Full text: St. Ingberter Anzeiger

Edelmuths und der Kühnheit und glaubt sich 
dadurch der drückenden Last der Dankbarkeit 
auf einmal und für immer zu entledigen. 
Ernst stellte seine Wohnung dem alten 
Herrn für die Dauer, bis dieser eine neue 
gefunden habe, zur Verfügung, aber der 
Rentner wies das Anerbieten zurück. Er werde 
schon im Gasthofe ein Unterkommen finden. 
rwiderte er, allzugroße Vertraulichkeit liebe 
er überhaupt nicht. 
(Gortfetzung folgt.) 
Der Münzsammler. 
Staatsbztg.) 
Eine Novelle. 
Fortsetzung.) 
„So, meine Leonie, würde ich meiner 
Mutter entgegentrelen. Doch diese Bedenken 
laß, bis wir am Ziele sind, und auch dann 
gib ihnen nicht Raum! Wohl ist meine 
Mutter stolz auf ihre Ahnen; aber sie liebt 
mich. Ich bin ihr einziges Kind, und mehr 
noch, sie kennt mich, weiß, daß meine gefaß⸗ 
ten Entschlüsse? nie zu erschüttern sind; sie 
wird sich in unser Glück finden. Doch jetzt, 
Geliebte, schlägt für uns die Stunde einer 
langen Trennung. Ich reise in den nächsten 
Tagen mit meiner Mutter ab, während Maud 
mit ihrem Verlobten, von dem ich Dir später 
biel zu erzählen habe, zu dessen Eltern geht. 
Du wirst ganz allein bleiben; doch Muth, 
meine Taube, wahre mir Deine kostbare Ge⸗ 
jundheit und blicke nicht trostlos, sondern 
nit Vertrauen und Hoffnung in die Zukunft. 
Durch Kampf zum Siege, das sei die Devise 
unfrer Liebe!“ 
Der Baron hatte nur noch Zeit, das ge⸗ 
liebte Weib noch einmal sest an sich zu drücken 
und ihre Stirn mit einem flüchtigen Kuß zu 
berühren, da sich schon Tritte der Thür nä⸗ 
herten und Willrich eintrat. 
Leonie wurde bleich; in diesem Augen- 
blick mochte sie weder Willrich sehen, noch 
hre Gefühle bezwingen, um an einem gleich— 
giltigen Gespräch theilzunehmen. Sie warf 
dem Baron einen langen, innigen Abschieds⸗ 
blick zu, den dieser ebenso erwiderte, dann 
ihr aber mit finsterm Blick so lange nachsah, 
bis fie im Nebenzimmer verschwand und 
eine Absicht erreicht war, daß Willrich dies 
»emerkte. 
„Herr Baron, gewiß. hat meine Frau sie 
vieder abstoßend behandelt? Verzeihen Sie 
im meinetwegen, ich will ihr »später schan 
vieder den Text lesen; jetzt ist sie leidend; 
ie ist überhaupt zu unerfahren im Umgang 
nit Anderen, das macht, sie hat eine verkehrte 
Erziehung genossen.“ 
.„Ich glaube, lieber Willrich, Ihre Frau 
Hemahlin haßt mich,“ sagte der Baron mit 
der Miene des Gekränkten. 
„O, Der ihr Haß ist unschädlich,“ lä—⸗ 
helte Willrich, „wie müßte sie mich da schon 
nit ihrem Haß vernichtet haben, der ich keine 
ihrer kindischen Launen befriedige.“ 
‚„Mein zZlieber Herr Willrich.“ fuhr der 
Baron fort, „es ist zwar sehr indiscret vou 
nir, aber diese Frage schwebte mir schon 
ange auf den Lippen. Sie ist mehr Theil⸗ 
ahme als Neugierde. Sagen Sie mir auf⸗ 
richtig, wie konnte ein so vernünftiger Mann, 
vie Sie doch sind, sich eine solche Frau neh⸗ 
nen? Nur die Liebe kann Ihnen diesen Schel⸗ 
nenstreich gespielt haben.“ 
Willrich lächelte überlegen. „Herr Baron, 
vas nennt man Liebe, und nie käme ich 
»azu? Als vierzehnjähriger Knabe küßte ich 
inmal meines Vaters Haushälterin, ich liebte 
damals das rothe Haar leidenschaftlich, und 
ziese hatte ganz brennend rothes Haar. Dafür 
ekam ich von meinem Vater aber so viel 
Brügel, daß mir die Liebe bis heut vergan⸗ 
gzen ist. Zu meiner Fran bin ich eigentlich 
ohne meinen Willen gekommen.“ 
„Was höre ich; Ihre Frau Gemahlin 
iebte Sie und trug Ihnen ihre Hand wohl 
elbst an?“ unterbrach ihn der Baron. 
O nein, das kam anders. Leoniens 
Bater war mein Freund,“ fuhr Willrich fort. 
„Als seine erste Frau, Leoniens Mutter, 
tarb, heirathete er eine Cousine von mir, 
ind das Mädchen hatte es bei der Stief⸗ 
nutter nicht zum besten. Mein Freund gab 
ie in's Kloster zu den Ursulinerinen. Als er 
taͤrb, sagte mir meine Cousine, ihr Mann 
Jätte auf seinem Krankenlager zu ihr den 
Wunsch ausgesprochen, sie soll mich bewegen 
zaß ich Leonie heirathe. Ich merkte ganz gut, 
velche Absicht meine Frau Cousine dabei mit