Full text: St. Ingberter Anzeiger

„Nu, was giebt's denn? erwiederte eine 
tiefe, barsche Stimme, „so macht doch nicht 
einen Lärm, als ob das ganze Dorf in Flam— 
men stände!“ 
Der Landmann schaute hinauf zu dem 
Fenster in welchem der Kopf eines alten Man⸗ 
nes vekleidet mit einer baumwollenen Schlaf— 
mütze sichtbar ward. 
.Drüben auf dem Wege liegt einer!“ rief 
er hastig hinouf, „lange kann er noch nicht 
erschlagen sein, denn das Blut floß noch aus 
der Wunde. Geht mit Eurem Sohne hin, ich 
wecke unterdeß den Bürgermeister.“ 
Der Alte brummte einige unverständliche 
Worte und schloß das Fenster, während der 
Landmann in's Dorf lief, um vor dem Hause 
des Bürgermeisters denselben Lärm zu schlagen. 
„Fin Schneider kann doch nie seine Natur 
berläugnen!“ sagte Schulz, als er das Fen⸗ 
ster geschlossen und ein Licht angezündet hatte. 
„Ich bin überzeugt, der Mensch hat sich nicht 
einmal die Mühe genommen, der Leiche in's 
Angcesicht zu sehen. — Geh', wecke Gottfried,“ 
fuhr er, sich zu seiner Frau wendend, fort, 
zer soll mich begleiten, wir werden bald wis⸗ 
sen, was an der Sache ist·“. 
„Herr des Himmels, ein Mensch ermordet!“ 
jammerte die Frau, welche bei der ersten 
Nachricht aus dem Bette gesprungen war, 
„seit zwanzig Jahren ist hier in der Nähe 
kein ähnliches Verbrechen verübt worden. Wie 
werden fie nun wieder in der Stadt über 
unser armes Dorf reden! Weißt Du noch, 
damals, als der Hausirer im Walde erschossen 
und beraubt worden war, wollten sie's auch 
dem Dorfe zur Last legen, als es später sich 
herausstellte, daß ¶ 
„Laß Dich das nicht anfechten,“ fiel Schulz 
der Redseligen in's Wort. „Die Leute mögen 
meinetwegen reden und schwatzen was sie wol⸗ 
len, ich kümmere mich um dergleichen nicht. 
Gehe nur und wecke Gottfried und sorge da⸗ 
für, das wir ein geheiztes Zimmer, Thee 
und warme Tücher finden, wenn wir den 
Unqlücklichen vielleicht hierherbringen.“ 
Die Alte, welche bereits auf dem Wege 
zur Thür war, blieb stehen und sah mit einem 
Blick des Entsetzens sich um. „Konrad, 
Du wirst mir doch keine Leiche in's Haus 
bringen?“ 
„Sei unbesorgt, wenn der Mann ein—⸗ 
Leiche ist, mag der Bürgermeister ihn fort⸗ 
schaffen, aber wenn er nur schwer verwundet 
ist, dann bringe ich ihn hierher, so wahr ich 
Konrad Schulze heiße,“ entgegnete der Alte 
fest. „Und nun spute Dich, Du siehst, ich bin 
hereits angekleidet, und noch immer stehst Du 
da, wie Loth's Weib, als sie zur Salzsäule 
ward.“ 
Kopfschüttelnd verließ die Alte die Stube 
und schon nach wenigen Minuten trat der 
Sohn des Ackerers, ein frommer kräftiger 
Bursche, der ungefähr sechsundzwanzig Jahren 
zählen mochte, ein. J 
„Hole den Schubkarren und folge mir!“ 
versetzte der Alte, indem er hinausschritt. „Auf 
den Bürgermeister können wir nicht warten, 
venn's ein Menschenleben gilt, er mag nach⸗ 
ommen.“ 
Schweigend schritten Vater und Sohn 
der Stelle zu, welche der Schneider dem alten 
Manne bezeichnet hatte. 
„Wie grell mit der Schönheit dieser Nacht 
ein solcher Mord kontrastirt!“ brach Gottfried 
ndlich das Schweigen. „Oben der klare, hei⸗ 
sere Himmel, die leuchtenden Gestirne, und hier 
uinten“ — 
Der Alte fuhr mit der Hand über die 
Stirn, als wolle er Bilder verscheuchen, welche 
seine Seele ängstigten. „Diese Nacht erinnert 
nich lebhaft au jene, in der mein guter Herr 
Abschied von mir nahm, um die weite Reise 
anzutreten,“ sagte er leise, wie in Sinnen 
perloren. „Wie heute, schien auch damals 
der Mond, wie heute, lächelte auch damals 
der heitere Frühlingshimmel hinunter auf die 
Fluren, wie heute, gingen auch damals zwei 
Männer auf diesem Wege — doch wozu die 
Frinnerung! Er hat ja geschrieben, daß er 
hald wiederkommen werde, der Himmel weiß. 
wie sehr ich mich auf dieses Wiederkommen 
freue! Was er wohl sagen wird, wenn ich 
hm den Sohn in die Arme führe, den er 
damals als ein kleines hülfloses Kind mir zu⸗ 
rückließ! Freilich, seit jenem Tage hat man⸗ 
ches sich geändert, der Bruder ist ein reicher, 
reicher Herr geworden“ — 
„Vater, hier sind wir an Ort und Stelle!“ 
unterbrach Gottfried das Selbstgespräch des 
Alten, der, aus seinen Sinnen auffahrend,