im Stillen 
über den glüclichen Erfolg seine Operationen 
reumphirte, dann erhob auch er sich. um dem 
R.f rendar in das Nebenzimmer zu folgen. 
In einer Ecke des Gaftzimmers saß ein 
nͤemlich großer, elegant gekleideter Herr. wel⸗ 
cher anscheinend nicht das geringste Juteresse