abnahm. — Sein Entschluß war gefaßt, er
wollte bei der Mutter einige Minulen verwei—
len und daun in der Nähe des Bürgermei—
steramts sich verstecken, um den Vagabund zu
bdeobachten. Was darauf geschehen sollte, das
zu überlegen, blieb ihm später noch Zeit ge⸗
nug. Aber wie rasch war dieser Vorsatz ver⸗
gessen, als Gottfried in das elterliche Haus
trat und die Mutter mit dem Tode ringend
fand. Ein Blick auf das theure liebe Antlitz,
auf welchem der Todesschweiß schon perlte,
und der junge Mann, dessen erschöpfte, ab⸗
gespannte Nerven keinen Widerstand mehr
leisten konnten, sank ohnmächtig vor dem La—
ger der Sterbenden nieder. Als sein Bewußt⸗
sein zurückkehrte, hatte die Mutter ihren Geist
ausgehaucht.
Gleich einem Verzweifelten warf Gottfried
sich über die Leiche, er rief die Mutter mit
den theuersten Namen, eir küßte die weichen,
kallen Lippen, aber das Auge öffnete sich
nicht wieder, welches über dem Kinde und
dem Junglinge mit treuer Liebe gewacht
hatte.
Der Engel des Friedens trug auf seinen
Armen die Seele in den Schooß des himm⸗
lischen Vaters zurück, sein milder Glorieuschein
verklärte die irdische Hulle.
Gottfried erfuhr von den Umstehenden,
daß seine Mutter ihn erkannt und vor dem
Scheiden gesegnet hatte, daß ihr letzter Wunsch
der gewesen war, den Gatten frei zu sehen.
Der junge Mann blieb bei der Leiche sitzen,
die Siunden verannen, er dachte nicht mehr
an den Vagabund, er war versunken, in die
Erinnerung an alte vergangene Zeiten.
Der Schlag des Schicksals traf in plötz⸗
lich, wäre er auf ihn vorbereitet gewesen, er
würde sich in den Willen des Lenkers aller
Dinge gefunden haben, jetzt aber beugte dieser
Schlag ihn nieder und keinen Trost wußte er
für die blutenden Wunden seines Herzens zu
finden.
Wer, dem das Liebste im Sarge lag,
hat nicht mit dem Geschick gehadert und es
trotzig herausgefordert! Das Menschenherz
will sich ja nie geduldig fügen, in ohnmäch⸗
tiger Wuth lehnt es sich gegen, den Willen
des unerbittlichen Schicksals auf, es muß ja
seinem Schmerz, seinem Grame Luft machen
fönnen. Stumm und unverwandt hing der
Blick Gottfrieds an den geliebten Zügen. er
konnte es nicht fassen, daß die Mutter, an
der seine ganze Seele hing, ihm so plötzlich
genommen worden war, er mochte nicht daran
denken, daß sie nun drüben auf dem Fried—
hofe unter den Rasen gebettet werden
sollte .
Die Kerze war heruntergebrannt und er—
loschen, der Tag graute schon, die Morgen—
röthe leuchtete fern im Osten und aus dem
Saatfelde schwang die Lerche sich empor in
das Azurblau des Aethers.
—A
Worte, welche der Vagabund am verwichenen
Abend zu ihm geredet hatte, er entsann sich,
daß der Vater im Kerker schmachtete und seine
erste und heiligste Pflicht die war, den alten
Mann zu befreien. Er rief seine Magd, die
seit langen Jahren im elterlichen Hause diente,
beauftragte sie, für das Begräbniß der Todten
Sorge zu tragen, und für den Fall er in
den ersten Tagen nicht zurückkehre, einem
Nachbar, dem Freund seines Vaters, die
Verwaltung des Gutes zu übergeben, dann
verließ er das Haus und eilte mit hastigen
Schritten dem Bürgerme ister zu. Aber seine
Befürchtung erwieß sichJ ider richtig, der Vaga⸗
bund hatte sein Bubenstüd bereits ausgeführt
und den Rückweg angetreten. Die Thür zur
Wohnung Wetterau's stand offen; in der
freilich schwachen Hoffnung, das Werkzeug des
Rentners noch im Hause zu finden, trat der
junge Mann ein. Auch die Thür zum Amts⸗
zimmer, welches im Erdgeschosse lag, war nur
angelehnt, das Pult des Bürgermeisters er⸗
brochen und die auf dem Boden herumge⸗
ttreuten Papiere ließen ihn augenblicklich er⸗
kennen, daß der Vagabund nicht müßig ge—
wesen war. — Was sollte er thun? Lärm
schlagen und sich dadurch dem Verdachte aus⸗
setzen, daß er der Dieb sei? Er wußte ja,
daß schon die Anwesenheit am Orte des Ver—
brechens genügte, Verdacht zu erwecken die
Verhaftung des Vaters lieferte ihm dafür
einen schlagenden Beweis. Aber nein, auf ihn
konnte kein Verdacht fallen, und selbst wenn
Wetterau ihn des Diebst ahls beschuldigen
wollte, mußte er alsdann nicht gewärtigen,
daß Gottfried die Anklage auf ihn zurück—