Full text: St. Ingberter Anzeiger

Anterhaltungsblatt 
uin 
St. Ingberter Anzeiger. 
Vr. Gæ. Dienstag, den 23. Mai 
171. 
DZDie Brüder. 
Original-Novelle von Ewald August König. 
„Bah, solche Charaktere trösten sich rasch! 
Glauben Sie, in seinem Herzen hat die Liebe 
so tiefe feste Wurzeln geschlaßen? Er wird 
aufbrausen, feinem Zorne in heftigen Drohungen 
Luft mach⸗en und sich in seiner Weise 'rächen, 
das heißt, für seinen Verlust Ersatz sechen. 
Solche Naturen finden sich rasch.in das Un— 
vermeidliche“ 
Das Mödchen rang mit einem Entschlusse, 
hätte es der Stimme seines Herzens folgen 
dürfen, welche die Warnungen der Pflicht und 
des Gewissens zu betäuben suchte, es würde 
nicht geschwautt haben in seiner Wahl, freudig 
wäre es dem Manne gefolgt, der so stürmisch 
um es warb. 
„Herr des Himmels, wirf Du einen 
Lichtstrahl in das Dunkel meiner Seele,“ seufzte 
sie leise. Ihre Bitte ward erhört, der Kampf 
in ihrer Seele schwieg, eine wunderbare Ruhe 
überkam sie. Sie erhob sich, „Lassen Sie mir 
bis morgen Abend Zeit,“ bat sie, „das Alles 
ist ja so plötzlich, so unerwartet gekommen, 
daß ich unmöglich schon in den ersten Minu- 
ten einen Entschluß fassen kann, der für mein 
ganzes Leben maßgebend sein muß.“ 
„Es sei,“ versetzte der Baron ruhig, möge 
Ihre Antwort ausfallen, wie sie wolle, ich 
werde Ihnen keinen Groll nachtragen. Rein 
und ungetrübt soll ihr Bild meinem Herzen 
bleiben, wenn ich allein, meiner schönsten Hoff⸗ 
nungen beraubt, hinaus wandern muß in die 
Ferne.“ 
Erschöpft, einer Ohnmacht nahe, sank das 
Mädchen in den Sessel, als der junge Mann 
das Zimmer verlassen hatte. Ihr war, als 
sei dies Alles nur ein wirrcx Traum, aus 
(Fortsetzung.) 
„Thörichter Eigensinn, bindet ein solches 
Wort für ewig? Hat er Ihnen nicht oft genug 
Anlaß gegeben, jenes Wort zu bereuen? Wol⸗ 
len Sie trotzdem warten, bis es zur Reue 
zu spät ist? — Hören Sie mich an, Barbara 
— wenden Sie Ihr schönes, liebes Gesicht 
nicht weg, sehen Sie mir in'e Auge, — so 
und nun hören Sie meinen Plan. Ich habe 
Ihren Verlobten in Dienst genommen, er ifl 
ein wüster, jähzorniger Meusch, ein Sklave 
seiner Leidenschaften und nach der Hochzeit 
müßsen auch Sie diesen Leidenschaften sich un⸗ 
jerordnen. Er wird Sie mißhandeln, Ihnen 
keine ruhige Stunde, keine Freude gönnen, 
wollen Sie einem solchen Tyrannen zurn Altat 
folgen? Ich schicke ihn morgen nach Amerika, 
mein Auftrag hält ihn dort bis spät in den 
Herbst zurück und kehrt er dann wieder, so 
sind Sie meine Gattin, seine Gebieterin. Dann 
sorge ich dafür, daß er einen andern Dienst 
findet. Das ist mein erster Plan, mein zweiter 
gefällt Ihnen vielleicht besser. Ist der Förster 
einmal drüben, so stelle ich ihm die Wahl, 
ob er Sie mir freiwillig abtreten will, ich 
biete ihm eine kleine Farm ols Entschädigung 
und bin überzeugt, er wird den Tausch ein⸗ 
gehen. — Und jetzt entschließen Sie sich, 
Barbara, bedenken Sie, Ihr und mein Glück 
hängen von Ihrem Entschlusse ab.“ 
„Und das Glück Hugo's,“ fügte das 
Mädchen hinzu.