Full text: St. Ingberter Anzeiger

Schönheit das Herz des Kaisers gewann, der 
sie zu seiner Gemahlin erhob. Sie blieb 
mild und tugendhaft und vergaß nie, daß 
sie eine Tochter des Volkes gewesen. Die 
Medaille trägt ihr Brustbild und auch ihren 
Namen. Es existirt außer dieser nur noch ein 
Fremplar. Ich bin erstaunt, daß Willrich sie 
noch nicht von Dir verlangt har, es ist ja 
eine Perle für seine Sammlung.“. 
. „Diese Forderung kann er nie wagen, 
da er Zeuge war, als meine Mutter mir dieses 
Andenken gab.“ — 
.Und doch, wer weiß, ob er sie nicht 
einst fordert,“ sagte der Baron mit eigen⸗ 
thümlicher Stimme und sah Leonie forschend 
an. „Mit diesem Kuß, den ich jetzt auf Deine 
schöne Stirn drücke, schwöre ich Dir, ehe der 
Lenz wiederkehrt, bist Du Herrin von Roda 
und mein fürs Leben! Bis dahin ehren 
wir das Gesetz, das Deine Freiheit noch 
fesselt.“ 
„Du denkst an eine Scheidung von Will⸗ 
rich ?“ — rief sie. 
„Ich denke daran! Aber weder Du noch 
ein Anderer als Willrich selbst soll Deine 
Keite brechen.“ 
„Ich weiß nicht, wie es Dir möglich er⸗ 
scheint, daß er mich freigebe; aber wenn dem 
selbst so wäre, ich bin Katholikin und meine 
Kirche scheidet nicht.“ — 
Der Baron erschrack. 
„Wie, Leonie, Du, ein ss geistvolles 
Weib, könntest darum noch mit Deiner Liebe 
kämpfen ? an die veraltete Satzung einer Re— 
ligion Dich klammern, die von Menschen ins 
Leben gerufen ist, und die nur noch Einfalt 
und Heuchelei aufrechthält ? Ja, daran dachte 
ich freilich nicht.“ 
„O nicht diese Härte, Alexander,“ rief 
sie, bittend seine Hände ergreifend, „sei nach⸗ 
sichtig! Denke, daß ich den größten Theil 
meiner Jugend bei den Ursulerinen verlebte. 
Zwar konnte mein Herz sich nicht, wie das 
der Nonnen, bei den Festen und Gebeten 
begeistern, aber ich glaube an einen Gott, an 
eine Vorsehung. O nimm mir das nicht!“ 
„Meine Leonie, Gott hat mit dem Katho⸗ 
licismus nichts gemein. Gott ist die Liebe. 
Josephe war auch in der katholischen Religion 
auferzogen, und auch fie war nicht von der 
irche getrennt, und was that sie ?* 
Leonie schmiegte sich an den Baron. 
„Josephe stürzte von der Seite des 
Dheims fort, vom Schiff zurück ans Ufer 
vo der trauernde Geliebte stand, und rief, 
ihn umschlingend: „„Rein ich kann nicht von 
ihm lassen!““ — So, mein Alexander, 
opfere auch ich Dir Alles, nimm mich hin. 
Doch denke an Deine Mutter, wird eine 
olche Tochter ihr willkommen sein?“ 
Der Baron erwiderte: „Gib mir das 
Buch der Bettlerin vom Pont des Arts.“ 
Sie reichte es ihm, er schlug die letzte Seite 
um, und während er mit einem Arm Leonie 
an sich zog, las er. 
„Als Josephe in des Geliebten Armen 
lag, fragte Don Fröbenio: Was werden Sie 
Ihren stolzen Verwandten sagen, wenn Sie 
dieses Kind des Elends vorstellen? Werden 
Sie den Muth haben, den Spott der Welt 
zu ertragen ?? „Fahr wohl, Don Pedro,“ 
sagte der junge Mann mit muthigem Gesicht, 
indem er dem Oheim die Hand zum Abschied 
reichte, mit dem andern Arm die Geliebte 
umschlang. „Seid getrost und verzaget nicht 
au mir! Ich werde sie der Welt zeigen und 
wenn man mich fragt: Wer war sie denn? 
so werde ich mit freudigem Stolze ant— 
worten: Es war die Bettlerin vom Pont 
des Arts.“ 
Der Baron ließ das Buch zu Boden 
fallen und drückte Leonie fest an seine 
Brust. 
Fortsetzung folgt.) 
— — —— 
Charade. 
(Zweisylbig.) 
Wenn ihr in meiner Ersten seid, 
Dann thut euch guten Dienst die Zweit' 
Und schnell wind dann das Ganze draus 
Das euch erlößt aus manchem Strauß. 
Auflösung des Räthsels in Nr. 105 des Unter— 
haltungsblattes: „Geige· 
Druck und Verlag von F. X. Deraezz in St. Ingbert.