Unterhaltungsblatt
St. Ingberter Anzeiger.“
1871.
Nr. 59. J
Die Brüder.
Original ⸗Nobelle von Ewald August Konig.
Der Baron lachte hell auf, aber dieses
Lachen klang so scharf und grell, daß Bar⸗
bara entsetzt von ihrem Stuhle aufsprang.
„Bleiben Sie nur sitzen,“ sagte der junge
Mann, indem er das Mädchen bei der Hand
iaßte und aus den Stuhl zurückzog. „Ich
veiß nicht, ob nicht der finstere Hugo Sie
mit seinem Bruderhaß angesteckt hat, aber
einerlei, ich will meine Mission erfüllen. Vorab
aber sage ich Ihnen, daß entweder jener gute
Freund oder Ihr Verlobter ein nichtswürdiger
Lügner ist, denn Georg Kraus hat nie daran
gedacht, die Bahn des Verbrechens zu betreten.
Als ich vor sechs Wochen von New⸗-Pork ab⸗
reiste, war ei nicht nur ein freier, sondern
auch ein geachteter Mann. Er bat mich seine
Mutter zu besuchen, und ihr eine kleine Summe
einzuhändigen mit dem Versprechen, daß
gr:ößere Summen nachfolgen würden.“
Aufrichtige Freude spiegelte sich in den
Zügen Barbara's. „Sie verkennen mich, wenn
Sie glauben, ich theile den Haß meines
Verlobten,“ sagte sie mit heiterem Ernst. „Ich
habe für den Bruder Hugo's nur Mitleid
gefühlt. Es ist schade, wenn ein talentvoller
Jüngling die Bahn des Bösen betritt. ihn
deßwegen aber zu hassen und zu verachten
finde ich ungerecht und grausam.“ I
„Sie sind ein gutes, braves Mädchen,“
versetzte der Baron, auf den das sanfte milde
Wesen Barbura's einen tiefen Eindruck machte.
„Ich bedauere, daß Sie Ihr Herz an einen
so rohen, ungebildeten Menschen weggeworfen
haben.“
Berührte der Baron mit diesen Worten
eine verborgene Saite in der, Seele des
(gortsetzung.) ?
Der Baron machte eine Pause, Barbara
sah schweigend vor sich hinu. Es iff eine
traurige Geschichte,“ sagte das Mädchen nach
einer Weile. „Die alte Frau hängt noch
immer mit ganzer Seele an ihrem Georg, im
Wachen und Träumen denkt sie nur an ihn,
und er hat seit seiner Flucht aus dem Kerker
sie ganz vergessen .
BVergessen 9?“ fragte der Baron. Können
Sie dies auch jetzt noch behaupten ?
„Warum, schrieb er nicht, als er in
Amerika angekommen war?“ fragte Barbara
im Tone des Vorwurfs. Und wenn es ihm
dort so gut geht, daß er die alte Frau unter⸗
stützen kann, warum thut er es nicht?“
„So viel ich mich entsinne, saute er mir,
er habe gleich nach seiner Ankunft in Amerika
geschrieben,“ erwiderte der Baron,
„Sie hat keinen Brief erhalten,“ fuhr
daßk Mädchen fort. „Hogo, mein Verlobter,
wollte wissen, sein Bruder sei vor einigen
Monaten in New⸗PYork verhaftet worden, ein
Bekannter hat ihm das von dort aus ge⸗
schrieben.“
In den Augen des Barons loderte Zorn
und Haß hell auf. „Hat jener Bekannte nicht
auch das Verbrechen des angeblich Verhafteten
genannt ?“ fragte er ironisch.
„Einbruch mit bewaffneter Hand. Hugo
sprach die Ansicht aus, dieses Verbrechen werde
drüben mit dem Tode bestraft.“