Full text: St. Ingberter Anzeiger

Unterhaltungsblatt 
Am 
St. Ingberter Anzeiger. 
r. 102. Dienstag, den 29. August 
481. 
Ein böses Gewissen.“ 
Novelle 
von Ewald August König. 
alte Frau scharf beobachtete; „die Beweise 
gegen ihn jammeln sich von Tag zu Tag— 
während für seine Unschuld kein einziger 
Beweis zu finden ist“ 
— — 
Wenn auch die Wangen der Frau er—⸗ 
bleichten, das Bewußtsein der Unschuld ihres 
Mannes ließ keinen Zweifel in ihrer Seele 
aufkommen, daß das Gericht sein „Nicht 
schuldig!“ sprechen werde, „Mag der Schein 
auch gegen ihn sein,“ erwiderte sie ruhig. 
„die Herren Richter werden ihn nicht ver⸗ 
urtheilen, er ist ja so unschuldig an dem 
Morde wie ein neugeborenes Kind.“ 
Der Bärgermeister zuckte die Achseln. 
Mag sein,“ versetzte er, Ach besireite das 
durchaus nicht, habe auch bisher au seiner 
Unschuld noch nicht gezweikelt, aber. 
er“ —“ 
Der Bürgermeister wußte, welche Wirkung 
jener Satz machen mußte, mit weiteren Schrit⸗ 
ter wollte er warten, bis er mit Krämer im 
Reinen war. Er hegte gigen den Rentner, 
krotzdem er dessen schriftliche Erkllärung in der 
Tasche trug, entschiedenes Mißtrauen. so lange 
dieses nicht gesch vunden war, lonute er sich 
zu einem energischen Vorschreiten gegeu Schulz 
nicht verstehen. Die Hauptsache für ihn war, 
sich des Dokuments zu bemächtigen; erst wenn 
er dieses besaß, konnte er von dem Reutner 
bie Erfüllung seines Versprechens fordern. 
Wurde diese ihm verweigert. so war jenes 
Dokument für ihn eine Waffe gegen den 
Woribrüchigen. 
Wetterau ließ die ersten Tage verstreichen, 
ohne daß er einen Schritt in dieser Angele⸗ 
genheit that, dann trat er eines Morgens, 
just als käme er nur zufällig vorbei, in das 
Haus des UAckerers. Die Frau des Verhafteten 
befand sich allein im Wohnzimmer, vermu⸗ 
thend, daß der Bürgermeister komme, um ihr 
irgend efwas mitzutheilen, was auf das 
Schicksal ihres Mannes Bezug habe, bot sie 
dem Ehntretenden einen Stuhl an, auf wel⸗ 
chem dieser orne Zögern Platz nahm. 
Es steht schlecht um Euren Mann,“ 
hob der Bürgermeister an; indem er aus 
feiner Horndose eine Prise nahm und die 
(Fortsetzung.) J 
Nun * Aber 1“ fragte Frau Sqhulz, die 
bel dem geheimnißvollen Wesen Wetterau's 
doch eine innere Angst erwachen fühlte. 
„Ja, seht, das ist ein elgenes Ding, 
juhr der Buͤrgermeister fort. „Da sihen die 
zwölf Geschworenen, Herren, welche Euren 
Mann nie gesehen haben, also auch nicht 
wissen, ob er ein braver rechtschaffener Mann 
ist, die hören den Anklagealt des Staatsau⸗ 
waltes und die Zeugen werden nachher ge⸗ 
fragt, ob der Anusgeklagte schuldig sei oder 
nicht. Da helfen keine Zeugnisse und wenn 
sie auch noch so günstig wären, hier wird 
nun gefragt, konnte der Angetlagte irgend 
einen Grund haben, den Mord zu begehen? 
Und wenn dies der Fall ist, dann haben fie 
schon von varne herein die Ueberzeugung, daf