Full text: St. Ingberter Anzeiger

gegangen, aber ich fühlte auch, daß ich den 
Wunsch nicht aussprechen durfte, daß ich zu⸗ 
rückbleiben mußte, um das Kind einst in die 
Arme des Vaͤters zurückführen zu können, Ich 
versprach Alles getreulich ausrichten zu wollen 
und begleitete meinen Herrn bis D., wo wir 
Abschied nahmen. Seit jenem Tage sah ich 
ihn nicht mehr wieder.“ 
„Und Ihr wißt gewiß, daß er und der 
Todte ein und dieselbe Person ist?“ fragte der 
Bürgermeister. 
„Wenn auch sein Haar ergraut ist und 
die Sorgen tiefe Furchen in seine Stirn ge⸗ 
graben haben, seine Züge sind nicht veräudert,“ 
erwiderte Schulz. „Sucht in der Tasche des 
Todten nach, dort müßt Ihr ja seinen Paß 
finden.“ 
„Seine Taschen sind leer,“ versetzte der 
Bürgermeister achselzuckend, „nur das Messer 
und das Pistol fanden wir“ — 
„Goit sei Dank!“ seufzte der Alte tief 
auf, „so sinds Raubmörder gewesen!“ 
Der Bürgermeister sah mit einem Ge⸗ 
misch von Erstaunen und Mißtrauen in das 
Antlitz des Landmannes. 
„Weßhalb Gott sei Dank?“ fragte er. 
„Habt Ihr vielleicht ingend einen Ver— 
dacht ?“ 
„Nein, nein,“ fiel Schulz ihm hastig in 
die Rede. „Niemand außer mir wußte ja, 
daß er von drüben zurückkehrte, woher also 
sollte mir ein Verdacht kommen?“ 
—„Außer Euch wußte das Niemand?“ 
forschte der Bürgermeister, der in diesen arg⸗ 
los hingeworfenen Worten einen schlagenden 
Beweis für die Richtigkeit seines Ver dachts zu 
finden glaubte. 
.Euch also hatte der Ermordete das mit 
getheilt ?“ 
„Er schrieb mir vor drei Monaten, daß 
er jetzt bald, vielleicht in diesem Frühjahr 
zurückkehren werde, ich solle seinen Sohn noch 
nicht darauf vorbereiten, nicht früher, als bis 
er wirklich hier sei/ 
„Und dieser Sohn? Wo ist er? Wie 
heißt er ?“ 
„Das ist mein Geheimniß,“ entgegnete 
Schulz fest und stolz, „meine Lippen werden 
es bewahren, bis der Tag gekommen ist, an 
welchem ich es enthüllen darf.“ 
Der Bürgermeister biß sich auf die Lippen, 
der Stolz des ehrlichen, treuen Landmannes 
erbitterte ihn. „Aber ihr habt doch noch das 
Dokument, welches Euer Herr Euch übergab?“ 
hob er nach einer Pause wieder an. 
„Es ist sicher aufgehoben,“ entgegnete 
Schulz ruhig, „wenn die Stunde kommt, 
verde ich es dem Betreffenden schon vor⸗ 
zeigen ·“ 
Der Eintritt des Untersuchungsrichters, 
der in Begleitung des Arztes und einiger 
Bensd'armen kam, schnitt die weiteren Fragen 
des Bürgermeisters ab. Der letztere führte die 
Herren aus der Stadt in die Amtsstube, und 
der Kreisphysikus übernahm ohne Zögern die 
Obduktion der Leiche. Sein Gutachten bestä- 
tigte in allen Theilen dasjenige, welches der 
Chirurg bereits abgegeben hatte, er erklärte 
zu Protokoll, daß der Ermoidete kurz vor 
Mitternacht durch einen Pistolenschuß getödtet 
worden sei und ein Kampf vorher nicht statt⸗ 
gefunden haben könne, da der Mörder den 
Schuß aus einiger Entfernung abgefeuert 
habe. 
Die Erklärung des Bürgermeisters blieb 
nicht bei der Thatsache allein stehen, sie ging 
veiter, als gerade nöthig war, und warf auf 
Schulz ein so zweideutiges Licht, doß auch in 
der Seele des Instruktionsrichters Verdacht 
zeweckt werden mußte. Der Bürgermeister be⸗ 
rührte das verstörte Wesen des Ackerers, seine 
Verzweiflung bei der Leiche, wie den Stolz, 
zer dieser Verzweiflung folgte, hob dann her— 
vor, daß Schulz der Erste auf dem Schau—⸗ 
platz des Verbrechens gewesen sei und man 
neben dem Todten ein Messer gefunden habe, 
welches auf dem Heft den Namen des 
Ackerers trage. 
„Sie glauben daraus auf die Schuld die⸗ 
ses Mannes schließen zu dürfen?“ fragte 
der Richter. 
Der Bürgermeister zuckte die Achseln. „Je—⸗ 
denfalls sind diese Umstände auffallend genug, 
um einen Verdacht zu rechtfertigen. Nehmen 
Sie den Mann in's Verhör, vielleicht gelingt 
es Ihnen, Beweise für oder gegen ihn zu 
erhalten.“ 
Der Instruktionsrichter ließ zuvor den 
Schneider rufen, welcher die Leiche gefunden 
hatte. Der Schneider, welcher seine Angst noch