Full text: St. Ingberter Anzeiger

Anterhaltungsblatt 
m 
St. Ingberter Anzeiger. 
r. 78. 
Dienstag, den A. Zuli 
187I. 
Ein dunkles Geheimniß.* 
nach seinem Belieben schalten und walken, sie 
verschaffte seinen Anordnungen und Befehlen, 
insofern diese bei seinen Untergebenen auf 
Widerstand stießen, volle Geltung. In der 
ersten Woche war sie ihm fremd geblieben, 
und es schien fast, als ob dieses Verhältniß 
ich nicht besser gestalten sollte, so lange der 
Freiherr im Schlosse weilte, denn alle seine 
Bersuche, sich der Comtesse zu nähern, scheiter⸗ 
en an der Wachsamkeit, der Schlauheit und 
dartnäckigkeit des Kammerdieners, der stets 
inen triftigen Grund fand, die erbetene 
Uudienz zu verweigern. Nun hätte der Ver⸗ 
valter allerdings eine Begegnung mit der 
TFomtesse im Patk, im Garten oder an einem 
indern Ort herbeiführen können, aber der 
Freiherr von Braß wich ihr nie von der 
Seite und aufdrängen mochte er sich ihr nicht. 
Da ließ am Tage vor Weihnachten die Com⸗ 
esse ihn zum Abendessen und zur Bescheerung 
»inladen, und der junge Mann versäumte 
nicht, dieser Einladung Folge zu leisten. 
Es war ein heiteres schönes Fest, welches 
Eleonore ihrem Personal gab. Auch der Ver⸗ 
valter fand ein hübsches, sinniges Geschenk 
and er genoß nach der Bescheerung die seltene 
Ehre, an der Tafel der Comtesse speisen zu 
dürfen. Er würde diese Ehre gern abgelehnt 
haben, wenn er nur einen triftigen Grund 
dazu gefunden hätte, denn die stolze, gering⸗ 
chätzende Herablassung, mit welcher der Frei— 
zerr sich bei der Bescheerung ihm gegenüber 
»enahm, empörte ihn so sehr, daß er seine 
Erbitterung gewaltsam bekämpfen mußte; um 
aicht eine Wiederholung jenes-Auftrittes im 
Salon der Gräfin herbeizuführen. Es war 
V Novelle 
von Ewald August Konig. 
(Fortsetzung.) 
Mochte der Freiherr einsehen, daß es ihm 
nicht gelingen werde, den Verwalter von dem 
Wege des Rechts abzubringen, und daß er 
unter den augenblicklich obwaltenden Verhält- 
nissen im Kampfe mit diesem entschlossenen 
Manue den Kürzeren ziehen müsse, doch hoffte 
er, binnen Kurzem als Besitzer der Strahlen'⸗ 
schen Güter eine eclatante Rache nehmen zu 
können; genug, er verließ das Zimmer, ohne 
die Warnung und Drohung seines Gegners 
einer Erwiderung zu würdigen. 
Der Verwalter aber verzichtete einstweilen 
darauf, der Comtesse Bericht zu erstatten; er 
fürchtele auf der einen Seite, daburch den 
Freiherrn zum offenen Kampfe herauszufordern, 
auf der anderen Seite wußte er auch nicht, 
ob er es wagen durfte, diesen Mann des 
Betruges anzuklagen. 
Viertes Kapitel. 
Herbst und Winter waren verstrichen, der 
linde Hauch des Frühlings wehte belebend 
über die Fluren. 
Trotz jenem Auftritt mit dem Freiherrn 
und trotzdem er überzeugt sein mußte, daß 
der letztere nur auf den günstigen Augenbleck 
warte, um seinen Rachedurst zu befriedigen, 
schien der Verwaller sich in seiner Stellung 
ganz wohl zu befinden. Die Comtesse ließ ihn