Full text: St. Ingberter Anzeiger

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terhaltungsblatt 
— * * 
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zum 
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St. Ingberter Anzeiger.“ 
N. IO. Sountag, den 22. Januar 18775. 
Aord Lyle. 
Nach dem ameritanischen Originale des 
Charles T. Manners. 
Frei bearbeitet von Lina Freifrau v. Berlepsch. 
(Ombs.) * 
Gortsetzung). — 
VI. 
In einem der ersten Gasthö'de in Picca— 
dillh war ein Fremder angekommen, dess'n 
eigenthümliches Benehmen nicht nut den Hotel⸗ 
desitzer, sondern auch die zahllose Kellnerschaft 
in Erstaunen setzte. Er kam mit wenigem Ge— 
päck von Dover und der Reisesack zeigte, daß 
ein französisches Schiff ihn an's englische Ufer 
gebracht. Im Fremdenbuch stand einfach U. 
Lubin, ohne jedwede Bezeichnung der Natio— 
nalität oder des Zweckes der Reise. Das all⸗ 
gemeine Benehmen, die äußere Erscheinung 
waren die des Cavaliers. Die Hände, obwo gi 
groß und knochig, waren weiß und fein, und 
am kleinen Finger glänzte ein massiver Ring 
mit einem in Duix eingeschnittenen, einem 
Wappen ähnlichen Siegel. 37* 
In der ersten Woche seines Aufenthaltes 
verließ U. Lubin das Zimmer nar gelegentlich 
der Mahlzeiten, die er sich stets trefflich schme— 
ken ließ, las fleißig die Zeitungen, betrachtete 
pom Baltone aus mit sichtlichem Vergnügen 
ie Menschenfluth unten, bezüglich eigener In⸗ 
eressen aber oder bestiumter Zwecke des Au⸗ 
jenthalles mochte er eben so gut ein Automat 
sein. So dachten wenigstens Jene, die sich um 
sein Thun und Lassen kümmerten. 
Im Ganzen war Lubin ein Mann von 
angenehmem Aeußern in«mittleren Lebens— 
jahren. Das einzig Auffallende an ihm war 
die Läuge seiner Extremitäten, er verstand sie 
aber mit einer Art tatürlicher Grazie zu kra— 
gen und vermied so den Fluch der Lächer— 
tichkeit. Die Gefichtszüge zeigten jüdischen 
Typus, die grauen, stechenden Augen blickten 
keck unter buschigen Brauen hervor, und ver 
Mund verbarg sich so zu sagen unter dem 
dichten Bart und zeigte nur wenn er lachte 
die kleinen weißen Zähne, die unwillkührlich 
an ein Wolfsgebiß erinnerten. 
Als am zehnten Tage nach der Ankunft 
U. Lubin, von dem man noch nicht wußle, 
ob man ihn Moufieur, Herr, Signor oder 
einfach Master zu tituliren habe, aus seinem 
Zimmer trat und einen Wagen verlangie, er— 
regte das nicht geringe Sensat on unter dem 
Dienstpersonal des Hotels. 
„Leadenhallstrabe. Ich habe Geschäfte mit 
dem Banquier Llohyd· 
Und alsbald Zhielt der Wagen vor dem 
massisen Steinbau. Lubin blickt nach dem 
vernoldeten Schild, der einen in der ganzen 
Metropole geachteten Namen trug: Ladprence 
Lloyd, Banquier.“ — 
„Also keis Compagnon,“ dachte Lubin, 
„um so besser, es ist also uur Einer zu über; 
zeugen, nur Einer zu bekanmpfen, falss es so 
weit lommen sollte. ————— 
Er schriit gemächlich die Sleinstufen hinan 
und besand ich datu zu neme groͤen, mit 
Stet pulten und Schräblischen gefülltea Ge— 
nache, an dessen beiden Seiten sich eiserne 
Geldkasten mit den Inialen aller bedeutenden 
Bankhäuser Europa's und Amerika's besenr d