AUnterhaltungsblatt
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—St. Ingberter Anzeiger.
r. 76. Donnerstag, den 29. Juni
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1871.
Ein dunkles Geheimniß.*
„der Richter hat mich mit dem Ergebniß der
Todenschau und dem Inhalt des Protokolls
bekannt gemacht und ich muß gestehen, daß
neine Ansicht mit der meines Collegen voll—
tändig übereinftiamt. Sie wollen die Leiche
anbalsamiren lassen, für den Fall, daß Sie
päter vielleicht Ihre Ahnungen und Vermuth—
ingen begründet finden ? Und eben deßhalb
pünschen Sie, daß dies Jedem außer Ihnen
ind mir ein Geheimniß bleiben möge?“
So ist eßs. „Dann würde ich Ihnen
athen, diese Operation hier vornehmen zu
assen. Sie müssen in der Residenz die poli—
eiliche Genehmigung einholen, Ihre Diener
n das Geheimniß einweihen und außerdem
Vorkchrungen zum Schutze gegen Späheraugen
reffen. In Ihrem Parke steht ziemlich ver—
tectt eine kleine Einsiedelei; ich glaube, daß
elten einer Ihrer Diener oder Ihrer Gaste
ich dorthin verirrt; würden Sie sich enlschlie—
zen können, dieses Häuschen zur Ruhestätte
ür den Todten herzugeben?“
Gewiß, wenn Sie glauben, daß dasselbe
diesem Zweck entspricht. „Gut, so lassen Sie
die Leiche durch Ihren Kutscher abholen und
nuf einem Umwege dorthin bringen, ich werde
ie in Empfang nehmen und für die nö—
higen Spezereien noch im Laufe des Abends
Zorge tragen.“
Die Comtesse erhob sich. Ich werde meinen
dutscher aneisen, den Weg zur Resideunz
inzuschlagen, damit kein Verdacht erregt wird,
agte sie; da wir ihn in das Geheimniß ein—
veihen müssen, so kann er Ihnen auch fpäter
züllfreiche Hand leisten. Was Sie bedürfen,
asser Sie mich durch ihn missen, ich stelle
* MNovelle voon.
Ewald August Konig.
Worhehung.)
Eleonore schüttelte ungeduldig das Köpf⸗
hen. Ich habe trüftige Gründe, mein Vor—
haben geheim zu halten, Herr Doctor, und
ich vertraue dabei auf Ihre Verschwiegenheit.
Reisen Sie morgen ab, ein Vorwand ist ja
bald gefunden. der Ihre Abwesenheit für
einige Tage entischuldigt. „Sie dürsen auf
meine Verschwiegenheit rechnen, gnädiges Fräu⸗
lein, wenn ich auch nicht begreife, welche Gründe
Sie bewegen können —“
Sie haben Recht, fuhr die Comtesse fort.
Halbes Vertrauen, wohlan, ich will Ihnen
diese Gründe nennen, selbst auf die Gefahr
hin, daß Sie dieselben ungerechtfertigt oder
dar thöricht fiuden. Ihr College, der Herr
Kreisphysikus, hat zu Protokoll erklärt, daß
mein Verlobter selbst sich entleibt habe, und
wenn ich auch zugeben muß, daß durchaus
lein Beweis vorliegt, der die Möglichkeit
eines Criminalverbrechens zulüßt, so kaun ich
mich doch des Gedankens nicht erwähren, daß
hier ein solches Verbrechen stattgefunden hat.
Dieser Verdacht stützt sich freilich nur auf eine
Ahnung, nichts desto weniger gereicht es
meinem Schmerze über den Verlust des Ge—
liebten zum Troste, daß ich an diese Ahnung
mich anklammern kann. Der Arzt zuckte zwei⸗
felnd die Achseln. „Ich sinde diese Ahnung
aatürlich aber unbegründet,“ entgegnete er,
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