Full text: St. Ingberter Anzeiger

guten Herrn geblickt habe, quält mich unauf⸗ 
hörlich ein Gedanke, den ich nicht von mir 
abschütteln kann, Und nun geh, besolge pünlt⸗ 
lich meine Weisungen und warie geduldig ab. 
bis ich zurückkehre.“ 
Der Instruktionsrichter, der vergeblich in 
der Unterredung des Gefangenen mit seinem 
Sohne einen neuen Anhaltungspunkt für sei— 
nen Verdacht suchte, winlle dem jungen Manine 
sich zu entsernen, und die Gensd'armen führ— 
ten den Ackerer hinaus. J 
Eine dichte Menschenmenge hatte sich vor 
dem Bürgermeisteramt eingefunden, aber unter 
Allen, welche hier standen und ihre Gedanken 
süber den Vorfall gegenseitig austauschten, be— 
fand sich keiner, der an der Unschuld des 
Alten zweifelte. 
2. Kapitel. 
Am Tage nach jener für den Ackerer Kou⸗ 
rad Schulz so verhängnißvollen Nacht saß 
der Rentner Jakob Krämer in seinem mit 
allem Luxus und dem Geschmack eines Par— 
denu's ausgestatteten Kabinet. Weiche Teppiche 
hedeckten den Fußboden, schwere Vorhänge 
von dunkelrothem Damast dämpften das Ta— 
geslicht, kostbare MRöbel von Palisanderholz, 
hohe Spiegel, chinesische Vasen, massive silberne 
Armleuchter, die herrlichsten Oelgemälde und 
die feinsten Porzellanfiguren schmückten dieses 
Zimmer, welches einst dem Kau'mann Krämer, 
dem Vater des Rentners in einfacher Aus—⸗ 
stattung ebenfalls als Schreibzimmer gedienl 
hatte. 
Der Rentner hatte nach dem Austritt sei⸗ 
nes Bruders das Geschäft mit ungeschwächten 
Keräften fortgeführt und vor ungefähr sechs 
Jahren sich von demselben zurückgezogen, um 
den Rest seines Lebeus in Ruhe zu genießen 
und sich ganz der Erziehung seiner Tochter 
Mathilde, des einzigen Kindes, welches seint 
früh verblichene Gattin ihm hinterließ, zu 
widmen. 
Mathilbe zählte jetzt neunzehn Jahre, sie 
galt für eins der schönsten Mädchen in der 
Stadt und in der That konnte man nichts 
Lieblicheres sehen, als das fromme, feine 
Engelsantlitz mit den tiefblauen Augen, dem 
reichen blonden Haar und der hoden reinen 
Stirn. Der schlaule Wuchs des Maͤdchens, 
shr bescheidenes Auftreten, die Sanflmuth und 
Herzensgüte, welche in ihrem ganzen Wesen 
sich ausdrückten uund die tiefe Bildung ihres 
Geistes standen mit den reinen Engelzügen 
in harmonischem Einklang, sie verliehen der 
Erscheinung Mathildens einen Zauber, der an⸗ 
ziehen und fesseln mußte. 
Der Rentuer war stolz auf sein Kind, 
stolzer als auf den Orden, mit welchem der 
Fürst die Brust des shätigen Kaufmannes ge- 
schmückt hatte; er träumte von einem Grafen 
oder Fürsten, welcher einst diese Perle heim⸗ 
führen würde. Mathilde hing mit inniger 
Liebe an ihrem Vater, war er auch oft barsch, 
mürrisch und verschlossen, redete er auch oft, 
wenn er sich unbeobachtet glaubte, Worte in 
sich hin, welche sie, obgleich sie deren Sinn 
nicht verstand, ängstigten, sie ließ darum von 
ihrer Liebe zu ihm nicht ab. Der Rentner 
kannte diese Liebe, er vertraute auf sie, fie 
war ihm Bürgschaft, daß Mathilde nie einem 
andern Mann ihr Herz schenken werde, ohne 
zuvor den Vater um Rath gefragt zu haben. 
Der Renhner war heute mißgelaunt, einem 
seinen Besbachter würde das Zittern seiner 
Hände in dem Augenblick, in welchem er das 
Wei glas ergriff, um es zum Munde zu füh⸗ 
ren, nicht entgangen sein. Der alte Herr sak 
an seinem Schreibtische und las emsig in alten 
vergilbten Briefen, dazwischen leerte er Glas 
um Glas, bis die Krystallkaraffe geleert war 
und er endlich die Papiere mißmuthig zurück⸗ 
schob. 
„Alter Plunder!“ murmelte er, indem 
er sich erhob. „Mir kann er nichts nützen, 
nicht einen einzigen Anhalispunkt finde ich, 
an dem anknüpfend ich genaue Erkundigungen 
einziehen könnte!“ — Er schob die seidenen 
Vorhange zurück und trat an's Fenster. „Zwan⸗ 
zigtausend und sechszehntausend,“ fuhr er 
nach einer Weile fort, — sechsunddreißigtausend 
Thaler, — fürwahr keine Kleinigkeit!“ — 
Der eintretende Diener unterbrach das Selbst⸗ 
zespräch seines Herrn. Was gibts ?“ fuhr der 
letztere barsch auf, „habe ich nicht Befehl ge⸗ 
geben, daß ich ungestört sein will ? 
„Verzeihen der gnädige Herr, aber drau⸗ 
gen ist ein Herr, der sich nicht abweisen lassen 
will,“ entschuldigte der Diener sich, „er sagtt 
er habe einen weiten Weg gemacht, um mi, 
Ihnen zu reden, und seine Zeit erlaubte nicht