„Lassen Sie mich Ihre Freundin sein,
liebes Fräulein, und glauben Sie an meine
herzinnige Theilnahme. Ihr Verlust geht mir
sehr nahe und doch liegt eine Beruhigung in
dem Gedanken, daß Ihr Bruder so gut und
edel war.“
„Sie sind sehr gütig, aber die Welt
scheint mir nun trübe und farblos und wenn
meine arme Mutter auch stürbe — —.“
Und wieder brach Kitty in convulsivisches
Weinen aus.
„Sie wird nicht sterben, liebes Kind,“ trö⸗
stete Tante Barbara, „sie wird die erforder⸗
liche Cur gebrauchen und gesunden. Setbst im
Tode wurde Euch der Bruder noch zum Segen,
denn diese Summe und die Pensiun sichert vor
jedem Mangel. Und warum kiagen und trauern
Kitty, wenn der Tod nur der Uevergang ist
zur Ruhe und Belohnung, wenn die reine
Seele nun erhoben ist über Erdenleid und
Bram?“
„O Miß Evesham, Sie sind ein wahrer
Engel, o bitte, begleiten Sie mich zur Mutter.“
„Ja mein Lämmchen, und sie wird das
Herzeleid mit heiliger Ergebung tragen, wird
Dir saçen, daß er nicht verloren, nur voraus⸗
gegangen.“
„O bitte, gehen wir jetzt, ich habe keine
Ruhe mehr, bevor es die Mutter weiß.“
Miß Evesham ließ sofort einspannen. Ge⸗
nevra, die stolze, hochhmüthige Erbin band lieb—
dosend den Hut der Schwester des armen Sec—
retairs und flüsterte innig: J
„Ich werde Sie heimsuchen, sobald der
erste Schmerz vorüber ist, denn Sie sind mir
theuer geworden, und ich zähle Sie zu den
wenigen Erwählten, an denen ich keinen Ma—
kel gefunden. Gott segne Sie, liebe Miß Car⸗
tright, Gott segne und tröste Sie !“.
..
Am Krenzwege stand ein niedliches Ge⸗
bäude. Das eine Ende desselven war zweifel⸗
los ein Laden. denn in dem breiten Schau—
fenster loften Zucker, Kaffre und ein un—⸗
geheueres, mit Schuupftadak gefülltes De⸗
ckelglas.
Die Lage des Hauses war ziemlich pittoresk,
obwohl die qanze Umgebung etwas Trübes
hatte. Baäͤumen la⸗
zerte sich auf der einen Seite den lieben langen
Taäg eine dunkle Wolke, veranlaßt durch den
endlosen Rauch, der den weiten Kaminen von
Merthye Tysrill eutqualmte, während auf der
anderen eine düstere Hügelgruppe, gleich einer
Reihe zrimmer Krieger, das kleine Walliser⸗
vörfchen Precknock bewachten.
Vor dem oben erwähnten weißen Häuschen
befand sichsein Gärtchen, in dem man eben Wäsche
zrocknete und sich von Zeit zu Zeit ein zwischen
Lachen und Jauchzen biefindlicher Laut hörbar.
mahte, der gelegentlich in leises Gesumme
überging.
Eine Frau trat unter die Thüre, lauschte
ein Weilchen und rief dann lant: „Mittikens!
Mittikens! bist Du da?“
Keine Antwort. Das Summen dauerte fort.
Die Frau seufzte.
„Es fehlt ihm, Gottlob, nichts, obgleich ich
beim Erwachen solch unerklärliche Augst fühlte,
als sei ihm irgend ein Unglüchk geschehen. Der
derr erbarme sich unser! Wie mich der Traum
quält! und was er wohl bedeuten mag, denn
umsonft schlief ich wohl nicht im Sessel ein
und träumte diesen Traum.“
Langsam und nachdentlich schritt sie den
BGartenweg enttang und blieb endlich mit einem
Ausdruck hingebender Zartlichkeit und tiefen
Ptitleides stehen.
Das Bild, das sich ihrem Blicke bot, hatte
für einen Fremden durchaus nichts Peinlichts.
An dem hügeligen Ufer eines kleinen Bächleins
lag ein Jüngling, dessen jugendliche Schönheit
sofort an die alten Myth n von Endymion und
Narcissus erinnerte. Das Antlitz war zart
und rosig, die Züge edel und schön wie die
einer griechischen Statue. Reiches blondgelsctes
daar fiel in zierlichen Ringeln auf den breiten
weißen Kragen. Lange dunkle Wimpern senk⸗
sen sich auf die runde Wange und die kleinen
Dände spielten nachlässig mit einem wilden
Rosenzweig. während leiser summender Gesang
die grazibsen Bewegungen begleitete.
Trauriger und trauriger wurde das Antlitz
der Frau, eine Woite düsterer Schwermuth
breitete sich langsam über dasselbe.
Plötzlich wandte der Junge das Haupt,
um einem bunten Schmetterlinge nachzusehen
und erblickte sie. Mit hellem, freudigem, aber
geisilosem Lachen sprang er auf. Diese Augen,