Full text: St. Ingberter Anzeiger

Lippen Mathildens, während flüchtiges Roih 
ihre Wangen übergoß. „Wer weiß, was uns 
die Zukunft bringt,“ entgegnete sie. „Muth 
und unermüdliches Streben haben schon Man— 
qhen an's gewünschte Ziel geführt.“ 
„Ein herrliches Mädchen!“ versetzte der 
junge Mann, als Mathelde das Haus verlassen 
hatte. „Mutter, entweder führe ich Dir diese 
als Tochter in die Arme, oder keine!“ b 
Die Alte seufzte tief auf. „Du liebst zu 
hoch, und das that nimmer gut,“ erwiderte 
sie, „bedente doch, das einzige Kind eines 
Meillionärs und Du, der arme, unbemittelte 
Agent.“ 
„Hat Mancher mit Kleinem angefangen 
und mit Großem aufgehört,“ meinte Ernst, 
„warum sollte ich denn verzagen und die 
Häunde muthlos in den Schooß legen!“ Die 
Mutter schüttelte den Kopf und ging hinaus, 
sie konnte die Hoffnungen ihres Sohnes nicht 
theilen. 
Ernst arbeitete bis zum Abend und ging 
dann in's Wohnzimmer, um dort der Ankunft 
Helldau's zu harren, mit welchem er heute 
noch über die zweckmäßige Verwendung der 
erhaltenen Summe sich berrathen wollte. 
Es schlug bereits acht Uhr, als der alte 
Mann, der sonst stets punkt sieben Uhr nach 
dause zu kommen pflegte, eintrat. Er war 
mißmuthig und einfilbig, mit düsterer Miene 
nahm er, als das Abendessen aufgetragen 
wurde, am Tische Platz, und so oft auch Ernsi 
oder dessen Mutter die Unterhaltung zu be⸗ 
leben suchte, Helldau warf jedesmal Worte 
ein, wie nur verhaltener Groll oder düsterer 
Mißmuth sie sprechen konnte, und das Ge— 
spräch stockte. — Der Buchhalter mochte selbst 
fühlen, daß er heute in den Kreis der kleinen 
Familie nicht paßte, daß seine trübe Laune 
jener die Freude verdarb, er wollte deßhalb 
dleich nach Tisch sich entfernen, aber Ernst 
hielt ihn am Arm zurück. 
So schlecht gelaunt habe ich Euch seit 
Jahren nicht gesehen“ hob der junge Mann 
an, „ist Euch ixgend eiwas Unangenehmes 
begeguet, so müßt Ihr doch wissen, daß wir 
gerne bereit find, Sorge und Aerger mit Euch 
u theilen, und es ist deshalb sehr unrecht 
Ihr uns gegenüber dies verschweigen 
wollt.“ 
Auf das Herz Helldau's machten diese 
Worte sichtlich Eindruck, die Wollen schwan— 
den allmählich von seiner Stirne, er zögerte 
einen Augenblick und setzte sich dann wieder 
hin. „Hole der Henker die ganze Geschichte!“ 
rief er unwillig. „Ich hab's bald satt, stets 
für meinen Herrn die gebratenen Kastanien 
aus dem Feuer zu holen. Da sendet er mich 
heute Morgen mit einem ganz sonderbaren 
Auftrag nach C. Ich sollte ihm dort ein 
Dokument holen, ein verstegeltes Dokument, 
welches irgend ein Anderer Gott weiß vor 
wie viel Jahren einem dortigen Bauer an— 
vertraut hat.“ 
„In C.?“ fragte Ernst, „darf ich wissen, 
wie der Bauer heißt, der jenes Dokument 
besitzt ?* 
„Der Bauer heißt Konrad Schulz,“ 
fuhr der Buchhalter fort, „er selbst ist ver⸗ 
haftet.“ 
„Konrad Schulz? Berhaftet?“ rief der 
sunge Mann bestürzt, indem er den Arm 
Helldau's umklammerte und diefem forschend 
in's Auge sah. „Verhaftet, fsagt Ihr? Und 
weßhalb ?* 
‚Weßhalb ?“ erwiederte Helldau, den die 
Bestürzung des jungen Mannes befremdete. 
„Er soll einen Mord begangen haben. Aber 
was ist Euch, der Mann? Kennt Ihr ihn? 
„In welchem Verhältnisse steht Ihr zit 
ihm ?* 
Die alte Frau warf ihrem Sohne einen 
Blick zu. den dieser verstand und beherzigte. 
„Er ist ein Freund unseres Haufses,“ oersetzte 
er, indem er sich zwang, seine Selbstbe⸗ 
herrschung zu gewinnen, „ein Freund, dem 
meine Mutter Manches verdankt.“ 
„Ja, ja, er hat mir in Noth und Trüb⸗ 
sal beigestanden, und ich kann ihm das Zeug⸗ 
niß geben, daß er ein ehrenhafter, charakter⸗ 
fester Mann ist,“ schaltete die Wittwe ein, 
„seine Verhaftung muß auf einem Mißver⸗ 
ständniß beruhen, ich halte ihn eines solchen 
Verbrechens nicht fähig.“ 
Fortsetzung folgt.)