Als der Fremde diesen Brief beendet, ge⸗
iegelt und adressirt hatte, legte er ihn vor
sich hin, stüßte den Kopf in die Hand und
hlickte unverwandt auf den Namen „Wera,“
den er mit großen lateinischen Buchstaben ge⸗
schrieben.
„Wera, ob das ihr Name sein mag ? Er
klingt fremd; mich dünkt, ich habe ihn in
Petersburg oft gehört.
„Was grüble ich darüber, es ist mir nur
sonderbar, daß ich ganz anders an sie ge—
schrieben habe, als ich erst wollte. Ich war
zesonnen, einen scherzhaften Liebesbrief abzu⸗
fassen, und daraus isteine moralische Bußpre⸗
digt geworden.
„Darauf erhalte ich bestimmt keine Ant—-
wort. Denn eins von diesen beiden kann diese
Wera nur sein: Eine verblühte Gelehrte oder
eine Abenteurerinn. Die erste kann mit ihrer
Person keinen Eindruck machen, ist vielleicht
noch mit der unfreiwilligen Höhe in Geftalt
eines Höckers begabt; für die zweite bin ich
eine Beute.
„Also mein Briek ist eigentlich nur für
mich geschrieben und ich thue gut, ihn in den
Papierkorb zu werfen. Allein ich sehe, er hatte
doch das Gute, daß ich die Zeit des Regens
mit dieser Beschäftigung getödtet habe. Es ist
ja das schönste Wetter geworden!“
Mit diesen Worten stand der Fremde auf,
trat wieder ans Fenster und sah nach seiner
AUhr.
„Aber es ist bereits elf Uhr vorüber!
Wo Felix nur bleibt?“ —
Fortsetzung folgt.)
Rede des amerikanischen Consuls Klaup⸗
recht in Stuttgart bei der —, des ame⸗
rikanischen Unabhängigkeitsfestes.
Am 4. Juli 1871.
Schluß.)
Bei dem frevelhaften französischen Angriff
des verwichenen Juli durchdrang ein Sturm
der Entrüstung alle Herzen. Drüben wie hier
riönte der begeisterte Wachtruf:
„Es braust ein Ruf wie Donnerhall
Wie Schwertgeklirr und Wogenprall,
Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein!“
Und als die Siegesnachrichten von Wörth
und Mars⸗la⸗Tour, von Metz, Paris über
die Drähte flogen welch' ein Lauffeuer des
Enthusiasmus durchflammte da den ganzen
Zontinent. Bereits hat der deutsche Reichstag
m Namen des deutschen Volkes die ergreifen⸗
den Zeugnissen allgemeiner opferbereiter Sym⸗
»athie anerkannt, welche die Stammgenossen
enseits des Oceans ihm in dem weltgeschicht⸗
ichen Kampfe um seine Unabhängigkeit und
rFinheit gegeben.
Und die hohe Würdigung, welche von
inglo amerikanischer Seite den jüngsten Frie—
densfesten der deutschen Mitbürger bewiesen
wpurde, dürfen wir als Unterpfand einer im—
mer innigeren Verbrüderung beider so ver⸗
vandter Volksftämme betrachten, als eine Bürg⸗
chaft größerer Einigkeit im Streben nach ge⸗
neinsamer Wobhlfahrt auf der Grundlage der
Besctzlichfeit und Freiheit, wie sie für alle
Zeit in dem unsterblichen Kriegsmanifest gegen
edwede Unterdrückung, in der Unabhängigkeits⸗
alte geschaffen ist, deren Gedenktag wir heute
eiern.
Und noch eines starken Bandes, das,
Deutschland mit Acerika verknüpft und der
giorreiche 4. Juli 1776 geflochten, haben
vir heute zu gedenken, des Bandes, das die
Beister einigt. Es sind nicht blos Erzeugnisse
des Ackerbau's, der Viehzucht und Industrie,
die von zahllosen Schiffen beider Nationen
herüber und hinüber geführt werden, nein
auch Schöpfungen der Wissenschaft und Kunst;
es sind nicht blos Waarenpreise und Geldkurse,
die das Kabel befördert, sondern auch Meld⸗
ingen neuer Geistesthaten, in denen beide
dänder den edelsten Wettstreit führen. Der
Inabhängigkeitskampf, Amerika's gab für
Deutschland den gewaltigsten Anstoß zur kriti⸗
schen und politischen Literatur. Er führte die
Zeister aus dem Gebiete des abstrakten Den—
kens, aus der Träumerei in's praktische Leben.
Es war das Zeitalter von Kant und Lessing,
yon Herder und Forster, von Lichtenberg und
Johannes von Müller. Mächtig bewegt war
die Welt der Ideen und die Verwandschaft
Deutschlands und Amerika's darin durch die
Unabhängigkeitsakte selbst beurkundet. Das
erste Freiheitsmanifest Amerika's war nämlich
uim 19. Mai 1775 von einer Convention
deutscher Freigutbesitzer der Grafschaft Meck⸗