Full text: St. Ingberter Anzeiger

Ein alter Buchhalter bemerkte alsbald des 
Fremden Elntritt und kam ihm sofort ent⸗ 
gegen. a2⸗ 
„Ich wünsche mit Mr. VLloyd über Pri⸗ 
datangelegenheiten zu sprechen.“ 
„Wissen Sie gewiß, daß wir die Sache 
nicht besorgen können? Mr. Lloyd läßt sich 
nicht gerne behelligen und Evans, der erste 
Buchhalter, besitzt sein volles Vertrauen.“ 
„Da es Privatverhältnisse betrifft, wünsche 
ich zuerst Mr. Lloyd zu fprechen. Schickt er 
mich daun hieher zurück, so habe ich n ichts 
dagegen.“ 
„Ist Mr. Lloyd hier, Evans?“ fragte 
der alte Mann, „da ist ein Herr, der ihn 
zu sprechen wünscht.“ * 
Mr. Lloyd ist nach Hause gegangen und 
lommt erst Morgen um 11 Uhr wieder,“ ent⸗ 
zegnete Evans, musterte flüchtig des Fremden 
Erscheinung und fuhr dann in der Arbeit 
X 
„Aber ich muß ihn bezüglich wichtiger 
Privatverhältnisse sprechen.“ 
Kann nicht helfen. Morgen um, 11 Uhr,“ 
jaulete die lakonische Antwort. J 
„Es wird sich wohl doch ein Weg finden 
lassen,“ demerkte Lubin, gereizt über des Man⸗ 
nes Gleichmuth, und wie mit Einem Schlage 
peränderte sich der ganze Gestchtsausdruck. Die 
zrauen Augen wurden' zum passenden Gegen 
fiück des wolfähulichen Mundes, dessen scharfe 
weißen Zähne solch unheimlicheun Eindruck 
machten. 
Die beiden Buchhalter blickten erstaunt auf 
kecken Mann. 
Wollen Sie mir gefälligst die Adresse 
zeben, denn ich will Mr. Lloyd noch heute 
sprechen und die Angelegenheit beirifft ihn so 
gut wie mich“ 
Seine Stabdtwohnung ist in Belgrave 
Square, aber ich mache Sie darauf aufmerksam, 
daß noch Niemand die Kühnheit hatte, ihn 
mit Geschäften außer den dazu bestimmten 
Stunden oder gar in seinem Hause zu belä⸗ 
stigen,“ erwiderte Evans. 
Lubin lächelte. 
„Ich nehme die Verantwortung auf mich, 
und Sie mögen sich darauf verlassen, daß ich 
Mr. Lloyd noch heute sprechen werde.“ 
Zwei Stunden später jührte ihn ein Be⸗— 
dienter in blau⸗silberner Livroͤt in die Bik⸗ 
iothek des Hauses, ein prächtiges Gemach 
mit farbigen Fenstern, deren warmes Licht 
'n reizender Wirkung auf die Büsten und 
Statuen fiel, mit welchen die Kästen und 
Bücherständer geschmückt waren. In Mitte des⸗ 
'elben stand Lawrenee Lloyo. Es ließ sich kaum 
ein edleres Bild eines englishen Gentleman 
denken. Eine hohe Gestalt von gebietender 
Haltung mit dunklen, feurigen Augen war 
er, troß der ergranten Haart, mit sebbzig Jah- 
ren hübscher als mancher Jüngling von fünf⸗ 
undzwanzig. 
Bei Lubins Eintritt zeigten die Züge des 
Hausherrn den Ausdrack unbegrenzten Wohl⸗ 
woslens, denn er wähnte einen seiner Freunde 
zu freundlichem Geplauder gekommen. Als er 
aber fremde Züge erblickte, zog eisige Kälte 
über das erst so gütige Gesicht. 
„Sie wünschen mich zu sprechen ?“ fragte 
er mit vornehmer Herablassung. „Sie haben 
wahrscheinlich ein Empfehlungsschreiben ? 
„Nein und ja, wie Sie es gerade nehmen,“ 
entgegnete Lubin uneingeschüchtert, „ich habe 
in Geschäftsangelegenheiten mit Ihnen zu 
sprechen, und da Sie nicht in Ihrem Bank⸗ 
socale waren, kam ich hieher.“ 
Die milden Lippen lächelten nicht mehr, 
sie waren feß geschlossen und das edle Haupt 
hob fich höher, während die Augen entschie- 
denes Mißvergnügen ausdrüchten. F 
„Es ist unverzeihlich gedankenlos von meinen 
Leuten, daß sie Ihnen erlaubten, hieher zu 
ommen. In meinem Hause herrjcht die be⸗ 
dimmte Regel, daß Geschästsverhälinisse die 
Suille des eigenen Herdes nicht stören dürfen. 
Verlangt Ihre Angelegenheit meine persöuliche 
Aufmerlsamkeit, so finden Sie mich Morgen 
um 11 Uhr in Leadenhallstraße. Uebrigens 
hbin ich überzeugt, daß irgend ein Buchhalter 
die Sache eben so gut besorgen kann.“ 
Mit diesen Worten wandie Mr. Lloyd 
dem Fremden den Rücken, als betrachtete er 
die Unterredung geschlossen. 
Lubin abes behauptete seinen Standpunkt 
und hätte nicht ein eigenthümliches Lächeln 
jeine Lippen umspielt und die wiißen scharfen 
Zähne sich drohend gezeigt, man würde ihn 
—ERE—— gehalten 
haben.