Full text: St. Ingberter Anzeiger

zuckend, „mehr zu geben, lag nicht in mei⸗ 
ner Macht.“ 
Der Rentner blickte eine geraume Weile 
jchweigend mit stieren, glühenden Augen auf 
die Thür, hinter welcher der Advokat ver⸗ 
schwunden war, dann brach er in lautes 
höhnisches Lachen aus. Es war das Hohnge⸗ 
lächter der Hölle, jener Hölle, die man „das 
pöse Gewissen“ genannt hat. Mühsam hatte 
der Rentner während seiner Unterredung mit 
dem Juristen seine Fassung behauptet, jetzt 
hrach er zusammen. Er saß in seinem Sessel 
das Kinn auf die Hände gestützt, und sah 
stier, gleich einem Verzweifelten vor sich hin. 
Man hatte ihm'alles genommen, was ihn an's 
Leben fesselte, sein Kind war ihm entfremdet 
davongelaufen mit einem Andern, ohne ihm 
Lebewohl zu sagen, seinen Schatz wollte man 
ihm auch rauben, was blieb ihm noch? Frei⸗ 
lich, auf den größeren Theil seines Bermögens 
konnte Niemand Anspruch erheben, er hatte 
nicht einmal nöthig, sich einzuschränken, so 
groß war der Rest dieses Vermögens noch, 
aber wenn dem Menchen ein kleiner Theil 
seines Glückes geraubt wird, dann fällt es 
igm schwer, sich mit dem Rest begnügen zu 
sollen. — Sechs und dreißigtausend Thaler 
ein Drittel des Vermögens. Ein tiefer Seufzer 
entfuhr den Lippen des alten Mannes. Und 
an wen sollte er diese Summe zahlen? An 
den, welchen unter allen Menschen er am 
neisten haßte! Wie viele Verbrechen hatte er 
begangen, um das anvertraute Gut sich an⸗ 
zueignen, und jetzt solle er umsonst sein 
Bewissen mit dieser schweren Sündenschuld 
delastet haben! Noch sträubte der Rentner sich 
gegen die innere Stimme, welche ihm zurief, 
er sei der Mörder seines Bruderse, wohl 
suchte er sich einzureden, er habe ja den 
Auftrag dazu nicht gegeben, Alles habe so 
ommen müssen, wie es der Wille der Vor⸗ 
sehung gewesen sei. Das ist die Lehre von 
dem unerbittlichen Fatum, das ist Eure 
Weisheit, Ihr Fatalisten, ganz dazu geschaffen, 
den Menschen zu entsittlichen, ihm das höchste 
und edelste Gut,“ die Religion zu nehmen! 
Wie entsetzlich klingen aus dem Munde des 
Mörders die Worte: „Gott hat es so gewollt 
väre es nicht sein Wille gewesen, daß jener 
Mensch durch meine Hand fallen sollte, er 
vürde die That verhütet haben! Ich bin 
ilso nichis, als ein Werlzeug in den Händen 
der Vorsehung!“ — Und wie mancher sucht 
urch diese Gotteslästerung sein Gewissen zu 
zeruhigen! 
sKrämer stand auf und wanderte in seinem 
Zimmer auf und ab. Und wenn er nun das 
Beld bei der Bank deponirte, war er alsdann 
icher, daß der Arm der Gerechtigkeit ihn 
nicht fassen und zur Rechenschaft ziehen werde? 
konnte er sicher darauf rechnen, daß er un⸗ 
zefährdet entkam? — Der Rentner schauderte 
venn er daran dachte, daß er in der einsamen 
Zelle sitzen, in öffentlicher Gerichtssitzung des 
Mordes beschuldigt vor die Schranken treten 
und endlich das Schaffot besteigen solle! 
Ein leises Pochen an der Thür störte den 
Ideengang des alten Mannes. Er fuhr er⸗ 
schreckt zusammen, ermannte sich aber und 
zffnete. Ein noch ziemlich junger, anscheinend 
der unteren Volksklasse angehörender Mann 
trat ein. Er schloß die Thür hinter sich zu 
und übergab dem Rentner einer Zettel. 
Schluß folgt.) 
Mannigfaltiges. 
Ein Töpfer in England ließ sich 
jolgende Grabschrift setzen: Von Erde hab' 
ch gelebt, denn ich war ein Töpfer, zur 
Erde kehr' ich zurück, denn ich war ein 
Mensch. Wanderer, weine nicht! In Ecrde 
verde ich nun verwandelt. Geh' in meinen 
daden, da findest Du vielleicht als Topf 
mich wieder. 
Kharade. 
Die Erste tont bei Schmerz und Freude; 
Mit Sehnsucht denkst du an die Zweite. 
Das Ganze ist uns nah' verwandt; 
Wohl dem, der xeich und alt es fand. 
Auflösung der Charade in Nr. 118 des Unterhal⸗ 
tungsblattes: Wahnsinn.“ 
Druch and Verlag von F. X. Demest in St. Ingbert.