Full text: St. Ingberter Anzeiger

Menschen Vergangenheit bestimmt sehr oft seine 
Zukunft. Alle Kaufherren, bei denen ich mich 
am die erledigte Stelle bewarb, schoben den 
Grund vor, ich sei bei dem Rentner Krämer 
gewesen, und das genüge ihnen, mich abzu⸗ 
weisen. Meine Fähigkeiten, mein solider Le⸗ 
henswandel, meine Pflichttreue, Alles das 
kam nicht in Betracht, ich habe früher bei 
einem Schurken in Dienst gestanden, und 
schloß daraus, daß ich selbst ein Schurke 
sein müsfe.“ 
Krämer ein Schurke?“ fragte die Wittwe 
erstaunt. 
Der Buchhalter nickte wehmüthig. „Ja, 
ja, es ist leider nur zu wahr. Wissen Sie, 
weshalb ich vor einigen Monaten der Frau 
Schulz in C. das Dokument aus den Händen 
—X 
weisung auf das Vermögen seines Bruders 
enthält und er seinen Reffen darum be trügen 
wollte, Vor acht Tagen erfuhr ich's, mein 
Prinzipal hatte sich eine Abschrift von dem 
Akt verschafft und zeigte mir dieselbe, um 
mich von der Wichtigleit der Sache zu 
überzeugen.“ 
Nun, und Sie?“ forschte die Wittwe. 
„Ich schwieg,“ fuhr Helldau achselzuckend 
fort, „schweigen und das Seinige denken, ist 
n solchen Fällen steis das Rathsamste, in 
zentscheidenden Moment kann man ja noch 
immer handeln. Er wollte mich beauftragen, 
dem Bürgermeister in C. das Dokument mit 
List oder Gewalt zu enlreißen; wenn es 
nicht anders zu bewerkstelligen sei, so könne 
ich ja ein halbes Dutzend Gauner in Sold 
nehmen und durch Einbruch mich des Papiers 
bemächtigen. Ich lehnte aber die Ausführung 
dieses Auftrages ab, unter dem Vorwande, 
ich sei in dergleichen Angelegenheiten nicht 
dewandert und müsse ihn deßhalb bitten, sich 
nach einem Andern umzusehen.“ J 
„Und das hat er gethan? ? 
„Ich weiß es nicht, seit jenem Tage habe 
nichts mehr darüber gehört.“ 
Die Wittwe sann einen Augenblick nach. 
„Ist durch Ihre Weigerung das Vertrauen 
Krämer's zu Ihnen in etwas erschüttert 7 
fragte sie endlich. 
Nicht im Geringsten, der Rentner weiß, 
haß ich schweige und mich um seine Privat- 
Angelegenheiten nicht kümmere, so lange er 
selbst nicht für nöthig erachtet, mich in die⸗ 
selben einzuweihen.“ 
„Können Sie auch ohne sein Willen und 
Wollen einen Blick in dieselben werfen 97 
Helldau sah erstaunt der Fragenden ins 
Antlitz, Welches Interesse konnte sie an den 
Privat⸗Angelegenheiten Krämer's nehmen 7? 
„Wenn ich dies wollte, gewiß, aber“ — 
„Aber Sie begreifen nicht, weßhalb ich 
diese Frage stelle? Weil — aber kann ich 
nich auf Sie verlassen? Werden Sie das 
Beheimniß, welches ich Ihnen anvertraue, 
treng bewahren und was die Hanupfsache ist, 
zher ihren Herrn, als mich verrathen 7 
Das Erstaunen des Buchhalters wuchs, 
er bot der Wittwe seine Hand. „In diesem 
Puntte dürfen Sie ganz ruhig sein,“ erwi⸗ 
derte er, „Krämer ist in meiner Achtung ge⸗ 
sunken. Verlangen Sie nicht etwas von mir, 
vas Mathilden zum Nachtheil gereichen 
önnter — 
„NKeineswegs, fern sei es von mir, dem 
Mädchen zu nahe treten zu wollen.“ 
„So reden Sie und seien Sie überzeugt, 
daß ich meinen Herrn nicht schonen werde, 
venn Ihr Interesse dies erfordert.“ J— 
„Für's Erste muß ich Ihnen denn mit 
heilen, daß Ernst nicht mein Sohn, sond ern 
ein angenommenes Kind ist,“ nahm Frau 
deller das Wort. 
Helldau konnte sich nicht enthalten, der 
Wittwe einen sehr zweideutigen Blick zuzu⸗ 
verfen, den diese nicht bemerkte. 
Fortsetzung folgt.) 
Charade. 
Die Erste deckt, als sich're Wehr, 
Uns bei der Feinde Nah'n; 
Die Zweite trifft man nimmermehr 
Auf trocknem Boden an. 
Das Ganze, wahrhaft ein Koloß, 
Ist von dem Zweiten ein Genoß. 
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Auflöfung der Zweishlbigen Charade in Nr. 109 des 
Unterhaltungsblattes: Nothwehr.“ 
Druch und d Verlag voun J. X. Demnetz in St. Ingbert.