Full text: St. Ingberter Anzeiger

ihnen alles zur Verfügung. Für den Sarg 
bitte ich Sie ebenfalls Sorge zu tragen. 
„Vertrauen Sie mir diese ganze Angelegenheit 
an und halten Sie sich der Einsiedelei fern, 
bis ich Sie benachrichtige, daß Ihr Befehl 
oollständig ausgeführt ist,“ erwiderte der Arzt, 
während er sich der Thür näherte. „Ich hoffe, 
Ihnen binnen acht Tagen diese Nachricht brin⸗ 
gen zu können.““ 
Driktes Kapitel .. 
Ungefähr vierzehn Tage waren seit jenem 
Ereigniß, welches den Bewohnern des Städt⸗ 
chens so reichen Stoff zur Unterhaltung ge⸗ 
liefert hatte, Iwerstrichen, und noch immer weilte 
der Freiherr von Braß im Gasthofe zum 
weißen Roß. Er besuchte fast täglich die Com⸗ 
sesse, und das Gerücht wollte bereits behaup⸗ 
ten, Eleondre von Strahlen habe nicht allein 
den Verlust verschmerzt, sondern auch schon 
an dem Freiherrn Ersatz gefunden. 
Dies Gerücht war indeß vollständig aus 
der Luft gegriffen. Allerdings gab der Frei— 
herr sich alle erdenkliche Mühet, Herz und 
Hand der Comtesse zu erobern und es schien 
Zuch fast, daß er seinen Zwech erreichen werde, 
aber bisher hatte Eleonore ihm noch keinen 
Beweis ihrer Gunst gegeben. Sie empfing ihn 
stets freundschaftlich, sie forderte ihn oft auf, 
fie auf einem Ausflug zu Pferd oder im 
Wagen zu dbegleiten, sie duldete sogar, daß er 
hie und da in der Verwaltung ihrer Güter 
nit Rath und That ihr zur Seite ging; 
er bei all dieser Freundschaft und Hoflich⸗ 
teit blieb sie stets in den Schranken einer 
zalten Gemessenheit und dem Freiherrn wollte 
es nicht gelingen, jene Schranken zu stürzen. 
Das verstimmte und erbitterte ihn, und er 
var so unklug, eines Abends der Comtesse 
den Grund seiner Verstimmung unverholen 
mitzutheilen. 
Eleonore hörte ihn ruhig an und zuckte 
mit einer Geberde verletzender Geringschätzung 
die Achseln. Weßhalb Sie auf die Freude in 
der Residenz verzichten, um hier in einem 
obscuren Landstädtchen den schönen Herbst zu 
berbringen, weiß ich sehr genan, erwiderte sie 
ruhig. Aber od und waunn Sie ihren Zweck 
erreichen werden, ist eine Frage, deren Beant⸗ 
wortung der Zutunft üverlassen bleiben muß. 
Bedulden Sie sich, Herr Baron, je schöner 
und glänzender das Ziel, desto mühsamer und 
steiniger ist der Weg, der zu ihm führt. 
Diefse Erklärung, mit welcher der Freiherr 
sich begnügen mußte, war ziemlich zweideutig. 
Der Freiherr aber glaubte in ihr den Beweis 
einer wachsenden Gunst zu entdecken. Zu An⸗ 
fang des Monats October kehrte im Gasthofe 
zum weißen Roß ein junger Mann ein, der 
iich gleich nach seiner Ankunft sehr angelegent⸗ 
lich nach der Wohnung, den Verhältnifssen 
und den Gütern der Comtesse von Strahlen 
erkundigte und im Laufe der Unterhaltung 
mit dem Gastwirth vie Bemerkung fallen ließ, 
er sei geneigt, die erledigte Verwalterstelle zu 
ibernehmen, wenn die damit verknüpften Be⸗ 
dingungen seinen Wünschen und Anforderungen 
ntsprächen. Der Gastwirthebeeilte sich, dies 
dem Freiherrn von Braß mitzutheilen, und 
der letztere sah sich durch diese Mittheilungen 
beranlaßt, den jungen Mann sich vorstellen zu 
lassen. 
Comlesse von Strahlen hat mich beauf⸗ 
kragt, den Verwalter zu engagiren, sagte er 
nachdem er den hübschen elegant gekleideten 
derrn vom Scheitel bis zur Sohle gemustert 
hatte; wenn Sie die Güte dab'n wollen, mir 
nn mein Zimmer zu folgen, so werde ich Ihnen 
dort die nähern Bedingungen mittheilen. 
Der junge Mann verbeugte sich, und 
jolgle schweigend dem Edelmanne, der sich in 
einem Zimmer mit varnehmer Nonchalance in 
einen Sessel warf und durch eine herablassende 
Handbewegung seinen Begleiter aufforderte, 
ebenfalls Platz zu nehmen. 
„Ihr werther Name?“ „Oito Stern.“ 
Sie haben die Oekonomie studirt? „Nicht 
allein theoretisch, sondern auch praktisch, wie 
dieß meine Zeug nisse bestätigen.“ 
Der Freiherr entfaltete die Zeugnisse, 
welche der Oekonom ihm überreichte und sah 
sie flüchtig durch. Sie waren in Schlesien? 
‚Ja und es wird Ihnen nicht unbekannt sein, 
daß die schlesischen Gutsbesizer —“ 
Sehr tüchtige Oekonomen sind, ich weiß 
es. Sie werden finden daß die Comtesse von 
Strahlen sich bedeutende Kenntnisse in der 
Detonomie angeeigget hat. „Das wird mir 
tieb sein,“ entgegnete der junge Mann 
ruhig.