das Glück, welche der Baukier ihr in reizen—
den Farben schilderte, hatte ihr Herz keinen
Raum.
Boͤlling und Helene enlfernten sich schwei⸗
gend, sie fühlten, daß es dem Vater ein Be⸗
zdürfniß war, mit der Tochter allein zu sein.
Noch einmal breitete der alte Mann die
Arme aus und jitzt sank das Mädchen wei—
nend an das Vaterherz. Der Bankier konnte
sich mit dem Gedanken nicht vertraut machen,
daß er sich von dem kaum gefundenen Kinde
wieder trennen sollte, noch weniger aber be—
hagte ihm die Verbindung mit dem Verbre⸗
chei, Denn ein Verbrecher blieb Georg in
den Augen des streng richtenden Manues!
Das erste Wort, welches Barbara an den
Vater richtete war die Bitte, er möge ihr
heistehen, den Geliebten zu suchen, erst dann,
wenn sie ihn gefunden habe, wenn sie wieder
an seinem Herzen ruhen könne, dürfe sie sich
ganz der Freude hingeben.
Der Bankier theille ihr schonend und be⸗
hutsam die Ereignisse jenes Abends mit, er
suchte sie zu bernhigen durch die Versicherung,
daß der junge Mann zwar gefährlich ver⸗
wundet sei, aber doch nicht hoffnungslos
niederliege. Die Mutter wache an seinem Lager,
in beruhmter Arzt besuche ihn täglich zweimal,
uind der Wirth habe den gemessenen Auftrag,
für die aufmerksamste Pflege Sorge zu tragen.
Barbara ließ das Köpfchen sinken, als sie
die schreckliche Nachricht vernahm. Aber bald
kehrten Muth und Hoffnung in ihr Herz zurück.
E leble noch, er bedurfte ihrer Pflege!
Vielleicht gelang es ihr, ihn zu retten! An
seinem Lager war ihr Platz, sie mußie sein
erster Blick treffen, wenn sein Geist zum Be⸗—
wußtsein zurückkehrte.
Sie erhob sich. „Ich danke Ihnen, mein
Vater,“ sagte sie ruhig. „Wenn er genesen
ist, dann will ich Sie oft, recht oft besuchen
uid Sie werden mir dann von meiner Mut⸗
ter erzählen.“
Ver Commerzienrath bat sie, noch einen
Augenblick zu verweilen. Laß ab von ihm,“
sagte er, indem er ihre Hand ergriff, „du
dennst nicht die Vergangenheit dieses Mannes,
er ist deiner nicht werth! Bedenke, du bist
die Tochter des Commerzienraths Weber,
und er —
„Er ist mein Bräutigam!“ fiel Barbara
uit jenem Stolz der Liebe, welcher auf die
reine Stirne der Jungfran den Stempel
vürdevoller Weiblichteit drückt, ihm in's
Wort. „Viel lieber will ich die arme Stickerin
leiben, als mich den Convenienzen Ihres
Standes fügen! Denken Sie an meine Mut⸗
ser, die ein Opfer dieser Convenienzen ge⸗
vorden ist, bedenken Sie, daß Ihre Worte
Ihnen das Herz des Kindes entfremden
müssen.“
Der Bankier war einen Schritt unwill⸗
tührlich zurückgetreten, in den Blicken des
Mädchens leuchtete eine wunderbare Hohheit,
vor der die Seele des alten Mannes sich
»eugen mußte.
Er sah im Geiste die Mutter dieses Mäd⸗
hens zu seinen Füßen liegen, durchlebte noch
inmal jene schrecklichen Augenblicke, in welchen
hm das Herz var namenlosen Leid zu zer
pringen drohte. — Er ergriff die Hand seine.
Tochter und zog die Schelle.
„Anspannen!“ rief er dem eintretenden
Diener entgegen.
Barbara entzog dem alten Manne hastig
hre Hand.
„Glanben Sie nicht, daß Sie mich zwingen
dönnen —“
„Sei ruhig, mein Kind,“ erwiderte der
Tommerzienrath sachte, „ich selbst werde dich
mn das Lager deines Bräutigams begleiten.“
Der Entschluß war ihm schwer geworden,
aber er sah sich reich belohnt, umschlungen
hon den Armen seines Kindes, fühlte er einen
hzeißen Kuß auf seinen Lippen brennen.
Sechszehntes Kapitel.
Der Einzug in's Vaterhaus.
Frühling und Sommer waren verstrichen,
die Blumen verblüht und die Bäume schon
heilweise ihres Blätterschmuckes beraubt. Nur
elten blickte die Sonne noch einmal durch das
zraue Gewölk, und dann war es nur ein
surzer Scheidegruß, dem Sturm und Regen
wieder folgten. — Nach langem Regenwetter
endlich wieder einmal ein heiterer Oktobertag.
Auf den Dächern im Sonnenschein zwitscherten
lustig die Spatzen, auf den Straßen tummelte
die Jugend in auszelassener Fröhlichkeit sich