Full text: St. Ingberter Anzeiger

Herz fing an, Mißtrauen gegen Die zu hegen, 
die er früher mit jenem Gefühl angeschaut 
datte, mit dem der Katholik ein Heiligenbild 
betrachtet. 
Was war sie, eine Kokette oder eine Un⸗ 
glückliche, die er zu bemitleiden habe, weil 
ihre Grundsätze sie unfehlbar zu Gruude 
ricshten mußten? Unglücklich war sie, das jagte 
hm ihr erster Brief —- doch der zweite? — 
Sein Gehirn brannte, der Daͤmon des Arg⸗ 
wohns, der Eife'sucht flüstete erst leise, daun 
auter: sie sei nicht mehr unglücllich, ihr Herz 
nüsse vereits einen audern Freund gefunden 
juben, daher ihr Eutsetzen, als sie die Eat⸗ 
deckung ihres ersten Briefes machte. 
Zum Erschrecken des Droschkenkusschers 
lachte der Baron beie seinem hittern Gedan—⸗ 
lengange hell auf, weil er sich für den Thoren 
hielt, Leonie für mehr als ein gewöhnliches 
Weib gehalten zu haben, für mehr als eine 
Paud. — In seinem Hotel angekommen, 
hoͤrte er nur halb auf des Portiers Meldung. 
daß er Besuch bekommen häite. 
Wie ein Abwesender gelanate er nach 
seinern Zimmer, wie ein solcher öffnete er die 
Thür, als iem an derselben seine Mutter 
entgegentrat, ihn begrüßle und dabei auf'g 
Jerzlichste umarmte. Nuben ihr stand Feiir 
nit seinem unve wüstlich heitern Blick, und 
eben Beiden, — der Baron wurde unwill⸗ 
„Und nun, kaltes, stolzes Weid, lebe ührlich aufmerlsam, — neben Wutter und 
wohl! Du hast einen Mann unglucklicher gee Freund stand Maud, scwüchtern und he· 
macht, als Du es sielbst dist!“ sensten Auges an den Arm ibres Onkels 
Nur unoch einen Blick warf er auf Leonie, gelehnt j-c-— 
dann ging ei hindus, wäre er einige Stcun⸗— Zu einer andern Zeit würe dem Baron 
den länger geblieben, so härte er eiat Ohn- iess Wiedersehen mit seiner sehemaligen Verleb⸗ 
maͤchtige gesehen. — — — —XR ungelegen und vielleicht unangenehm gewesen, 
Aber er stürzte wie ein Verfolgter aus uu dieser Stunde aber dantte ec dem Geschick, 
dem Harse und über die Straße, warf sich daß gerade dieses Wesen ihm entgegentrat. — 
dann in eine Droschke, und während Men- Die Erinuerung setner früheren Thorheif 
schen lachend und heiter an ihm vorüber⸗ nußte ihn ia vollständig von seiner j·tzigen 
tgingen, während sich der Wind gelegt hatte, Juößrieun überzeugen. — Freilich —L 
die dunkeln Wotken vom Himmel schwanden Maud nur jene Maud wieder. die sich mi 
and die Sonne herdorbrach, wurde es in ihm um seines Reichthums willen verlobt 
seiner Seele inmer finsterer. Ja, und jetzt hatte, — und sah nicht die augenschemliche 
war sein Eutschluß unerschütterlich, er mußte Vränderung, die met mit der jungen Tame 
aAbreisen, wollte weder Berlin noch Leonse inzwscheu vorgegangen, Und die sehr zum 
je wiedersehen. Da er keine Ahnung hatte, Vortyhell füt sie ausgefallen war.“ 
wie Leouie zweschen Pflicht und Liebe käm pfte, Von der sah er allerdings nichts; aben 
deutete er ihr Benehmen auch dnders. Sein er begrüßte den alten Engländer, der über 
es fehlten ihm noch 50 Thaler an der Summe, 
indeß auf diese Aussage wird vielleicht wenig 
Gewicht gelegt. Wenn ich zum Beispiel auf⸗ 
trete und sage, der Angeklagte habe mir am 
Tage vor seiner Verhaftung jene zweihundert 
Thaler mit der Bit!e überçceben, sie ihm bis 
zu der Rückkehr Krämers aufzubewahren, so 
ist jene Aussage schon entträftet. Oder besser, 
ich sage, ihr hättet mir das Gelo gegeben, 
aber vergessen, es Eurem Manne mitzutheilen, 
ja, ja, so geht's.“ 
„Ich werde Euch die Summe einhändigen, 
Gottfried soll morgen eine Kuh in die Stadt 
bringen, dann schicke ich Euch die zwet hun⸗ 
dert Thaler,“ versetzte Frau Schulz, die zu 
dem Bürgermeiner bereits Zutrauen zu fassen 
begann. (GFortj. folgt.) 
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