Full text: St. Ingberter Anzeiger

nicht lange Zeit zu Vermuthungen und un— 
nützem Gerede gegeben wird, erlauben Sie 
mir deßhalb, meine Antwort auf Ihren An— 
trag bis zu jenem Zeitpuntt aufzuschieben, 
in welchem Sie mir sagen können, daß ein 
glücklicher Eifolg Ihre Bemühungen um jene 
Stelle gekrönt hat.“ 
Die Wittwe erhob sich nach diesen Wor⸗ 
ten und verließ, ohne eine Antwort abzuwar⸗ 
len das Zimmer. 
Helldau war nicht so beschränkt, daß er 
nicht das versteckte Jawort herausgefunden 
hätte, er mußte die Gründe der Wittwe gel⸗ 
jen lassen und begnügte sich deßhalb auch mit 
dem vorläufigen Bescheid, indem er sich vor⸗ 
nahm, am nächsten Tage seine Bemühungen 
mit rastlosem Eifer zu beginnen. 
4. Kapitel. 
Seit der Verhaftung des Ackerers waren 
acht Tage verstrichen. Seine Sache stand 
schlimmer, als er selbst und seine Angehörigen 
glauben mochten. Dank der Bemühung des 
Bürgermeisters und dem JInquisitions-Talent 
des Untersuchungsrichters hatten sich so viele 
Beweise gegen Schulz gefunden, daß selbst 
der geschickteste Advokat gezweifelt haben 
würde, sie alle widerlegen zu können. Der 
Ackerer ahnte nicht, welche Feinde er hatse, 
und wie thätig diese gegen ihn operirten, 
er baute fest darauf, daß das Gericht, wenn 
es wirklich zur Gerichtsverhandlung kam, ihn 
freisprechen müsse. Dasselbe Vertrauen hegten 
Gotifried und dessen Mutter, welche ab und 
zu in die Stadt kamen, um mit dem Ge⸗ 
fangenen über dies oder jenes Rüchsprache zu 
aehmen. 
Der Pfarrer hatte dem Ackerer das beste 
Zeugniß ausgestellt; auch das des Bürger⸗ 
meisters lautete in der Hauptsache günstig, ein 
Unbefangener würde in des selben nichts zu 
Ungunsten des Gefangenen entdeckt haben. 
Dem Gericht aber konnte ein kleiner Satz 
nicht entgehen; dieser Satz lautete, Schultz 
habe in der letzten Zit ein scheus und in 
sich gekehrtes Wesen gehabt, er sei dann oft 
bei der unbedeutendsten Störung zornig und 
wild aufgefahren. — Hieraus glaubte der 
Instrulktiousrichter den Schluß ziehen zu dür⸗ 
fen, daß Schulz schon lange, vielleicht seit 
dem Eintreffen des Briefes, in welchem der 
Ermordete seine nahe bevorstehende Rückkehr 
anzeigte, sich mit dem Gedanken an einen 
Mord vertraut gemacht habe und dies auch 
die Festigkeit und Unb fangenheit des Ange— 
lagten während seines ersten Verhörs er—⸗ 
läre. 
Fortsetzung folgt.) 
Der Münzsammler. 
(Staatsbzig.) 
Eine Novelle. 
——— ——— 
(Fortsetzung. 
„Sie hatten zwei Fragen, Herr Baron, 
unter deren Bedingung Sie meiner Bitte 
Bewährung versprachen,“ unterbrach Leonie 
einen feurigen Redestrom in mühsamer Be— 
herrschung. Ihre Ohren wollten die Worten 
nicht hören, und ihr Herz athmete sie wie 
ein süßes Gift ein. — 
Er stand eine Secunde schweigend. 
„Ja so — Sie wollen die erste Frage — 
Leonie, antworten Sie wahr darauf: — Ist 
Ihre Ruhe, Ihre eisige Kälte Maske, oder 
haben Sie wirklich kein Herz?“ 
Leonie blickte zu Boden, es galt jetzt, sich 
zu beherrschen; denn seine Blicke ruhten durch- 
hohrend auf ihr. J J 
„Herr Baror, diese Frage bin ich nicht 
berechtigt, zu beantworten“ 
„Nicht ?“ fragte er bedeutungsvotl. — 
„Damit weichen Sie mir aus: doch gut! 
mir bleidt die zweite Frage; Soll ich nicht 
nehr Ihr Haus betreten, so muß ich auch 
diese Stadt verlassen; sonst könnte ich Ihnen 
nein Wort nicht halten. — Ich will darum 
ioch heute reisen; aber gestatten Sie mir, 
vaß ich an Sie schreiben darf und Sie mir 
azutworten werden? Wir vergessen, daß wir 
ins gekannt, vergessen alles, — aber begeg⸗ 
nen wir uuns auf geistigem Gebiete. Sie ent⸗ 
Jjüllen mir Ihre Zweifel, ich belehre Sie, 
vo ich kann, — So füllen wir Beide die 
Leere unsrer Herzen aus, ohne daß unfer 
Seelenaustausch Sie in Zwiespalt mit ihrem 
Bewissen, mit den Pflichten gegen Ihren 
Vatten bringt. Nichts anders als ein geistig