Full text: St. Ingberter Anzeiger

das Madchen vebend. „Er wurde uns vbeĩde 
morden.“ 
Ein düsterer Schatten flog über das Ant⸗ 
litz des jungen Mannes. „Sei unbesorgt,“ 
erwiderte er, „Hugo ist auf der See, er 
wird nicht eher zurückkommen, bis ich es 
will und dann dürfte es ihm schwer fallen, 
unsere Spur zu finden.“ 
„So steht es fest bei Dir, daß wir nach 
Amerika reisen ?“ 
„Ja, wenn nicht — — doch reden wir 
jetzt nicht weiter darüber, die nächsten Tage 
werden über unsere Zukunst entscheiden. Liegt 
es doch in der Möglichkeit, daß ich ergriffen und 
in's Gefängniß zurückgebracht werde, dann —“ 
„Sprich nicht so,“ bat das Mädchen, „der 
Gedanke an eine Trennung hat für mich eiwas 
Schreckliches.“ 
„Aber der Spruch des Schicksals muß er⸗ 
füllt werden.“ 
„Er muß, und ich werde mich ihm fügen,“ 
fuhr Barbara entschlossen fort. „Ich bleibe Dir 
treu, geduldig will ich Deiner Rückkunft harren.“ 
Eine Weile sah Georg schweigend vor sich 
hin. „Wie mag es wohl kommen, daß unsere 
Herzen so rasch und so eng mitleinander ver⸗ 
bunden sind?“ sagte er. „Nie habe ich bei 
einem Weibe eine so glühende, Alles opfernde 
Liebe gefunden, wie Du sie mir entgegenbringst.“ 
„Weiß ich's doch selbst nicht!“ entgegnete 
Barbara heiter lächelnd. „In meinen Adern 
rollt das Blut meiner Mutter, auch sie liebte 
meinen Bater so glühend, so leidenschaftlich, 
daß die Trennung von ihm ihr das Herz brach. 
— Auch in meiner Vergangenheit ist ein 
dunkler Flecken,“ fuhr sie nach einer Pause 
fort, „auch ich habe Dir zu berichten. — 
Meine Mutter war eine Stickerin, wie ich. Sie 
soll schön, tugendhaft und sehr witzig gewesen 
sein, so sagte mir meine Pflegemutter, welche sie 
von frühester Kindheit an kannte. Sie war 
fleißig und geschickt, ihr Verdienst reichte hin, 
die geringen Bedürfnisse zu bestreiten und eine 
weise Sparsamkeit ermöglichte es ihr, einen 
Nothpfennig zurückzulegen. Sie sang vom frühen 
Morgen bis an den späten Abend, ihre Be⸗ 
kannten und Nachbarn nannten sie nur: „Die 
Lerche.“ Nichts konnte ihr diese Heiterkeit rau⸗ 
ben, sie war gitichsam ihre zweite Natur, der 
Sonnenschein ihres Lebens. Aber eines Tages 
ang sie nicht mehr, und die Nachbarn sag⸗ 
en: „Die Lerche ist entweder krank, oder sie 
hat Kummer.“ Und doch täuschten die guten 
Leute sich. Meine Mutter war nie so froh, so 
NAücklich gewesen, wie gerade an jenem Tage. 
Huß man singen, wenn man froh und glücklich 
st? Gibt es nicht ein unnennbares, süßes 
Hlück, welches man tief in seine Brust ver⸗ 
chließt, welches man keinem Auge zeigen mag, 
weil man befürchtet, dann desselben beraubt zu 
verden? Gibt es nicht ein solches Glück? O, 
ich glaube doch, und wir beide, Georg, können 
die Existenz desselben gewiß nicht bestreiten. 
Meine Mutter liebte, und ihre Liebe wurde 
erwidert. Er war reich, sie arm, er war der Sohn 
eines Bankiers, se eine arme Waise, welche durch 
ihrer Hände Arbeit das tägliche Brod verdienen 
nußte. Aber fragt die Liebe nach diesen Neben⸗ 
dingen? Und wenn man jung und geliebt ist, 
zlaubt man nicht an jeden rosigen Traum, den 
die erregte Phantasie uns vorgaukelt? Die beiden 
liebten einander verstohlen und heimlich, die 
Menschen durften ja nicht wissen, daß der Sohn 
des Bankiers sich zu der Stickerin erniedrigie, 
sie durften nicht wissen, daß die Tochter aus 
dem Volke das Verbrechen begehen wollte, sich 
zu einem höheren Stande emporzuschwingen. 
— Ihre Liebe war in den Augen der Welt 
tin Verbrechen, meine Mutter ahnte es nicht. 
Sie vertraute darauf, daß der Geliebte sie zum 
Altar führen werde, er hatte es ihr ja gelobt. 
Sie dachte nicht daran, daß die Geldsäcke des 
Bankiers ein unübersteigbares Hinderniß waren 
wischen ihr und dem Geliebten, sie dachte 
iberhanpt nicht an das Geld, noch an jene 
yornehme Welt, in welche sie eingebürgert werden 
ollte, sie dachte nur an ihn, von dem sie 
aimmer lassen konnte. Und er war so lieb, so 
uut, stets heiter und liebevoll. Es müssen 
A 
»ie Beiden in dem kleinen Zimmer meiner 
Mutter verbrachten, aber die Stunden ver— 
trichen, der Traum verrann. Das Glück hatte 
aum begonnen, so näherte es sich auch schon mit 
jseden Tage mehr und mehr seinem Ende. 
(Ggortsetzung folgt.) 
Druck uad Verlag von F. X. Demet in St. Ingbert.