Full text: St. Ingberter Anzeiger

Er mußie die Schlüffel zum Geldschrank be— 
sitzen, ebenso den zur Thür des Durchgangs, 
ferner wissen, daß in der eisernen Stange, 
welche die Schlagladen vor jenem Fenster 
jchließt, der Zapfen fehlt und drittens den 
Bestand unserer Kasse kennen, da er gerade 
diese Nacht zur Ausübung seines Verdrechens 
wahlte. 
„Ich fiade es unbegreiflich, daß eine so 
bedeutende Summe über Nacht in der Kasse 
blieb,“ versetzte der Refferendagdg. 
z3Wir haͤtten das Geld gestern Abend bei 
der Bank geholt, weil heute Morgen Wechsel 
in diesem Betrage vorgezeigt werden sollten,“ 
fuhr Helmes fort, „warum es der Kassirer 
schon gestern und nicht erst heute Moigen 
holen ließ, ist nach dem Vorgefallenen nicht 
schwer zu begreifen. Mein Verdacht fiel gleich 
auf ihn. Er besaß die doppelten Cassaschlüsset, 
das dritte Exemplar war durch unseren frü⸗ 
heren Kassirer Kraus abhanden gekommen. 
Faljche Schlüssel zu diesen Brahmae; und 
Thubbe Schlössern konnte der geschidteste Schlosser 
nicht anfertigen, wenn er nicht die Schlösser 
abmacht, um ihre Construction vor Augen 
zu haben, — also —“ 
„Nun, also?“ fragte Waldau. „Isi es 
nicht ebenso gut möglich, daß Kraus, der, wie 
Sie wissen, gestern aus dew Gefängnisse ent⸗ 
Ioh, das dritte Exemplar Schlüssel benutzte, 
um sich das Reisegeld zu verschaffen ?5 
Nein,“ erwiderte der Buchhalter bestimmt. 
Erfiens hatte Kraus die Schlüssel verloren, 
zweitens lounte er nicht wissen, daß der Zap 
sen in jener Eisenstange fehlte, drittens besaß 
er nicht die Verwegenheit, nach seiner Flunt 
noch vierund;zwanzig Stunden hier in der 
Saadt zu bleiben und viertens wußte er, daß 
wir nie mehr wie einige hundert Thaler über 
Nacht in der Kasse haben. Danun muß man 
bedenken, daß der Kassirer damals, als der 
Conmerzienrath Beweise gegen Kraus hahen 
wollte, Kich jafort zur Fätschung der Bücher 
bereit finden ließ, —— bezeugt dies nicht deut⸗ 
lich genug, daß er zu jedem Verbrechen fä⸗ 
dig ist 87 .. 
. FEr wurde verhaftet ?“ fragie der Neferen⸗ 
dar nach einer Paust·. 
—Oer Buchhalter nickte. „Nachdem wir 
All⸗9 unterhncht und einen Polizeibeamten, 
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zu Rath gezogen hatten, wurde der Cassirer. 
rotz seiner Unschuldsbethenerungen, ins Ge⸗ 
jängniß abgeführt. — Der Diebstahl kümmert 
mich wenig, die Hauptsache ist die, daß er 
unsern Plan vereitelt hat.“ 
„Weßhalb?“ fragte Waldau. „Der Com— 
nerzienrath wir accordiren. Sie haben also 
noch nicht eingesehen, daß der Diebstahl uns 
in die Hände arbeitet Schließen Sie muthig 
die Sprecculationsgeschäfte ab, lassen Sie ruhig 
den Bankier accordiren und warten Sie bis 
zum Frühjahr. Der zweste Verlust wird den 
Commerzienrath um so sicherer stürzen und 
Sie haben alsdann die Mittel, auf den 
Ruinen ein neues Geschäft aufzuführen.“ 
Dem Buchhalter, den der erste Schrecken 
derwirrt und entmuthigt hatte, leuchtete die 
Richtigkeit dieser Ansicht ein, er eilte fort, um 
das Geschäft abzuschließen, welches dem bereits 
vankenden Hause den letzten Rest geben 
ollte. 
Die Abend Zeitung brachte unter ihren 
Lokal ·Nachrichten folgende Mutheilung: J 
Heute Morgen passirten der Sohn eines 
hochgestellten Staatsmannes nebst seinem Men⸗ 
hor unsere Stadt. Er befindet sich auf dem 
Wege nach Amerika, um dort die Culturge⸗ 
schichte der zreien und mächtigen Republik zu 
tudiren und seine Kenntnisse in der Natur⸗ 
vissenschait und Völkerkunde zu erweitern. 
Wir wünschen den Beiden eine glückliche Reife 
and hoffen, unseren Lesern Feiner Zeit über 
die Entdeckungen des Professors Keller Mit⸗ 
heilung machen zu können.“ — 
In verwichener Nacht ward die Kasse des 
Bankhauses „Weher und Compagnie“ umn 
dierzigtausend Thaler bestohlen. Der That 
dringend verdäch ig ist der Kassirer der Firma 
derhajtet worden; — man sagt, das Haus 
werde vorläufig Jeine Zahlungen einstellen 
müssen.“ 
Orittes KapitelJ). 
Die ersten Wolken. 
Die Strahlen der Frühlingssonne schmolzen 
den Schnee auf den Bergen und weckten die 
Veilchen im Thale. Gravitätisch spazierte der 
Storch einher. auf der grünenden Wiese und 
zwitjchernd sonnten die Schwalben kich auf 
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