bevor ich sie nenne,“ versetzte das Mädchen.
„Es mögen etwa vier Wochen her sein, als
ich eines Abends einer Aufführung der Oper
„Norma“ beiwohnte. Die Vorstellung schloß
in Folge einer Unpäßlichkeit unserer Prima—
donna schon vor dem letzten Akt. Helldau,
welcher mich abholen und nach Hause begleiten
wollte, war nicht da, und so stand ich denn
allein in der Vorhalle, um den alten Mann
zu erwarten. Außer mir befanden sich nur
noch einige junge Herren in der Halle, ich
vermuthete, daß sie auf die Sänger oder
Sängerinnen warteten. Eine peinliche Viertel-
stunde verstrich, Helldau kam noch immer nicht,
und ich bemerkte, daß die Herren mir bereits
größere Aufmerksamkeit schenkten, als mir lieb
war. Ihre Kleidung, noch mehr aber ihre
Züge, welche den Stempel der Ausschweifung
und Blasirtheit trugen, verriethen mir, daß sie
zu unserem Stande zählten, und mit Schre⸗
cken dachte ich daran, daß sie mich vielleich
für eines jener Geschöpfe halten könnten, deren
Umgang diese Klasse der menschlichen Gesell—
schaft zu suchen pflegt. Und in dieser Ver—
muthung sah ich mich nicht getäuscht. Die
Herren näherten sich mir, boten mir den
Ärm und baten, mich nach Hause begleiten zu
dürfen, und ergingen sich als ich diese Aner⸗
bieten ablehnte, in Redensarten, welche mich
beleidigten und empörten.“
Der Rentner sprang von seinem Sitze
auf. „Ich hätte dort sein müssen,“ rief er
erregt, ich würde diesen Vagabunden den Kopf
zurecht gesetzt haben!“
„Ihre Zudringlichkeit nahm von Sekunde
zu Sekunde zu, schon wollte einer mir den
Schleier abreißem als ein junger Mann, der
in diesem Augenblicke aus einem Seitengange
in die Halle trat und mit raschem Blick die
Situation durchschaute, den Frechen zurückstieß
und mir seinen Schutz aubot. Sein offenes,
ehrliches Gesicht flößte mir Vertrauen ein,
ich nahm seinen Schuß an. Die Wüstlinge
suchten sich zu rächen; zu feige, meinen Be⸗
gleiter persönlich anzugreifen, rächten sie sich
durch Worte, welche mir das Blut in die
Wangen trieben. Ich nannte meinem Beschützer
meinen Namen und bat ihn, mich nach Hause
zu führen. Er war indeß entschlossen, jenen
Wüstlingen eine Lektion zu hinterlassen, ehe
diese sich's versahen, brannte eine Ohrfeige
auf ihren Wangen.“
echt so!“ fiel der Rentner ein. „Ich
würde nicht anders gehandelt haben.“
„Der junge Herr begleitete mich nach Hause
und ltheilte mir auf meine Frage mit, daß
er Agent sei und es ihm nur an den nöthi—
gen Kapitalien mangele, sich zum Großhändler
emporzuschwingen
„Er kannte ja Deinen Namen und wußte,
daß ich ein reicher Mann bin, seine Kalkulation
macht ihm wenig Ehre,“ versetzte der Rent⸗
ner, während ein höhnisches Lächeln über seine
Lippen glitt; „bei etwas gesundem Menschen⸗
verstand würde er begriffen haben, daß seine
Anspielung einer groben Bettelei sehr ähn⸗
lich sah.“
„Du mißverstehst mich, wenn Du diese
Absicht ihm unterschiebest,“ erwiederte Mathilde
ernst; noch ehe er meinen Namen wußte,
schützte er mich gegen die Rohheit der Wüst-
linge, ich denke“ — „Daß das genügt, seinen
Edelmuth, seine Uneigennützigkeit zu beweisen?“
fiel der ate Herr seiner Tochter in's Wort.
Du kennst die Menschen noch nicht, Mathilde
— aber fahre fort, Du wolltest ja eine Bitte
an mich richtenn.
„Diese Bitte ist, daß Du dem jungen
Manne ein kleines Kapital vorstrecken mögesi.“
Der Rentner sah erstaunt auf. „Ein klei—
nes Kapital, sagst Du? Und weißt Du
auch, ob jener Mann redlich, thätig und so⸗
lide ist ?“
„Ich erkundigte mich nach ihm,“ fuhr
Maͤthilde fort, „er ist Agent“ —
„gugent ist heutzutage Jeder, der auf keinen
grünen Zweig mehr kommen kann,“ spottete
Krämer; „das letzte Loch, aus welchem der
Geschäftsmann pfeift, ist eine Agentur. Schei⸗
det ein Commis aus seiner Stellung, oder
fallirt ein Geschäftsmann, — innerhalb vier
Wochen reitet er ‚schon auf Agenturen und
bildet sich dabei systematisch zum Müssiggänger
aus. Ich habe Manchen gekannt, der seinen
Nacken nicht mehr unter das Joch eines Prin⸗
zipals beugen wollte, obschon er ein gutes
Salair bezog und verhältnißmäßig wenig da⸗
für leistete, er kündigte, übernahm Agenturen,
und nach einem, längstens zwei Jahren dankte
er Gott, wenn er demüthig und bescheiden in