Wie von einer Tarantel gestochen, fuhr
der Förster von seinem Sessel auf, sein glü—
hender Blick war fest und unverwandt auf
das erschreckt zusammenfahrende Mädchen ges
richtet. „Unterschlagen? — sagst Du?“ rief
er auffahrend. „Wie kommst Du zu diefem
Verdacht? Glaubst Du, daß hier Jemand so
großes Interesse an dem Vagabunden nehme?
Was kümmert's mich, ob et ihm gut geht,
oder ob er im Gefängniß sitzt!“ —
„So berubige Dich doch!“ fiel Barbara
ihm in die Rede. „Weßhalb regt jene Frage
Dich so sehr auf ? Gehört es zu den Selten⸗
heiten, daß ein Brief verloren geht, oder
anterschlagen wird? Kann dies nicht gerade
hier sehr wohl der Fall sein, da der Brief
cine so weite Reise machen muß?“
Barbara hat Recht,“ begütigte die Mutter.
„Ich finde nichts in ihren Worten, was An⸗
stoß erregen könnte. Du läßt Dich durch jedes
Wort in Harnisch jagen. — Hugo, Hugo,
Dein Jähzorn stürzt Dich noch einmal in's
Verderben.“
„Besser zornig aufgefahren, als hinter dem
Berge gehalten!“ brummte der Förster, „ich
sage meine Meinung stets frei und offen
heraus, wem das nicht paßt, der läßt besser
mich ruhig meines Weges gehen.“ Er wars
nen Blick auf seine Taschenuhr, setzte die
Mütze auf und trat vor den Spiegel. „Ich
habe schon längst bemerlt, daß man mir lie⸗
hber auf den Rüceen, als ins Gesicht sieht,“
fuhr er fort. „Warum hat man nicht den
Muth, mir das zu sagen? Ich bin ein Mann,
—VD geraden
Wege ebenso rasch vorwärts kommt, wie
mancher Andere auf krummen Wegen. Ich kaun
nein Glück noch immer anderwärts versuchen,
es ist gerade nicht gefagt, daß ich an die
Scholle gefesselt bin, auf der ich stehe. Gehabt
Euch wohl; bevor ich abreife, komme ich noch
einmal hierher.“
Er ging nach diesen Worten trotig fort,
und die beiden Frauen hörten ihn ein lustiges
Jügerlied pfeisen, während er die Treppe
hinunterstieg.
„O Gott, Du hast mir eine harte, bittere
Prüfung auferlegt!“ seufzte die Mutter, über
deren welke Wange langsam eine Thräne
rann. „Tilge diesen Haß, laß mich die Brü
der versöhnt sehen, ehe ich diese müden Augen
für immer schließe l“
„Muth, Mutter, Muth!“ versetzte Bar⸗
zara. „Es ist vielleicht gut, daß Hugo.einmal
zinaus muß über's Meer, wenn er unter
remden Leuten allein steht, wird er vielleicht
in sich gehen, eine edle Regung bewegt ihn,
den Brnuder aufzusuchen, und das Widersehen
dort in der Fremde läßt ihn den Haß ver—
gessen.“
Die Alte schüttelte traurig den Kopf.
„Der Himmel gebe es, aber ich kann an die
Möglichkeit einer Versöhnung nicht glauben,“
erwiderte sie.
Der Eintritt des Barons brach die Un—⸗
lerhaltung ab.
Barbara stand auf. Sich ganz der Freude
hingebend, den wiederzusehen, der ihrem Her⸗
jen so theuer geworden war, ging sie dem
ungen Mann entgegen, der lächelnd dem
rröthenden Mädchen die Hand reichte und an
dem leisen Gegendruck fühlte, daß seine Liebe
erwidert wurde. Der Blick der alten Frau
hing unverwandt an dem Baron. Diese tief⸗
zunklen Augen, die gebogene Nase, die hohe,
reie Stirne, glichen sie nicht ganz denen ihres
Heorg? Auch der Ton seiner Stimme, als er
sie anredete, klang ihr so bekannt, war er
virklich Georg, der vor ihr stand? — Sie
zrhob sich ihre Kniee wankten, ihr Blich war
noch immer stier auf das Antlitz des jungen
Mannes gerichtet, sie breitete die Arme aus,
uim den Wiedergefundenen an das lautpochende
Mutterherz zu drücken, aber kalt und unbewegt
dlieb jener stehen.
„Er ist es nicht,“ seuszte die Mutter ent⸗
ãuscht, indem sie die Arme fallen ließ und
in den Sessel zurücksank. „Und doch hätte ich
darauf geschworen, daß er es sei!“
Ich gleiche Ihrem Sohne,“ hob der
Barsn an, „meine Freunde haben's mir oft
Jesagt. Aber wandern muß es mich doch, daß
das Auge der Mutter sich täuschen läßt, Georg
ist blaß, er trägt keinen Bart —“
‚Ja, damals, als er von hier fortging,“
fiel die alte Frau kopfschüttelnd ihm ins Wort,
„seit jenem Tage ist ein halbes Jahr verstri⸗
hen. Erzählen Sie mir, wie hat's meinem
Sohne drüben ergangen ?“
In den ersten Tagen nach seiner Ankunft