Full text: St. Ingberter Anzeiger

Sie einige Zeilen an den Staatsprokurator, 
theilen Sie ihm mit, daß die Anklage gegen 
mich auf einem Irrthume beruht habe, lassen 
Sie ferner eine Ehrenerklärung in die Zeitung 
einrücken.“ 
Der Stolz des Bankiers sträubte sich gegen 
diese Zumuthung. Ein Bankier ist in Geschäfis- 
ag legenheiten unfe hlUbar, er darf sich nicht 
irren. — — Zum Chef eines der bedeuten⸗ 
sten Bankhäuser Europas kam eines Tages 
ein Kaufmann, welcher kurz vorher in der 
Kassa dieses Bankhauses eine beteudende Summe 
erhoben hatte. „Mein Herr, Ihr Kassier 
hat sich um füuftaufend Thaler zu Ihrem Nach⸗ 
theil geirrt,“ sagte er, „hier bringe ich Ihnen 
das Geld zurück.“ — „In meinem Geschäft 
irrt man sich nie,“ erwiderte der Bankier 
ruhig. — „Aber hier sind die Beweise.“ 
— Z„ZIch wiederhole Ihnen nochmals, daß 
nian sich in meinem Hause nie irrt!“ — 
Der Kaufmann entfernte sich. Er dachte: 
„Oeffrie die Augen oder den Beutel, ich habe 
meine Schuldigkeit gethan!“ — ‚Belasten 
Sie das Gewinn⸗e und Verlust-Conto mit 
fünftausend Thaler,“ sagte der Bankier eine 
Stunde später zu dem Kassier, der sich erbot, 
die Summe zu ersetzen, „in Zukunft seien Sie 
vorsichtiger!“ — — 
Es sind freilich schon einige Jahre her, 
als diese Geschichte sich zurug, heute würde 
vielleicht kein Bankier mehr für die Unfehl⸗ 
barkeit seines Kassirers eine solche Samme 
opfern. 
„Bedenken Sie, wessen Vemühungen ich 
die dreijährige Zuchthausstrafe zu verdanken 
habe,“ nahm Georg das Wort, als er das 
Zögern des Bankiers bemerkte. 
„Bedenken Sie dagegen auch, wie sehr 
mich diese Erklärung blosstellen würde,“ ent⸗ 
gegnete der Commerjienrath. 
„Sind Sie nicht Ihrem Kassirer eine 
Ehrenerklärung schuldig ?“ 
„Allerdings! Sie haben aber die Fälsch⸗ 
ung eingestanden.“ 
Ein bitteres Lächeln glitt über die Züge 
Georgs. „Ich hätte nicht gedacht, daß Sie 
so großes Bedenken tragen würden,“ versetzte 
er kalt, indem er sich erhob. „Ich werde mich 
jelbst der Polizei überliefern und eine neue 
Untersuchuag beantragen. Die Gerichtsverhand⸗ 
uag wird sehr interessant sein. 
Der Bankioer schellte. „Schreibzeug!“ befahl 
er dem eintretenden Kellner. 
Georg war ans Fenster getreten. Er 
»lieb dort so lange stehen, bis der alte Herr 
Brief und Anze ge geschrieben hatte. 
„Nehmen Sie,“ sagte der Letztere, „ich 
denke, diese Zeilen werden genügen.“ 
„Vollkommen!“ erwiderte der junge Mann, 
nachdem er die beiden Schriftstücke gelesen 
hatte. „Ich danke Ihnen.“ 
„Was werden Sie jetzt beginnen ?“ fragte 
der Commerzienrath nach einer Pause. 
‚Vermuthlich kehren Sie nach Ammerika 
urück?“ 
Georg schüttelte den Kopf. „Ich sagte 
Ihnen bereits, daß ich mir drüben eine kleine 
Summe erworben habe, sie mag etwa acht⸗ 
zausend Thaler betragen. Miit diesem Gelde 
zedenke ich ein kleines Gut zu pachten oder 
zu kaufen und dort ander Seite meines 
Weibes ein stilles zufriedenes Leben zu 
ühren.“ 
„Sie sind verheirathet ?“ 
„Nein, aber ich werde binnen Kurzem 
heirathen,“ 
„So wünsche ich Ihnen Glück“, sagte der 
Commerzienrath, indem er dem jungen Manne 
die Hand bot. 
„Mich soll es freuen, wenn Glück und 
Zufriedenheit an Ihrem Herde eine bleibende 
Stätte finden.“ 
Georg zog das Medaillon, welches er von 
seiner Braut erhalten hatte, aus der Tasche, 
oͤffnete es und entfaltete den Zettel, der in 
der Kapsel lag. 
Der Commerzienrath schenkte diesem Thun 
keine Aufmerksamkeit. „Ihre Braut ist wohl 
eine Amerikanerin ?“ fragte er. „Hat sie 
Vermögen. ?“ 
„Dieser Zettel ist ihre ganze Mitgift,“ 
entgegnete Georg, indem er das Papier dem 
Fragenden überreichte. 
Kaum hatte der Bankier einen Blick auf 
dasselbe geworfen, als das Lächeln von seine m 
Antlitz verschwand, seine Wangen wurden 
bleich, seine Augen blickten stier auf die 
Schriftzüge, und die Hand, welche das Papier 
hielt, zitterte fieberhafi.