Full text: St. Ingberter Anzeiger

Mathilde, welche der Angabe Schmelzers vollen 
Glauben schenkte, konnte nicht unterlassen, einen 
Blick in das Innere der Hütte zu werfen, zu 
wvelchem Zwecke sie über die Schwellen der⸗ 
selben trat. Der Vagabund schloß die Thür 
von innen zu, schob einen schweren Riegel 
bor, an welchem ein großes Vorhängeschloß 
bing, und zeigte auf die Treppe. 
„Hinauf!“ herrschte er rauh. „Sie sind 
jetzt in meiner Gewalt, und keine Macht soll 
Sie aus derselben befreien, so lange ich 
noch für einen Athemzug Luft in der 
dunge habe!“ 
Das Mädchen richtete sich stolz auf, m'it 
der Schnelligkeit des Blitzes durchzuckte ihre 
—Ab 
gegenwart bewahren müsse, um sich aus der 
Falle wieder retten zu können, in welche sie 
so leichtfertig gegangen war. 
„Was soll das, Elender 7?* entgegnete sie 
so fest und entschieden, als sei dies Haus das 
ihrige und ein Dutzend Diener bereit, auf 
den ersten Wink sich auf den Schurken zu 
türzen. 
„Oeffnet die Thür und befreit mich von 
Eurer Gegenwart, oder“ — 
„Oder ?“ fiel Schmelzer ihr höhnisch in's 
Wort. „Hol mich der Henker, dies „Oder“ ist 
hier schlecht angebracht. Es hat keinen Sinn, 
schönes Fräulein, die Drohung, welche hinter 
ihm liegt, ist ohnmächtig, so ohnmächtig, daß 
der furchtsamste Mann nicht vor ihr erschrecken 
würde. Wir sind die einzigen Personen in 
dieser alten Baracke, weit und breit kein Haus, 
kein lebendes Wesen. Die Landstraße liegt 
eine Viertelstunde von hier entfernt, der Fuß⸗ 
weg, welcher hier vorbeiführt, wird selten 
oder nie begangen. Kurz, das Häuschen bietet 
einem verliebten Pärchen ein sicheres Versteck, 
deßhalb auch suchte ich es mir aus.“ 
„Sie vergaßen, daß ich eher den Tod als 
die Schande wählen werde,“ entgegnete 
Mathilde, die sich kaum aufrecht zu halten 
vermochte. 
„Pah, es stirbt sich nicht so rasch,“ fuhr 
der Vagabund achselzuckend fort. 
„Laßt mich gehen,“ bat das Mädchen, 
„nehmt meinen ganzen Schmuck und öffnet 
mir dafür die Thür, ich verspreche Euch, daß 
ich Euch mit keiner Silbe verrathen will.“ 
„Was nützt mir der Schmuck, ich will Sie 
haben! Hätte ich nur nach dem Schmucke 
Berlangen getragen, würde ich ihn genommen 
jaben und die Schatulle Ihres Vaters dazu. 
— Ich bin ein freier Amerikaner!“ fuhr er 
aach einer Pause fort, indem er sich in die 
Brust warf und die Mütze lüftete, „da drüben 
ind die Frauen ein gesuchter Arlikel, und 
veil ich drüben keine finden konnte, die mich 
Jaben wollte, so nehme ich Sie mit; ich denke, 
das ist einfach und leicht zu begreifrn.“ 
„Glaubt Ihr, daß Euch das gelingen 
vird ? fragte Mathilde entrüstet. Schmeichelt 
Ihr Euch wirklich mit der Hoffnung, ich 
verde einem solchen Scheusal freiwillig foigen ?* 
„Pah, das wird sich finden,“ spottete der 
Amerikaner, „habe ich Sie erst einmal in 
Bremen, so habe ich Sie auch in Amerika.“ 
„Und wie wollt Ihr es bewerlstelligen, 
nich nach Bremen zu bringen? Denkt Ihr 
nicht daran, daß ich jeden Menschen zur 
Hülfe gegen Euch rufen, daß ich mich an je— 
den Beamten wenden werde?“ 
„Ganz recht, ich hebe daran gedacht, und 
einen Plan entworfen, den Sie vielleicht aben⸗ 
euerlich finden, der aber jedenfalls schlau er⸗ 
onnen ist. Sie werden die Güte haben, den 
Anzug anzulegen, welchen Sie oben in ihrem 
Schlafgemach finden. Wenn dieses Gemach nicht 
o elegant und bequem eingericht ist, wie Ihr 
rüheres Kabinet, so bitte ich tausendmal um 
ẽnischuldigung. Die Eile, mit der ich meine 
PBorkehrungen machen mußte, ließ mir un—⸗ 
nöglich Zeit, an Alles zu denken. Für den 
Fall, daß Sie sich weigern, meinen Befehlen 
Folge zu leisten, sehe ich mich genöthigt, selbst 
Zand anzulegen; nun, ich denke, von ihrem 
ünftigen Gatten können Sie sich das gefallen 
rassen. In der Uniform eines Gensd'armen 
verde ich Sie nach Bremen bringen, damit 
Sie nicht auf die thörichte Idee eines 
Fluchtversuchs fallen, lege ich Ihnen Hand⸗ 
schellen an.“ 
„Allerdings, sehr abenteuerlich und dazu 
unausführbar.“ 
„Nicht so unausführbar, wie Sie glauben; 
hzören Sie weiter. Unsere Papiere sind in 
bester Ordnung, sie gelten für eine Amerika— 
nerin, welche sich der Ermordung ihrer Ge⸗ 
ichwister durch Gift schuldig gemacht hat. Um