Full text: St. Ingberter Anzeiger

Anterhaltungsblatt 
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St. Ingberter Anzeiger. 
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Dienstag, den 1. August 
187. 
Ein böses Gewissen.“) 
Nov le 
J von Ewald August König. 
1. Kapitel. J 
vas der Schmerzensschrei, in welchem der Un— 
zlückliche seinen Geist ausgehaucht hatte! — 
Vom Thurme der nahen Dorfkirche schlug 
2s Mitternacht, als ein Bauer des Weges zog, 
der aus der benachbarten Handelsstadt in jenes 
Dorf führte. 
Er mochte in der Stadt gute Geschäfte 
zemacht haben, sein schwankender Gang ver⸗ 
rieth, daß er dem Glase fleißig zugesprochen 
hatte. 
Sein Weg führte ihn an der Leiche vor—⸗ 
iber, er bemerkte sie nicht früher, bis er vor 
hr stand, und sein Blick in das todte, ent⸗ 
tellte Antlitz fiel. Entsetzt trat er zurück, der 
Anblick, welcher sich so plötzlich ihm bot, hatte 
hu vollständig ernüchtert. Aber weit entfernt, 
u untersuchen, ob der Unglückliche bereits todt 
»der nur schwer verwundet war, nahm der 
Hauer, nach dem er sich mit unverkennbaren 
Zeichen der Angst nach allen Seiten umgesehen 
jatte, Reißaus, just, als laure hinter jedem 
Zusch, hinter jedem Baume ein Mörder, der 
„lötzlich vorspringen lönne, um ihm 203 Le⸗ 
zenslicht auszublasen. 
Am ersten Häuschen des Dorfes hielt der 
Landmann endlich in seiner Flucht inne. Er 
nahm die Mütze vom Kopfe, irocknete den 
Schweiß, der ihm in hellen Tropfen auf der 
Stirne perlte, ab, 'und klopfte an die Thür 
enes Häuschens so ungestüm, daß beim ersten 
Pochen schon der Bewohner desselben erschreckt 
m Schlafe auffuhr. 
„Vater Schulz, Vater Schulz!“ rief der 
Landmann, ohne mit seinem Pochen inne! zu 
jalten; macht offen? — Mörder““ Mör⸗ 
der 12 4 —8 1 2 
Der Schnee war geschmolzen, lau wehte 
die Frühlingsluft über die Fluren, die Vögel 
fangen und zwitscherten, und die Primeln und 
Aurikeln blühten auf dem grünenden Rasen. 
Eine milde, stille Frühlingsnacht lag über 
Wald und Feld gebreitet, an dem heiteren, 
zestirnten Himmel zog der Mond seine ruhige 
silberhelle Bahn, er lächelte hinunter auf das 
Dörfchen, dessen Bewohner sich in süßen 
Träumen wiegten, auf den Wald, dessen 
Bäume die Hand des Frühlings mit dem 
ersten zarten Grün schmückte, auf die Fluren, 
über welche ein grüner, buntgestickter Teppich 
iich breitete. 
Er lächelte auch in das bleiche, kalte Ant⸗ 
litz eines Mannes, der dort am Saume des 
Waldes lag, das gebrochene Auge stier gen 
Himmel gerichtet, als wolle er die Rache 
Gottes herabrufen auf die Hand, welche diose 
Augen gebrochen, den Pulsschlag dieses Her⸗ 
—R 
Sterne gingen ruhig ihre unermeßliche Bihnen, 
der Zephir spielte in den grauen Locken des 
Todten, und im Walde klagte eim Nachtigall. 
— Was kümmerte sich die geballte Fausft des 
Todten, welche auf der Brust des Mannes 
lag, unter der das rothe Blut hervorquoll, 
Nachdrud ist nur nach vorheriger Verständig⸗ 
ung mit dem Verfasser erlaubt.