Full text: St. Ingberter Anzeiger

konnte und jetzt lockte ich ihm durch geschickte 
Fragen aus. Das Gut ist schuldenfrei, bildel 
aber auch das gesammte Vermögen des Herrn 
Bölling. Hundertundfünfzigtausend Thaler, 
neinte der Verwalter, löane man jeden Tag 
dafür bekommen. Der Gutsherr lebt sehr 
einfach, die Jagd ist das einzige Vergnügen, 
werches er sich erlaubt. Selten reitit er in die 
Stadt, fast nie empföngt er Besuch; Trunkb 
und Spiel sind ihm unbekannte Leidenschaften. 
Et lebt ganz für seine Frau und die Land⸗ 
wirthschaft.“ 
Ah!“ sagte der Baron, indem er ein 
Notizbuch aus der Tasche zog, in welchein er 
nachdenklich blätterte, „erzähle weiter.· 
DDas Gut vringt jährlich fünfzehntausend 
Thaler reinen Gewinn ein, das heißt, wenn 
kein Miß wachs einen Strich durch die Rechnung 
macht und die Ernte ziemlich gut ausfaͤlst. 
Wie lebt die, Frau Bölling's — 
Einfach und zurückgezogen. Sie findet in 
der Liebe zu ihrem Gaiten ihr ganzes Glrüd 
und sehut sich durchaus nicht nach einem 
Verkeht mit der Außenwelt. Der Gutsbsizer 
trägt sie auf den Händen, und wenn nie 
gerade heute nicht so munter und aufgeränmt 
ist, wie sonst, so liegt die Sauld einzig in 
dem Falliment des Vaters, deß Commerzien ⸗ 
raths Weber, der vor wenigen Wochen bereits 
zum zweiten Mal seit dem vorigen Herbit 
fallirt hat.“ 
ODer Baron erhob sich und durchschritt 
einige Mal das Zimmer, 
„Herr Boͤlling soll seinem Schwiegervater 
wieder aufhelfen.“ fuhr der Diener fort, 
„aber er will nicht, er sagt, der Commerzien⸗ 
rath könne hierher kommen und bis zu seinem 
Tode hier bleiben, aber ein Kapital gebe er 
nicht her.“ 
Der Baron winkte. „Ich weiß genug,“ 
sagte er. „Breobachte die Leute geuau und 
jei vorsichtig, daß Niemand Dein Thun 
vdemerkt.“ 
Der Dieuner entfernte sich. Sein Herr 
blieb noch eine geraume Weile in Gedanken 
versunken am Fenfter stehen und ging dann 
ebenfalls zur Ruhe. 
—— X&X&ß 
Viertes Kapitel. J 
Der böse Däniton. 
So sehr auch Helene gegen die durch 
Nichts begründete, ihr selbst räthselhafte Ab⸗ 
reigung antämpfte, wilche der Baron einflößte, 
gelang es ihr doch nicht, diese zu besiegen, 
Zie hörte ihm gerne zu, wenn er von seinen 
Reisen und Erlebnissen erzählte, ja sie konnte 
aft mit wachfendem Interesse, mit einer Angst, 
velche sie in fieberhafte Aufregung verjsetzte, 
jeinen Mittheilungen folgen, wenn er ein ge⸗ 
ährliches Abenteuer schilderte. In seinen 
Blicken lag ein gewaltig fesselnder Zauber, 
dem sie nicht zu enttinnen vermochte, woher 
dieser Zauber rührte, das wußte sie sich nicht 
zu erklären. — Nur dann, wenn der Baron 
mit ihrem Gatten fern ‚war, wenn sie allein 
in ihrem Boudoir saß, fühlte sie, wie tief 
die Abneigung in ihrem Herzen wurzelte, und 
daß diese ei⸗en, wena auch jehzt noch, ihr 
rätbselhaften Grund haben mußte, daran 
zweifelte Helene nicht. 
Bbulling dagegen fühlte sich zu dem Gaste 
hingezogen. Diese tief w sseuschaftliche Bil dung 
und die Erfahrungen desfelben erfüllten ihn 
mit Achtung und Bewunderung und da auch 
die Grundsätze und Lebensanschauungen des 
Barons mit den seinigen übereinstimmten, so 
schloß er sich mit jedem; Tage euger an 
ihn an. 
Mit dem Ankauf zögerte der Baron. Wenn 
er auch über wanches Gut, welches Bölling 
ihm vorschlug, seine Befriedigung aussprach, 
so konnte er sich doch nicht entschließen, den 
deabsichtigten Kauf ins Reine zu bringen, es 
schen fast, als ob er die Ausführung seines 
Vorfatzes geflissentlich in die Länge zu ziehen 
suchte. Bolling redete ihm nicht zu, der Baron 
hatte ja Erfahrung genug gesammelt, er 
mußte selbst am Besten wissen, was er thun 
olle. 
So verstrichen acht Tage. Der Baron 
heglitete den Gutsbesitzer stets, nur Mittags 
und Abends le'istete er der jungen Frau 
Gesellschaft. Ihre Brefürchtung, der Gast könne 
ihr läftig fallen, sah Helene nicht gerechtfer⸗ 
nigt, der Baron bezeigte ihr stets eine höf⸗ 
liche, aber auch zurüdhhaltende Aufmerksamkrit; 
er suchte sie nicht, er verfolgie sie nicht mit