Full text: St. Ingberter Anzeiger

Das Gehalt beträgt bei freier Wohnung 
tausend Thaler jährlich, wenn Sie aber vor⸗ 
siehen, in der herrschaftlichen Küche zu spei⸗ 
sen, so — Ich verzichte auf diesen Vortheil 
und erkläre mich mit dem Gehalte zufrieden.“ 
Sie werden halbjährlich Rechnung able⸗ 
gen, die ich prüfe; auch erwarte ich, daß 
Sie sich in allen auf die Verwaltung der 
Güter bezüglichen Angelegesheiten zuerst an 
mich wenden. Ueber die Lippen des jungen 
Mannes glitt ein Lächeln des Hohns. „Ich 
unterwerfe mich diesen Bedingungen,“ erwiderte 
er, „obschon diese Vermittlung zwischen der 
Gutsherrschaft und dem Verwalter —“ 
Diese Vermittlung findet darin, daß die 
Butsherrschaft eine junge Dame ist, ihre 
Berechtigung, unterbrach der Freiherr ihn ge⸗ 
messen, ich ersuche sie, sich jeder Bemerkung 
darüber zu enthalten. Sie kennen nun die 
Bedingungen und ich erwarte von Ihnen die 
einfache Erklärung, ob Sie dieselben anerkennen 
wollen. In diesem Falle stelle ich Sie morçen 
der Comtesse vor. „Ich nehme das Engage⸗ 
ment unter den gestellten Bedingungen an,“ 
sagte der Otkonom nach einer kurzen Pause. 
Gut, so finden Sie sich morgen früh 
zwischen zehn und elf Uhr in der Wohnung 
der Gräfin ein, Sie werden mich dort treffen. 
Nach diesen Worten erhob der Freiherr sich, 
zum Zeichen, daß er die Unterredung als 
beendet beirachte, und der Verwalter schien 
mit dem Resultat ganz zufrieden zu sein. Er 
verwendete den Rest des Tages zu einem Be⸗ 
such bei dem Bürgermeister und zu einem 
Spaziergange an und kehrte erst am Abend 
in den Gasthof zurück. Er fand im Speise—⸗ 
saale eine kleine Gesellschaft die aus den No— 
tabeln des Städtchens bestand, und er nahm 
keinen Anstand, der Aufforderung des Bür- 
germeisters, der ihn einlud, sich an ihrer 
Unterhaltung zu betheiligen, Folge zu leisten. 
Das Thema dieser Unterhaltung betraf 
wiederum die Ereignisse jener Septembernacht, 
die zu Zeiten noch immer die Stadtgespräche 
bildeten. Die Meinungen und Ansichten waren 
getheilt, der Bürgermeister und der Kreisrich⸗ 
ter hielten noch immer an dem Verdacht fest, 
daß der Baron ermordet worden sei, während 
der Kreisphysikus, der Doktor Sand und 
der Gastwirth bei der Behauptung beharrten, 
daß der Selbstmord nicht bezweifelt werden 
könne. 
Der Dekonom wurde aufgefordert, chenfalls 
seine Ansicht zu äußern, und der Kreisphy⸗ 
sikus übernahm es, dem jungen Manne je— 
nes Ereigniß mitzutheilen. 
Während dieser Mittheilung war der 
Freiherr eingetreten, er stand dem Oekonom 
zegenüber und sein Blick ruhie lauernd mit 
dem Ausdruck gespannter Erwartung auf den 
Zügen des Verwalters. 
Ich begreife in der That nicht, daß man 
hier noch Zweifel hegen kann, erwiderte Stern 
als der Arzt schwieg, nach meiner Ansicht ist 
der Fall so klar wie die Sonne. Auf welchem 
Wege sollte der Moörder das Zimmer verlassen 
haben, wenn man Fenster und Thüren ver⸗ 
chloffen fand? Mögen die Beweggründe ge⸗— 
wesen sein welche sie wollen, so viel steht fest, 
daß hier von einem Criminalverbrechen keine 
Rede sein kann. Der Freiherr gab durch ein 
Topfnicken zu erkennen, daß er dieser Ansicht 
beipflichtete. „Es ist eine bekannte Thatsache, 
daß man in einem kleinen Landstädtchen jedes 
außergewöhnliche Ereißniß von verschiedenen 
Seiten so lange zu beleuchten pflegt, bis man 
dinter demselben irgend ein dunkles Geheimniß 
entdedtt hat, welches dann für eine lange 
Zeit zu Vermuthungen und interessanten Wori⸗ 
gekechten reichen Stoff bietet, sagte er. 
In jeder großen Stadt würde man sich 
damit begnügt haben, die Thatsache zu con— 
tatiren, nach acht Tagen wäre sie vergessen 
zewesen. „Hier wird man noch nach fuͤnf 
Jahren darauf zurückkommen,“ nahm der 
Wirth das Wort, „und mein College in der 
Joldenen Traube reibt ob dem Spektakel ver⸗ 
znügt sich die Hände.“ 
Damit wollen Sie doch nicht sagen, daß 
jenes Ereigniß dem guten Rufe Ihres Gast⸗ 
hofes Abbruch gethan hat ? fragte der Ver ⸗ 
valter. „Dem guten Rufe 7“ fuhr der Gaft⸗ 
virth achselzuckend fort. „Gott sei Dank,“ der 
teht fest. aber was thue ich mit dem guten 
Rufe meines Gasthofes, wenn die Gäste aus— 
zleiben? In Nummer Siebenzehn will Niemand 
ogiren, sogar mein Hausknecht hat sich ge— 
veigert, nur eine Nacht in dem Zimmer zu 
schlafen. Ich habe den Herrn Baron von